Sebastian Kurz
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ÖVP

Kurz-Abgang als Knalleffekt

Es hat sich abgezeichnet und kam trotzdem überraschend: Ex-ÖVP-Chef Sebastian Kurz hat seinen Rückzug aus der Politik verkündet. Der 35-Jährige führte am Donnerstag vor allem die Familie und die Geburt seines ersten Kindes als Grund an. Und doch: Dem Rücktritt gingen turbulente Monate voran. Die Ermittlungen rund um die Inseratenaffäre und wegen Falschaussage vor dem „Ibiza“-U-Ausschuss, aber auch die jüngsten Entwicklungen in der Pandemie wiegen schwer.

In den vergangenen Wochen war es still um Kurz geworden. Zuvor war er Anfang Oktober nach Bekanntwerden der Ermittlungen in der Inseratenaffäre zurückgetreten, blieb aber ÖVP-Klubchef. Kurz sprach damals von einem Zur-Seite-Treten – und ließ damit einiges offen. Doch auch ein Rückzug schien möglich, und entsprechende Spekulationen intensivierten sich seit der Geburt von Kurz’ Sohn vor rund einer Woche.

Die Verkündung des Rücktritts fiel am Donnerstag trotzdem überraschend aus. Zuerst erfuhren „Kronen Zeitung“ und die „Bild“-Zeitung von Kurz’ Plänen – die in Österreich bei Rücktritten übliche „persönliche Erklärung“ folgte gut zwei Stunden später. Auch in der Politik war laut „Kurier“ nur der engste Kreis informiert, unter anderem soll Kurz die ÖVP-Landeshauptleute angerufen haben. Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) habe hingegen aus den Medien von den Plänen erfahren.

Kurz gibt politischen Rückzug bekannt

Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat sich am Donnerstag von allen politischen Ämtern zurückgezogen.

Kurz in Rückblick „dankbar“

Kurz selbst bestätigte seinen „Abschied aus der Politik“ dann mit einer ausführlichen Abschiedsrede. Er betonte, er wolle sich in Zukunft auf seine Familie konzentrieren. Er werde sich zudem im kommenden Jahr beruflich umorientieren.

TV-Hinweis

Um 20.15 zeigt ORF2 eine ZIB Spezial zum Rückzug von Sebastian Kurz. Weiter geht es danach um 21.15 Uhr mit einem „Runden Tisch“.

Bei einem Rückblick auf die vergangenen zehn Jahre seiner politischen Tätigkeit zeigte sich Kurz „dankbar“: „Ich habe stets mein Bestes gegeben und alles versucht“, so Kurz. Er sei „dankbar für alles, was gelungen ist“, und froh, dass er für Österreich habe arbeiten dürfen. Er und sein Team hätten „stets 100 Prozent gegeben“ und „extrem viel Zeit investiert“, und er habe aus seinen Überzeugungen kein Geheimnis gemacht.

Begeisterung weniger geworden

Doch in letzter Zeit sei seine Begeisterung für die Politik etwas weniger geworden. Das habe auch mit Unterstellungen, Vorwürfen und Verfahren gegen ihn zu tun gehabt. „Das hat etwas Zehrendes“, so Kurz, „das hat in mir die Flamme kleiner werden lassen.“ Kritisch äußerte er sich zur „ständigen Beobachtung“, der er ausgesetzt gewesen sei. Er habe häufig das Gefühl gehabt, „gejagt zu werden“. „Das hat mein Team und mich aber auch zu Höchstleistungen motiviert“, sagte Kurz.

Er freue sich auf den Tag, an dem er vor Gericht erklären könne, dass alle Vorwürfe gegen ihn haltlos seien. Und er fügte hinzu: „Ich bin weder ein Heiliger noch ein Verbrecher“, sondern ein Mensch mit Fehlern, er habe Fehlentscheidungen getroffen und sei seinen eigenen Ansprüchen oft nicht gerecht geworden. „Man muss als Kanzler jeden Tag so viele Entscheidungen treffen, dass man schon in der Früh weiß, dass auch falsche Entscheidungen dabei sein werden.“

Kurz: Erfolg der ÖVP nicht auf ihn zurückzuführen

Kurz zeigte sich dankbar über „Erlebnisse und Erfahrungen“ und verwies auf politische Erfolge. Seine Abschiedsrede verband er mit einem Dank an sein Team und zahlreiche ÖVP-Funktionärinnen und -Funktionäre. Gleichzeitig wies er die Wahrnehmung zurück, dass der Erfolg der ÖVP rein auf seine Person zurückzuführen sein. Es gebe „viele erfahrene Kräfte, viele junge Talente, ganz viele Gemeindefunktionäre“.

Internationale Medien über Kurz-Rückzug

Auch international wird vom Rückzug von Sebastian Kurz aus der Politik berichtet.

Auch die Geburt „des eigenen Kindes“ habe ihn zum Rücktritt von allen Ämtern bewogen, so Kurz: „Bei der Geburt meines Kindes ist mir bewusst geworden, wie viel Schönes und Wichtiges es auch außerhalb der Politik gibt.“ Für die Familie sei in den letzten Jahren zu wenig Zeit gewesen. Er freue sich nun, Zeit mit seinem Kind und seiner Familie zu verbringen, bevor er sich im kommenden Jahr „neuen Aufgaben“ widmen werde.

