Baustelle des Wien Museums
ORF.at/Gerald Heidegger
Oswald Haerdtl mit Dach

Neue Rippen für einen Vintage-Klassiker

Midcentury Vintage ist wieder im Trend. Und spät hat man die 1950er Jahre in Wien wieder zu schätzen gelernt. Immer noch sind die Arbeiten von Oswald Haerdtl dabei eine Landmarke, an der man zwischen Architektur und Design nicht vorbeikommt. Dass sein letztes Werk, das Wien Museum, mit massiven Eingriffen saniert wird, hat für Diskussionen gesorgt. Doch nun sieht man schön langsam am Gerippe des sich verwandelnden, quasi nackten Haerdtl: Auch seine letzte architektonische Arbeit könnte wieder näher am Geist des Machers stehen, als viele gedacht hätten.

Wenn es so etwas wie den Universalkünstler noch gibt, dann ist Haerdtl noch am ehesten einer, dem diese Zuschreibung gut zugestanden wäre. Vieles hat er der Stadt Wien gerade für die innere DNA der Stadt erhalten. Von der Gestaltung von Stühlen hinauf bis in die höchste Politik. Das legendäre „Kreisky-Zimmer“ im Bundeskanzleramt stammt ebenso von Haerdtl wie geliebte öffentliche Plätze, die in Nicht-Pandemie-Zeiten zum Verweilen einladen, wie das Wiener Cafe Prückel, das gerade wegen seines 50er-Jahre-Charmes geliebt wird – ein Umstand, der gemäß Haerdtl aber von der Gesamtanlage bis hinein ins kleinste Detail geht.

Baufortschritt im Wien Museum

Das Wien Museum am Karlsplatz wird seit dem Sommer 2020 um- und ausgebaut. Mittlerweile ist Halbzeit, die Stahlkonstruktion für den Zubau steht bereits.

Haerdtl ist ein typisches Produkt des fachübergreifenden Zugangs der ehemaligen Wiener Kunstgewerbeschule, heute Akademie für Angewandte Kunst, in der nicht nur ein Fach im Mittelpunkt stand, sondern die Durchdringung der verschiedensten Bereiche mit dem, was man altmodisch so schön Gestaltung genannt hat. Begann Haerdtl zunächst sein Studium bei Kolo Moser in den Endphasen der Habsburger Monarchie, so wechselte er schließlich ins Fach der Architektur und wurde von seinen Mentoren Oskar Strnad und Josef Hoffmann geprägt. Die Impulse dieser Lehrer, nicht zuletzt die enge Zusammenarbeit mit Hoffmann haben eine spezielle Sprache einer österreichischen Moderne geprägt. Und Haerdtl war einer der zentralen Weiterentwickler eines Geists, wie er schon in den Wiener Werkstätten angelegt war.

aris Weltausst. 1937, Österr.Pavillon Paris
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Haerdtl und das internationale Österreich-Bild im Jahr 1937: Der Pavillon zur Expo in Paris

Sein Wille zur Gestaltung ging von der Architektur zu Möbel, ging von Geschirr bis hin zu den Lampen. Das integrierte Denken einer kompletten Gestaltung, es wurde von Haerdlt, wenn man so will, bis in die reduzierte Moderne eines Roland Rainer hinauf mitgegeben. Jedes Detail, jeder Handlauf, der Ort der Beleuchtung, sollte genau durchdacht sein. Und nicht umsonst ist der Pavillon, den Haerdtl für die Präsenz Österreichs auf der Pariser Weltausstellung 1937, im Moment höchster Spannung in Europa und auch ästhetischer Wettkämpfe zwischen den Nationen, entwickelt hat, so etwas wie der Höhepunkt seines klaren Gestaltungswillen: Österreich, es hatte trotz innerer Verwerfungen noch einmal so etwas wie international aufgezeigt – und sich der Welt, anders als im Inneren, modern, offen und klar präsentiert: Der drückende Nationalsozialismus von außen brachte dem autoritären Ständestaat wie im Fall der Salzburger Festspiele nach außen in der Welt noch internationales Renommee.

Oswald Haerdtl in seinem Atelier
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Kettenraucher und Nachtarbeiter: Oswald Haerdtl in den 1950ern in seinem Atelier

Mittelstarker Mut zur Moderne nach 1945

Auch wenn maßgebliche Architekten der Nachkriegszeit wie Johannes Spalt im Fall von Haerdtl den Höhepunkt seiner Schaffenskraft zwischen den Kriegen verorten, so hat Haerdtl mit einer Reihe öffentlicher Bauten gerade das Bild des Nachkriegswien entscheidend mitgeprägt, man denke nur an das Gebäude Ecke Singerstraße-Kärntnerstraße – und eben auch das letzte Gebäude vor seinem Tod 1959, das Historische Museum der Stadt Wien. Gemeinsam mit den Architekten Karl Schwanzer und Wilhelm Schütte hatte Haerdtl die Arbeitsgruppe CIAM gegründet, die eine großzügige Lösung für die Wiederherstellung der Westseite des Stephansplatzes vorgesehen hätte, unter anderem das Projekt einer „Großen Galerie“ gegenüber dem Riesentor des Domes, das Wien eine andere Positionierung in der Nachkriegsmoderne gebracht hätte – und der Stadt auch später die leidigen Diskussionen um ein Haas-Haus neu erspart hätten.

