Teströhrchen
APA/dpa/Oliver Berg
Omikron-Variante

Experten zwischen Besorgnis und Zuversicht

Die neue Variante des Coronavirus mit dem Namen Omikron hat weltweit neue Sorgen ausgelöst. Die zuerst in Südafrika entdeckte Mutation ist auch in Europa schon nachgewiesen, mehrere Verdachtsfälle – darunter auch einer in Tirol – werden überprüft. Bei Wissenschaftlern löste die neue Variante ebenfalls Besorgnis aus, vor allem wenn sich die vermutete weit höhere Ansteckungsgefahr bewahrheiten sollte. Doch viel Fragen sind noch offen – und es besteht die Zuversicht, dass Impfungen und Antikörper auch gegen diese Variante helfen.

Noch wisse man über die Mutation relativ wenig, sind sich Expertinnen und Experten einig. In den betroffenen Regionen in Südafrika hat sich das Virus rasend schnell ausgebreitet. Das ist ein Hinweis darauf, dass es weit ansteckender ist als die bisherigen Varianten. Möglicherweise wurde es aber auch durch Superspreader-Events verbreitet – das könnte das Bild verzerren.

Hinweise, dass die Variante für schwerere Erkrankungsverläufe verantwortlich ist, gibt es bisher noch nicht. Ebenfalls unklar ist, wie gut es sich gegen die vorherrschende Delta-Variante durchsetzen kann. Und schließlich bleiben die wichtigsten Fragen, ob die Impfungen auch gegen die neue Mutation schützen und wie die Immunantwort von bereits Genesenen auf die neue Variante aussieht.

„Kein Neuanfang“

Der in New York arbeitende österreichische Impfstoffforscher Florian Krammer sieht noch viele zu klärende Fragen. Erst in zwei, drei Wochen werde man über die Variante mehr wissen. Diese könnte tatsächlich zum Problem werden, allerdings stehe man nicht schutzlos da. Eine angepasste Booster-Impfung würde wohl für eine gute Immunantwort reichen – auch das Immunsystem selbst mit B- und T-Zellen würde helfen.

Südafrikanische Ärzte: Symptome bisher mild

Die Ärztevereinigung in Südafrika (SAMA) berichtete indes, dass die bisher Betroffenen nicht schwer erkrankt seien. Berichtet wurde meist von einem „schmerzenden Körper und Müdigkeit, extremer Müdigkeit, und wir sehen es bei der jüngeren Generation“, so die Vorsitzende, Angelique Coetzee, zur BBC. Es handle sich nicht um Patienten, die direkt in ein Krankenhaus eingeliefert würden, sagte Coetzee.

Dem „Telegraph“ sagte sie, man müsse sich aber Sorgen machen, dass die neue Variante ältere Menschen, die zusätzlich an Diabetes oder Herzkrankheiten litten, viel härter treffen könnte. In Südafrika sind nur etwa sechs Prozent der Bevölkerung über 65 Jahre alt. Nur etwa 24 Prozent sind voll geimpft. Zum ersten Mal sei sie Anfang November auf ungewöhnliche Symptome aufmerksam geworden. Coetzee war den Angaben zufolge die erste südafrikanische Ärztin, die die Behörden am 18. November auf Patienten mit einer neuen Variante aufmerksam gemacht hatte.

Impfstoffentwickler zuversichtlich

Der Entwickler des AstraZeneca-Impfstoffs gegen Covid-19, Andrew Pollard, geht derzeit jedenfalls nicht von einem dramatischen Neuanfang der Pandemie durch Omikron aus. „Es ist sehr unwahrscheinlich, dass es in einer geimpften Bevölkerung einen Neustart der Pandemie wie im letzten Jahr geben wird“, sagte der Immunologe von der Universität Oxford am Samstag in einem BBC-Interview. Man müsse einige Wochen warten, um sichere Ergebnisse zu haben, es gebe jedoch Anlass zur Hoffnung, dass die Impfstoffe gegen schwere Erkrankungen weiterhin wirken.

Erster Omikron-Verdachtsfall in Tirol

In Österreich gibt es den ersten Omikron-Verdachtsfall. Nachdem bereits in anderen europäischen Ländern die neue Virusmutation B.1.1.529 aufgetaucht ist, liegt laut Land Tirol Samstagabend ein mit einer Südafrika-Reise assoziiertes positives PCR-Testergebnis im Bezirk Schwaz vor.

Ähnlich äußerte sich die Unternehmenssprecherin von Pfizer Österreich, Renee Gallo-Daniel, am Samstag in der ZIB1. Die Impfstoffhersteller seien darauf vorbereitet und könnten ihre Impfstoffe Omikron anpassen: „Wenn wir wissen, dass der bestehende Impfstoff diese Wirksamkeit nicht hat, dann können wir innerhalb von sechs Wochen einen adaptierten Impfstoff ‚kreieren‘ und können ca. 100 Tage danach zur ersten Auslieferung der ersten Charge kommen.“ Voraussetzung dafür sei eine Zulassung der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA).