Inseratenaffäre erschütterte Innenpolitik

Die Ermittlungen zu Inseratenkorruption haben im Oktober die ÖVP-Grünen-Koalition erschüttert. Gegen Kurz und sein enges Umfeld wird wegen des Verdachts der Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit ermittelt. Kurz wird von der WKStA verdächtigt, den ehemaligen Generalsekretär des Finanzministeriums, Thomas Schmid, mit der Organisation eines mutmaßlichen Umfragedeals mit der Zeitung „Österreich“ beauftragt zu haben.

Sebastian Kurz vor seinem Rücktritt als Bundeskanzler
APA/Georg Hochmuth
Kurz bei seinem Rücktritt als Bundeskanzler. Er sagte damals, er werde „zur Seite treten“.

Dabei sollen unter Mitwirkung der Meinungsforscherin Sabine Beinschab u. a. Umfragen zugunsten der ÖVP geschönt worden sein. Dafür soll sie Scheinrechnungen gestellt haben. Das soll sich während der Phase des Machtwechsels in der ÖVP von Ex-Vizekanzler und -Klubchef Reinhold Mitterlehner zu Kurz ereignet haben – Stichwort „Projekt Ballhausplatz“. In der Affäre war Kurz als Kanzler zurückgetreten, der ehemalige Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) ist seither Kanzler.

Grafik zur Karriere von Sebastian Kurz
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Gegen Kurz wird zudem wegen Falschaussage im „Ibiza“-U-Ausschuss ermittelt. In dieser Causa geht es im Kern darum, wie sehr Kurz in Postenbesetzungen involviert war – vor allem bei der Bestellung seines Vertrauten Schmid zum Vorstand der ÖBAG. Es gilt die Unschuldsvermutung, Kurz bestreitet die Vorwürfe.

Jubel der ÖVP nach dem Wahlsieg 2017
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Kurz nach seinem Wahlsieg 2017

Turbulente Karriere

Kurz hat eine politische Ausnahmekarriere hinter sich – er war beispielsweise jüngster Staatssekretär, jüngster Außenminister, jüngster ÖVP-Obmann, jüngster Regierungschef, aber auch jüngster Altkanzler. Der 35-Jährige startete 2003 in der Jungen Volkspartei (JVP), deren Obmann er von 2008 bis 2017 war. Er stieg als Zukunftshoffnung unter Michael Spindelegger (ÖVP) rasch in der Partei auf, wurde 2011 mit nur 26 Jahren Integrationsstaatssekretär.

Die politische Laufbahn von Kurz

Die politische Laufbahn von Sebastian Kurz ist am Donnerstag vorerst zu Ende gegangen, und das im Alter von nur 35 Jahren. Ein Rückblick auf seine Karriere in der Politik.

Nach der Nationalratswahl 2013 wurde er Außenminister. In diese Amtszeit fiel auch die Flüchtlingskrise, in der sich Kurz mit einer harten Linie in der Migrationspolitik positionierte – Stichwort Balkan-Route. 2017 wandten sich Teile der ÖVP gegen Mitterlehner, Kurz übernahm die Partei und sicherte sich dabei große Machtbefugnisse, auch in den Ländern. Er beendete kurze Zeit später die Koalition mit der SPÖ und rief vorgezogene Neuwahlen aus.

Mit einer personell und farblich türkis umgefärbten ÖVP gewann die Partei die Nationalratswahl mit einem deutlichen Plus von 7,5 Prozent und stellte mit Kurz fortan den Kanzler. Die ÖVP ging eine Koalition mit der FPÖ ein, diese zerbrach aber nach dem Erscheinen des „Ibiza-Videos“. Kurz wurde vom Parlament das Misstrauen angesprochen, eine Expertenregierung eingesetzt.

„Ibiza“ als Ausgangspunkt

Das Video war der Ausgangspunkt für zahlreiche weitere Ermittlungen im Umfeld der ÖVP und der FPÖ. Unter anderem wurde das Handy von Schmid konfisziert, das zahlreiche Anhaltspunkte lieferte. Seither stand Kurz stetig unter politischem Druck, der von der Pandemie verschärft wurde. Nach Zerbrechen der ÖVP-FPÖ-Koalition kam es 2019 zu Neuwahlen, in denen die ÖVP einen klaren Wahlsieg mit 37,5 Prozent der Stimmen verbuchen konnte.

Es folgte eine ÖVP-Grünen-Regierung, die ganz im Zeichen des Coronavirus steht. Die Skandale in der ÖVP – auch gegen den Kurz-Vertrauten und Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) wird ermittelt – kamen damit doppelt zur Unzeit. Die Partei musste sich die Kritik gefallen lassen, zu sehr mit sich selbst beschäftigt zu sein. Kurz habe zudem die Pandemie verfrüht für beendet erklärt, sagten zuletzt viele Kritiker.

Dank von Van der Bellen

Bundespräsident Alexander Van der Bellen bedankte sich bei Kurz für dessen Tätigkeit als Kanzler sowie für die „gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit“. Er habe ihm zudem „alles Gute für die Zukunft“ gewünscht. Kogler bekundete großen Respekt. „Wir haben gemeinsam in der Bundesregierung trotz aller Unterschiede viel erreicht“, sagte der Grünen-Chef.