St. Pauls Cathedral und Millenium Bridge zu Sonnenaufgang
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CoV-Zahlen stabil

Gute Vorzeichen lassen Briten hoffen

In Großbritannien sind bisher gut 80 Prozent der über Zwölfjährigen vollständig geimpft, etwa ein Viertel hat bereits eine Auffrischung erhalten. Die Zahl der Neuinfektionen liegt dennoch seit Wochen auf hohem, aber stabilem Niveau. Forderungen nach einer Wiedereinführung von Regeln weist die Regierung zurück. Ob sich das noch rächt, wird sich im Winter zeigen. Doch könnten ein paar Umstände dafürsprechen, dass den Britinnen und Briten zumindest ein Lockdown erspart bleibt.

Entscheidende Faktoren könnten etwa Wellenverlauf und Regelmanagement sein: Im Gegensatz zu vielen Teilen Europas wurden in Großbritannien große Teile der Beschränkungen Mitte Juli nachhaltig aufgehoben. Zwar erfolgte dieser Schritt im Sommer auch in vielen anderen Ländern, im Herbst wurde im Gegensatz zu Großbritannien aber vielerorts verschärft – besonders drastisch hierzulande.

Bei dieser Unterschiedlichkeit spielten auch die Virusvarianten bzw. der Zeitpunkt der Wellen eine Rolle. Großbritannien war von der ansteckenderen Delta-Variante früher betroffen – ein erster Fall ist mit 22. Februar dokumentiert, erst zwei Monate danach wurde die Variante erstmals in Österreich entdeckt (wenngleich die Variante beidermaßen wohl schon früher zirkulierte).

Verbreitung früher eingesetzt

Aus diesem Umstand heraus ergab ich, dass Verbreitung und Infektionswelle in Großbritannien früher einsetzten als in Kontinentaleuropa. Zugleich boten aber der Sommer und die warmen Temperaturen die Möglichkeit für Öffnungen. Es sei aber auch eine bewusste Entscheidung gewesen, gedeckt auch von jenen beiden führenden Experten, die die Regierung beraten, wie es in der BBC hieß.

Neben dem grundsätzlichen Vorteil von Regelaufhebungen sei es besser gewesen, die Phase zu nutzen und einen Wiederanstieg von Infektionen im Sommer zu durchleben, so der Tenor. Die beiden Experten seien der Ansicht gewesen, so die BBC, dass die Virusausbreitung durch Umstände in der wärmeren Jahreszeit abgefedert und später im Winter nicht mehr so stark zum Tragen kommen würde.

Belebte Straße in London
Reuters/Toby Melville
Reges Treiben in der Londoner Regent Street am Wochenende

Hohes Level an Immunität

Hierbei spielt auch ein anderer Umstand eine Rolle, nämlich die Immunität, die sich in Großbritannien aufgebaut hat. Dahinter steht eine Kombination aus natürlicher Immunität nach Infektion und Schutz durch Impfungen – gemäß offiziellen Zahlen sind 80 Prozent der über Zwölfjährigen doppelt geimpft. Darüber hinaus nehmen die Drittimpfungen relativ rasch zu, hier verbucht das Vereinigte Königreich mit 27 Prozent bereits ein gutes Viertel. Es gilt eine Staffelung nach Alter, derzeit können alle über 40-Jährigen die Drittimpfung buchen.

Mehr Menschen früher drittgeimpft

Großbritannien kommt hierbei verglichen mit anderen Ländern schnell voran. Und wiederum spielt wieder der Zeitverlauf eine Rolle: Weil das Vereinigte Königreich bei den ersten CoV-Impfungen ein vergleichsweise hohes Tempo verzeichnete, kamen bereits zu einem früheren Zeitpunkt mehr Menschen für eine Auffrischungsimpfung infrage, was wiederum einen rascheren Tempozuwachs zuließ. Das könnte den Wellenbrechereffekt unterstützen.

„Wir geben diese Auffrischungsimpfungen genau den Menschen, die am stärksten gefährdet sind – und das vielleicht zum besten Zeitpunkt: Sie haben im Winter den besten Schutz“, wurde Lloyd Chapman von der London School of Hygiene and Tropical Medicine in der BBC zitiert. Zugleich wies er aber auch darauf hin, dass das auch seinen Preis gehabt habe – die hohen Infektionsraten führten in den letzten Monaten zu vergleichsweise mehr schweren Verläufen und Todesfällen.

Covid-Denkmal in London
AP/Frank Augstein
Die National Covid Memorial Wall in London – sie ist gut einen halben Kilometer lang. Auf ihr wird der Pandemietoten gedacht. Bisher sind in Großbritannien insgesamt mehr als 167.000 Menschen in Verbindung mit CoV verstorben.

Experte gibt keine Entwarnung

Doch eine Entwarnung seien diese Annahmen und günstigen Vorzeichen aber nicht. „Wir mögen in der stärksten Position sein – aber wir könnten immer noch eine Verdoppelung der Fälle erleben, und das würde Probleme verursachen“, so Experte Chapman. Apropos Fälle: Bemerkenswert ist, dass die Infektionsraten zuletzt relativ stabil blieben. Seit dem steilen Anstieg im Frühsommer, der Mitte Juli seinen Höhepunkt erreichte, bleiben die Infektionsraten auf mehr oder minder konstantem Niveau, wobei auf kleine Anstiege ähnliche Rückgänge folgen.

Augenmerk auf neuer Variante

Unterdessen wird auch auf neue Varianten ein Augenmerk gelegt. Zuletzt wurde eine großangelegte Studie des Imperial College London publik, wonach die Delta-Subvariante AY.4.2. inzwischen für mehr als jede zehnte Neuinfektion in Großbritannien verantwortlich ist. Insgesamt waren für die Studie PCR-Tests von mehr als 100.000 Menschen ausgewertet worden.

Menschen am Weihnachtsmarkt auf dem Trafalgar Square, London
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Ein Weihnachtsmarkt auf dem Londoner Trafalgar Square – Schutzmaßnahmen (außer Maskenpflicht in „Öffis“) gibt es in England keine. Schottland, Wales und Nordirland entscheiden eigenständig über Maßnahmen und gehen etwas strenger vor.

Die Subvariante breitet sich den Erkenntnissen zufolge wohl schneller aus als die bisher vorherrschende Delta-Variante. Symptomatische Erkrankungen sind seltener, wie die Forscherinnen und Forscher feststellten. Auch die typischen Symptome wie Verlust bzw. Veränderung des Geruchs- und Geschmackssinns, Fieber und Husten kommen demzufolge bei Infektionen mit AY.4.2. weniger häufig vor.

Experte kritisiert Johnsons laxe Politik

Aus dem Imperial College London kam zuletzt auch Kritik an der britischen Pandemiepolitik. „Plan B hätte schon vor einer ganzen Weile eingeführt werden sollen“, so Gesundheitsexperte Azeem Majeed. Ein „Maßnahmenkatalog“ sieht eine Maskenpflicht in Innenräumen, Impfnachweise für Großevents sowie die Empfehlung, von Zuhause zu arbeiten, vor. Regierungschef Boris Johnson sah bisher für eine Verschärfung der Maßnahmen aber keinen Anlass.