Polen: Zeitung „Gazeta Wyborcza“ fürchtet um Unabhängigkeit

Die große polnische Tageszeitung, die liberale und proeuropäische „Gazeta Wyborcza“, hat sich mit einem eindringlichen Brief an ihre Leserinnen und Leser gewandt und ihrer Furcht vor einem Ende der unabhängigen Berichterstattung Ausdruck verliehen.

Der Anlass: Der Mutterkonzern Agora hatte diese Woche den Herausgeber der Zeitung, Jerzy Wojcik, fristlos entlassen, offiziell wegen disziplinärer Gründe. Management und Redaktion der Zeitung sehen dahinter andere Gründe.

Erster Entlassungsversuch im Juni

Die „Gazeta Wyborcza“ war 1989 nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes als erste unabhängige Zeitung gegründet worden – mit Agora als Eigentümerin. Mit ihren liberalen Ansätzen gilt die Zeitung heute als eines der wenigen polnischen Medien, welche die nationalkonservative PiS-Regierung häufig kritisieren. Agora entwickelte sich zugleich zu einem großem Medienkonzern mit Websites, Radiosender, Kinos und Filmproduktion.

Laut „Gazeta Wyborcza“ startete Agora bereits im Juni den Versuch, Wojcik, der seit 30 Jahren für die Zeitung arbeitet, abzusetzen. Die Redaktion schaffte es aber, das vorerst zu verhindern. Am Dienstag wurde er nun doch gekündigt – weder die Chefetage noch die Redaktion der Zeitung wurden informiert.

Fusions- und Sparpläne als Hintergrund

Der Hintergrund scheinen die Agora-Pläne zu sein, „Gazeta Wyborcza“ mit der Onlineplattform Gazeta.pl zu fusionieren. Auch diese ist mit diversen Websites recht erfolgreich, bietet aber eher leicht verdauliche Nachrichten. In dem offenen Brief von Chefredakteur Adam Michnik und seinem Stellvertreter Jaroslaw Kurski an die Leserinnen und Leser werden nun Befürchtungen laut, dass das Personal abgebaut und die redaktionelle Unabhängigkeit der Wirtschaftlichkeit geopfert werden soll.

So habe der Aufsichtsratsvorsitzende die Zeitung als „13 Prozent des Unternehmenswertes“ bezeichnet. Dabei verweisen die beiden auf solide Geschäftszahlen ihrer Zeitung und 260.000 digitale Abonnements, die ihnen im Falle einer Fusion abhandenkommen würden. Als erster Schritt wurde Wojcik bei der Zeitung als stellvertretender Redakteur für Weiterentwicklung angestellt.

Auch politischer Druck?

Befürchtet wird aber auch eine Schwächung der Zeitung in ihrer Berichterstattung: Alleine 70 Klagen von Parteimedien und PiS-nahen Institutionen habe man derzeit laufen: „Die Aggression der Regierungspartei gegen unsere die Demokratie verteidigende Zeitung war und ist vorhersehbar“, heißt es in dem Brief. Damit werde man fertig.

Schlimmer werde es aber, wenn man wie jetzt von „Freunden“ angegriffen werde. Ob die Pläne von Agora rein wirtschaftlich sind oder ob dahinter auch politischer Druck der Regierung steht, blieb bisher offen. Allerdings: Das Vorgehen erinnert an jenes von Viktor Orban in Ungarn, der nach und nach missliebigen unabhängigen Medien den Garaus machte oder sie umpolte.