Kinder am Eingang zur Schule
APA/Hans Punz
Befragung

Mehrheit der Lehrer froh über offene Schulen

Eine aktuelle Erhebung der Universität Wien unter Lehrerinnen und Lehrern zeigt interessante Entwicklungen in der Schule während der Pandemie auf. Vor allem die hohe Anpassungsfähigkeit von Lehrkräften, Eltern und Schülerinnen und Schülern wird verdeutlicht. Mit dem Schulsystem gehen die Lehrkräfte aber hart ins Gericht.

Die Frage, ob die Schulen angesichts der steigenden Infektionszahlen unter Kindern offen gehalten werden sollen, wird derzeit viel diskutiert. ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann verteidigte wiederholt die Regelung, die Schulen trotz Lockdowns offen zu halten. Auch die Bildungsreferentinnen und -referenten der Länder hatten sich am Donnerstag dafür ausgesprochen. So sah es am Freitag auch die Wiener Kinder- und Jugendanwaltschaft. Die Bedeutung des Schulbesuchs sei kaum hoch genug einzuschätzen, hieß es in einer Aussendung.

Die aktuelle Studie der Uni Wien steuert nun die Stimmen der Lehrkräfte bei: Laut der Erhebung ist eine Mehrheit von 60 Prozent dafür, die derzeitige Regelung mit offenen Schulen und Aufhebung der Präsenzpflicht beizubehalten. Dem stehen 37 Prozent gegenüber, die für neuerliche Schließungen plädierten.

Mehr als 500 Lehrkräfte befragt

Unter der Leitung von Susanne Schwab und Katharina-Theresa Lindner läuft derzeit die dritte Erhebungsphase einer Studie zum Thema „Inklusive Bildung während der Pandemie“. Im Zuge dessen werden Lehrpersonen zu Erfahrungen und Einstellungen hinsichtlich der aktuellen bildungspolitischen Maßnahmen sowie ihres Arbeitsalltags befragt.

Die ersten beiden Befragungen fanden während der ersten (Frühjahr 2020) und zweiten (Herbst 2020) nationalen Schulschließungen statt, die dritte wurde nun in zeitlicher Übereinstimmung mit den neuen Schulregeln gestartet. Seit Beginn der laufenden Befragung nahmen bereits über 500 Lehrpersonen aus ganz Österreich teil – der Schwerpunkt lag dabei auf den Pflichtschulen.

Als Grund für die Ablehnung von Schulschließungen nannten die Lehrkräfte vor allem das gemeinsame Arbeiten, die sozialen Interaktionsmöglichkeiten und das „Nicht-verloren-Gehen“ der Schülerinnen und Schüler.

Belastung groß, Anpassungsfähigkeit auch

Eindeutig ist das Urteil der Pädagoginnen und Pädagogen über die Arbeitsbelastung: 87,5 Prozent berichteten über einen (deutlich) erhöhten Arbeitsaufwand im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie. 48 Prozent fühlten sich in der aktuellen beruflichen Situation stark belastet – im Vergleich zu den Ergebnissen des ersten (60,8 Prozent) und zweiten (74,3 Prozent) nationalen Lockdowns zeigte sich hier aber eine deutliche Verbesserung.

Sollen die Schulen offen bleiben?

Wie sieht die Bilanz der ersten Unterrichtswoche im Lockdown aus? Darüber sprach ORF2-Chefredakteur Matthias Schrom mit seinen Gästen.

Das lasse darauf schließen, dass „sowohl alle Beteiligten ein erhöhtes Maß an Anpassungsleistung aufweisen als auch die derzeitige Regelung positiver erlebt wird als flächendeckende Schulschließungen“, schreiben die Forscherinnen.

Schlechtes Zeugnis für Schulsystem

Deutlich negativer als vor den Lockdowns bewerteten die Lehrerinnen und Lehrer das Schulsystem. Vor der Pandemie beurteilten sie dieses nach Schulnoten im Schnitt mit „Gut“, während des zweiten Lockdowns griffen sie durchschnittlich zum „Befriedigend“, wobei aber jede zehnte Lehrkraft einen Fünfer verteilte. Aktuell erhielt das Schulsystem mit Inkrafttreten des neuen Erlasses (seit 22.11.2021) schon von 36 Prozent ein „Nicht genügend“, weitere 29 Prozent vergaben einen Vierer.