Entwurf für die Große Galerie am Stephansplatz
Foto/Nachlass Haerdtl/Loecker/AzW
1974 dokumentierte die Angewandte in Wien das Gesamtwerk Haerdtls. In dem von Johannes Spalt mitherausgegebenen Band war jenes Projekt zu sehen, das Haerdtl gemeinsam mit Schütte und Schwanzer gegenüber dem Stephansdom realisieren wollte: Eine große Galerie wäre es geworden. Und ein Fenster Österreichs zur Nachkriegsmoderne.

Museum will dem Original näher kommen

„Wir werden dem Original von Haerdtl wieder deutlich näher kommen, als der Erhaltungszustand des Gebäudes vor der Sanierung war“, verspricht jedenfalls Heribert Fruhauf, der im Wien Museum Beauftragter für den Umbau des letzten Werkes von Haerdtl ist. Bei der Steinfassade werde man etwa wieder dem Original deutlich näher kommen als bei der Version, die man zuletzt am Gebäude sah – das waren nämlich Platten aus den 1980er Jahren, die am Ende so schlecht gehalten haben, dass man das Gebäude einrüsten musste, damit Teile der Außenhaut nicht hinunterzustürzen drohten.

Bis Ende 2023 soll ja der Umbau des Wien Museums nach einem Entwurf der Architekten Certov, Winkler & Ruck abgeschlossen sein, der die Nutzfläche des Gebäudes von 6.900 auf 12.000 Quadratmeter erhöhen soll und dem Museum die Chance ermöglicht, seinen umfassenden Bestand nebst temporären Ausstellungen in deutlich umfassenderen Umfang darzustellen. Der dabei geplante Dachaufbau, von den Wienern schon liebevoll Matratze genannt, wird dem Gebäude komplett neue Nutzungsszenarien geben, wie eine Führung am Freitag unter dem Gerippe der teils freischwebenden Dachstahlkonstruktion zeigte. Erstmals werden Besucher Wien auch vom Dach eines Haerdtl-Gebäudes erleben können. Wie sich das anfühlt, konnte auf der Baustelle begutachtet werden, während die 500-Tonnen-Stahlteile noch mit Spezialkränen auf den sanierten Bau aus den späten 1950er Jahren gehoben wurde.

Da der Haerdtl-Bau unter Denkmalschutz steht, habe man vor der Sanierung viele Teile ausgebaut, erklärt Fruhauf. Andere Elemente, wie etwa das ebenso denkmalgeschützte Treppenhaus, habe man teilausbauen können – und Elemente wie etwa alte Handläufe bereits liebevoll saniert, erzählt die Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit Konstanze Schäfer.

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Baustelle des Wien Museums
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So wird man vom Cafe künftig auf Wien schauen können
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Mit Schwerlastenkränen wird die Tragkonstruktion für das neue Dach auf den Haerdtl-Bau gehoben
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Detail von der Baustelle
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In der neuen Klimazentrale: Das Museum wird und muss ein „grüner“ Bau sein
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Blick in Verwaltungstrakt des Museums
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Nur noch Reste der Außenmauern erzählen vom 1950er Bau
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Dachlandschaft mit Karlskirche
Baustelle des Wien Museums
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Das Gerippe der „Matratze“

Eingriff und Erhaltung: Ein schwieriger Spagat

Damit Haerdtl fit für die Zukunft ist, wurde er bis auf die Grundmauern entkernt – und das Gebäude, das ja im Schwemmland des Wienflusses auf dem Bereich ehemaliger Markthallen steht, auf Bohrpfähle gestellt, die teilweise 40 Meter in die Erde hineingehen. Tief unten aus der Erde holt man sich mit 30 Sonden Erdwärme, denn geheizt und gekühlt soll das neue Wien Museum komplett ohne Anschluss an eine Außenversorgung werden. Aus diesem Grund wurden auch alle Decken des Gebäudes neu gemacht, über die schließlich die Klimagestaltung neu erfolgen soll.

Cafe Prueckel in Wien
Berthold Steinhilber / laif / picturedesk.com
Liebe zum Detail: Haerdtls Erbschaft im Wiener Cafe Prückel

Erhalten bleiben wird im Umbau auch das traditionelle Gesicht des Museums – Haerdtls goldene Eloxalfenster-Konstruktionen, die am Ende aber mit einem Spezialglas ausgestattet werden, das sich abdunkelt. In vielem, so erzählt der Projektleiter für den Umbau im Museum, habe man das Gebäude auf einen zeitgemäßen Stand bringen müssen. Aber, so betont man an jedem Moment im Museum: Eigentlich wolle man damit dem Original – und dem Geist seines Erfinders wieder deutlich näher kommen.

Bild vom neuen Wien Museum in der Fertigstellung
Architekturrendering Certov / Winkler + Ruck Architekten
So soll der letzte Haerdtl-Bau 2023 aussehen

Ob die Erhaltung Haerdtls im Geist des Erfinders gelungen ist, wird man am Ende möglicherweise weiter kontrovers diskutieren. Tatsächlich hat Österreich aber ein Bewusstsein für die Bedeutung gerade seiner Bauten der Nachkriegsmoderne wieder gefunden. Die fotografischen Arbeiten eines Stefan Olah bis hin zu aktuellen Coffeetable-Books zum Midcentury Vintage Vienna haben dazu erheblich beigetragen. Vielleicht gibt es ja so etwas wie einen Denkmalschutz gelebter Erhaltung, die die Arbeiten dieser Phase der Geschichte in ihrer eigenen Leistungskraft zu würdigen weiß. Auch an der Wiener Staatsoper soll bald die 1950er-Dekoration in altem Glanz wieder erstrahlen.