Der Impfstoffhersteller Moderna nahm bereits am Donnerstag die Arbeit an einem Impfstoff gegen die Omikron-Variante auf. Hunderte Beschäftigte hätten nach ersten Veröffentlichungen zur Mutante direkt an dem in den USA üblicherweise groß gefeierten Festtag Thanksgiving angefangen, an einer entsprechenden Anpassung des Impfstoffs zu arbeiten, sagte der Chef des Pharmakonzerns, Paul Burton, am Sonntag in einem BBC-Interview. Es fehlen noch gesicherte Erkenntnisse zu der neuen Variante, so Burton. Sollte ein neues Vakzin hergestellt werden müssen, könnte die Produktion Anfang 2022 im großen Stil beginnen. Er sei grundsätzlich „optimistisch“, man habe viele Werkzeuge.

„Variante nicht mehr zu stoppen“

Laut Einschätzung des Molekularbiologen Ulrich Elling von der Akademie der Wissenschaften lässt sich die Variante nicht mehr stoppen. Es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis auch in Österreich die ersten Fälle registriert werden. Am Samstagabend meldete das Land Tirol schließlich den ersten Omikron-Verdachtsfall – mehr dazu in tirol.ORF.at.

Elling sagte am Samstag in der ZIB1: „Im Moment bleibt uns nur impfen und boosten in der Hoffnung, dass diese Booster-Impfung möglichst gut wirkt. Dazu liegen noch keine Labordaten vor.“ Der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI) in Berlin, Lothar Wieler, sagte: „Alle Menschen, die sich impfen lassen, fangen nicht bei null an, wenn sie sich mit einer neuen Variante infiziert haben.“ Sie hätten auf jeden Fall schon einen gewissen Impfschutz, das sei entscheidend zu wissen.

Elling plädierte „dringend“, einen Krisenstab einzurichten, mit Experten aus verschiedenen Fachrichtungen, der regelmäßig tagt. „Denn wir müssen davon ausgehen, dass die Parameter der Pandemiebekämpfung sich in den nächsten Tagen und Wochen komplett ändern werden“, so der Molekularbiologe.

Bergthaler: „Grund zur Besorgnis“

Der Virologe Andreas Bergthaler hatte bereits am Freitag im Interview mit der ZIB2 „Grund zur Besorgnis“ geortet, es handle sich bei der neuen Variante um eine „Kollektion von Mutationen, die erlaubt, die Immunität zu umgehen“. Bei der Frage, ob Omikron ansteckender sei, „wäre ich vorsichtig, die Annahme beruht noch auf sehr wenigen Fällen“, so Bergthaler.

Molekularbiologe Bergthaler zur Variante Omikron

Sind die bereits erfolgten Abschottungen und Reiseverbote das richtige Gegenmittel und wirken unsere Impfstoffe noch? Fragen an den Wiener Molekularbiologen Andreas Bergthaler.

Die Variante sei erst am Mittwoch erstmals entdeckt worden – man sei also „relativ früh dran“, man wisse nicht, ob sich die neue Variante in Europa bereits ausgebreitet habe. Man müsse gut überwachen, mittels PCR könne man diese Mutation relativ einfach erkennen. Die Frage sei, „ob Omikron in die Fußstapfen von Delta tritt, dann hätten wir ein Problem“.

Warnung vor noch gefährlicheren Varianten

Der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, warnte unterdessen vor der Entstehung noch gefährlicherer Varianten des Coronavirus. „Meine große Sorge ist, dass es zu einer Variante kommen könnte, die so infektiös ist wie Delta und so gefährlich wie Ebola“, sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Die neue Variante B.1.1.529 sei ein gutes Beispiel dafür, dass man dem Virus keine Chance zur Mutation geben dürfe. Um weitere Varianten zu verhindern, werde es nötig sein, die Welt noch jahrelang zu impfen, sagte Montgomery.

WHO: Neue CoV-Variante „besorgniserregend“

Die WHO hat die neue, zuerst in Südafrika festgestellte CoV-Variante B.1.1.529 als „besorgniserregend“ eingestuft. Der Erreger „weist eine große Zahl von Mutationen auf“, begründete das zuständige WHO-Expertengremium die Entscheidung. Die Variante wurde mit dem griechischen Buchstaben Omikron versehen.

Der Erreger war am Freitag von der WHO als „besorgniserregend“ eingestuft worden. Das ist laut WHO-Definition ein Signal dafür, dass eine Variante ansteckender ist oder zu schwereren Krankheitsverläufen führt. Der Erreger „weist eine große Zahl von Mutationen auf“, begründete man die Entscheidung. Außerdem besteht bei „besorgniserregenden Varianten“ die Gefahr, dass herkömmliche Impfungen, Medikamente oder Maßnahmen weniger wirksam sind.

Ob B.1.1.529 ansteckender oder aggressiver ist als bisherige Varianten, wird sich laut WHO erst in einigen Wochen herausstellen. Bisher hatte die internationale Gesundheitsbehörde vier „besorgniserregende Varianten“ identifiziert: Alpha, Beta, Gamma sowie Delta, die wegen ihrer hohen Übertragbarkeit zur vierten Pandemiewelle beitrugen.