Als „tröstlich“ sehen die Wissenschaftlerinnen, dass sich laut den Auskünften der Studienteilnehmenden durch die Umstände „Kooperationsteams“ zwischen Lehrpersonen, Erziehungsberechtigten sowie Kindern und Jugendlichen gebildet hätten. 58 Prozent der teilnehmenden Lehrerinnen und Lehrer berichteten über einen (eher) guten Umgang der Erziehungsberechtigen mit den Herausforderungen der aktuellen Krisensituation.

Auch nahmen 87 Prozent die Zusammenarbeit mit Erziehungsberechtigten im Vergleich zu früheren Schulschließungen als gleichbleibend oder verbessert wahr. Sowohl Lehrkräfte als auch Schülerinnen und Schüler orteten auch eine Weiterentwicklung der digitalen Kompetenzen.

Schulschließungen mit schweren Folgen

Eine andere Studie zeigte am Freitag die Folgen der vergangenen Schulschließungen auf. Diese hatten laut der Untersuchung des Instituts für Höhere Studien (IHS) große Auswirkungen auf die Bildungslaufbahn vieler Jugendlicher. So gingen etwa rund 5.000 zusätzliche Jugendliche bzw. sechs Prozent des Altersjahrgangs beim Übertritt von der Sekundarstufe 1 (v. a. AHS-Unterstufe/Mittelschule) in die Lehre bzw. die Oberstufenschulen verloren, so die Studie von Mario Steiner.

Für seine Analyse verglich er Zahlen aus der Lehrlingsstatistik bzw. jener des Bildungsministeriums der Schuljahre 2019/20 und 2020/21. Bei der Gesamtzahl der Schülerinnen und Schüler seien keine dramatischen Entwicklungen feststellbar gewesen, so Steiner am Freitag bei einer vom IHS organisierten Fragerunde.

„Wenn man sich aber nur die Neueintritte ansieht, stellen wir fest, dass wir überall Rückgänge zu verzeichnen haben.“ Es scheine also „massive Ein- und Übertrittsprobleme“ zu geben. Derzeit wisse man auch nicht, wo diese 5.000 Jugendlichen hingekommen seien. Ein Teil davon könnte durch die überbetriebliche Lehrlingsausbildung bzw. AMS-Schulungen aufgefangen worden sein, vermutete Steiner. Andere könnten frühe Bildungsabbrecher sein.

Sorgen um Schüler steigen

In einer weiteren Untersuchung befragte Steiner Lehrerinnen und Lehrer zum Fernunterricht im ersten und zweiten Lockdown (Mai bzw. Ende November/Anfang Dezember 2020) an Mittelschulen und AHS-Unterstufen. Im ersten Schul-Lockdown äußerte ein Drittel Sorgen, dass sich das Kompetenzniveau der Schülerinnen und Schüler verschlechtert – bezogen auf die benachteiligten Schüler waren es sogar drei Viertel.

Im zweiten Lockdown stiegen diese Zahlen dann auf 56 Prozent (bei allen Schülern) bzw. 78 Prozent (benachteiligte Schüler). „Sie können sich vorstellen, wo die Zahlen jetzt sind nach vier Lockdowns und wo der fünfte eventuell vor der Tür steht“, so Steiner.

Schulschließungen könnten daher nur die Ultima Ratio sein, so der Forscher. Wann diese erreicht sei, müssten aber Virologen und Epidemiologen sagen. Die nunmehrige Regelung mit offenen Schulen und der Aufhebung der Präsenzpflicht sei „unter den schlechten Optionen noch eine der besten Entscheidungen“. Als Handlungsansatz empfahl er unter anderem einen Ausbau des Jugendcoachings bzw. der Unterstützungsangebote für benachteiligte Kinder und Jugendliche.

An den Schulen müsse die digitale Infrastruktur ausgebaut sowie in Unterstützungspersonal in der Administration sowie der Schulpsychologie und -sozialarbeit investiert werden. Außerdem müssten ein Sozialindex ordentlich implementiert, die Lehrpläne schlanker gestaltet und langfristig der Schwerpunkt von der Wissens- auf die Kompetenzvermittlung gelegt werden.