Die Straße Rue de la Loi, Brüssel
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Europäische Seidenstraße?

„EU muss eigenen Weg finden“

Am Mittwoch hat die EU-Kommission Details zu ihrer Infrastrukturinitiative „Global Gateway“ vorgestellt. Wenn auch nicht explizit als solche tituliert, gilt das Investitionsprojekt in Milliardenhöhe doch als Antwort auf Chinas „Neue Seidenstraße“. Neben Lob kam von Fachleuten vorab jedoch auch Kritik. So meint etwa die Expertin Weinian Hu im Gespräch mit ORF.at: Die EU solle nicht das Gleiche machen wie China, sondern müsse ihren eigenen Weg finden.

In den kommenden sechs Jahren sollen bis zu 300 Milliarden Euro in die Infrastruktur von Schwellen- und Entwicklungsländern investiert werden. „Es gibt einen immensen Investitionsbedarf, was die Infrastruktur betrifft“, sagte von der Leyen bei der Präsentation der Pläne am Mittwoch.

Die EU-Initiative namens „Global Gateway“ (etwa: Tor zur Welt) könnte nach ihren Worten unter anderem Verkehrsverbindungen, Datenkabel unter dem Meer und neue Gesundheitseinrichtungen finanzieren. Die EU wolle dabei als „vertrauenswürdiger“ Partner in der Welt auftreten und mit demokratischen Werten punkten, sagte von der Leyen. Sie zeigte sich überzeugt, China damit Paroli bieten zu können.

Bahnhof in Quingbaijiang, China
AP/Imaginechina/Yi fang
Hintergrund der Pläne ist insbesondere der stark wachsende Einfluss Chinas, das mit seiner „Seidenstraßen“-Initiative international in Infrastrukturprojekte investiert

„Deutliches Signal“

Markus Beyrer, Generaldirektor des in Brüssel tätigen Lobbying-Verbandes BusinessEurope, sieht in der „Global Gateway“-Initiative ein „deutliches Signal“ sowie einen „deutlichen geopolitischen Anspruch“, den die EU damit stellt.

„Neue Seidenstraße“

China kündigte die „Neue Seidenstraße“ 2013 an. Darunter vergibt die Volksrepublik etwa Kredite an andere Länder weltweit und sichert sich dadurch politische oder wirtschaftliche Vorteile. Bis 2020 flossen darunter nach offiziellen Angaben aus Peking knapp 140 Milliarden Dollar (rund 124 Milliarden Euro). Die EU will ihr Projekt zum Teil aus EU-Programmen finanzieren, unter anderem über die Europäische Investitionsbank (EIB).

Ähnlich äußert sich Alicia Garcia-Herrero vom Brüsseler Thinktank Bruegel gegenüber ORF.at: „Es geht darum, dass die EU sicherstellt, dass sie ihren Einfluss in ihrer Nachbarschaft behält.“ Und das werde immer schwieriger. Dennoch gebe es viele Länder, die andere Optionen als China bevorzugen würden.

Stärke der EU „nicht im Infrastrukturbereich“

Eine „Europäische Seidenstraße“, um den chinesischen Einfluss zurückzudrängen? „Ich glaube nicht, dass das die richtige Antwort ist“, sagt Weinian Hu, Handelsexpertin beim Brüssler Thinktank Centre for European Policy Studies (CEPS) gegenüber ORF.at. Denn: „Die EU hat ihre eigenen Stärken. Und diese sind nicht notwendigerweise im Infrastrukturbereich.“

Diese liegen vielmehr darin, die eigenen Werte durch Dialoge und Kooperationsprojekte zu vermitteln. Darin sei die EU auch weltweit seit Jahrzehnten erfolgreich, etwa wenn es um die technische Unterstützung anderer Länder, die Aufrechterhaltung von Menschenrechten oder den Schutz der Umwelt gehe, so Hu. Das sei es, was die EU auch weiterhin tun solle – „statt sich mit China einen Wettkampf um Infrastrukturprojekte zu liefern“.

Xi Jinping, Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas
AP/Xinhua/Li Gang
Nicht zuletzt ist die „Neue Seidenstraße“ ein Prestigeprojekt des chinesischen Präsidenten Xi Jinping

„EU muss nicht das Gleiche machen wie China“

"Ich verstehe nicht, warum die EU jetzt hier ihre Strategie ändert. Die EU müsse nicht „das Gleiche machen wie China“. Sie habe das Gefühl, als ob die EU allmählich ihr Selbstbewusstsein verliere. Und weiter: „Die EU muss ihren eigenen Weg finden.“

China sei zwar „exzellent bei der harten Arbeit“, was beispielsweise den Straßenbau betreffe, bei vielen anderen Themen, etwa beim Schutz des geistigen Eigentums, blicke die Welt jedoch auf die EU. „Die EU hat eine große Regulierungsmacht, mit der sie die Welt beeinflusst“, so Hu.

China-EU-Beziehungen unter Druck

Sowohl China als auch die EU sind „globale Supermächte“ – deren Handelsbeziehungen würden sich derzeit jedoch als schwierig gestalten. Hu verweist etwa auf den Pakt zu Investitionsbeziehungen (Comprehensive Agreement on Investment), der aufgrund gegenseitiger Sanktionen eingefroren sei.

„Es gibt derzeit viele Schwierigkeiten, die Beziehungen sind eingerostet, die Atmosphäre ist kalt, doch wir brauchen einen Durchbruch“, analysiert Hu. China und die EU müssten die Dialogbereitschaft wiederherstellen und stärker miteinander kooperieren.

EU-Komissionspräsidentin Von der Leyen, Brüssel
AP/Pool Photo/Johanna Geron
Von der Leyen will die „Global Gateway“-Initiative an diesem Mittwoch bei einer Pressekonferenz in Brüssel vorstellen

Gesamteuropäischer Ansatz gefordert

Beyrer betont unterdessen die Wichtigkeit, bei der „Global Gateway“-Initiative einen gesamteuropäischen Ansatz zu verfolgen – nur so könne man auf globaler Ebene im Wettbewerb mit China oder den USA vorankommen.

Dass die EU vorrangig umweltfreundliche Projekte fördern möchte, sei für Beyrer dabei kein Widerspruch – im Gegenteil. Als Beispiel nennt er eine mögliche Investition in ein Projekt in Afrika, wo mit Solarenergie grüner Wasserstoff erzeugt werde – das passe „zu 100 Prozent zum Green Deal und könnte den Ländern helfen“.

300 Milliarden Euro „eindeutig nicht genug“

In einem ersten Schritt gehe es Beyrer zufolge nun aber um ein rasches Ausrollen der Infrastrukturinitiative, um zu konkreten Projekten zu kommen – etwa am Balkan, in Afrika und in weiterer Folge auch in Asien. Essenziell sei zudem eine Einbindung der Wirtschaft, „weil es notwendig sein wird, privates Geld in Projekte hineinzubringen“.

Auch Garcia-Herrero verweist auf die Finanzierung: Die „Neue Seidenstraße“ Chinas sei mit umfangreichen Investitionen und Krediten verbunden – in der Höhe von rund einer Billion Euro. 300 Milliarden Euro für eine „Europäische Seidenstraße“ seien folglich „eindeutig nicht genug“.