Reisende in einer Flughafenhalle
Reuters/Chalinee Thirasupa
Omikron-Ausbreitung

„Schon vor Entdeckung um Welt gereist“

In der Coronavirus-Pandemie sorgt die rasante Ausbreitung der Omikron-Variante für anhaltende Schlagzeilen. Ob in Australien, Malaysia, New York oder Wien – in mehr und mehr Regionen wurden zuletzt neue Fälle bestätigt. Mehr als „etwas Zeit“ sei mit Reisebeschränkungen wohl nicht zu holen, sagt eine Expertin, die außer Frage stellt, dass die Omikron-Variante bereits vor ihrer Entdeckung „um die Welt gereist“ sei.

„Beim Sequenzieren der Viren sehen wir immer viele Mutationen, aber es ist nicht immer klar, ob sie ein Virus zu einer neuen Variante machen“, sagte die an der Universität Bern tätige Virologin Emma Hodcroft am Freitag im Interview mit Zeitungen der Schweizer CH-Media-Gruppe. Allerdings werde erst, wenn auf eine Häufung aufmerksam gemacht werde, gezielt nach einer Variante gesucht.

Im Fall von Omikron habe Hodcroft zufolge ein Virologe in London als Erster darauf aufmerksam gemacht, dass B.1.1.529 eine ungewöhnlich hohe Zahl an Mutationen am Spike-Protein aufweise. Erst dann hätten nationale Forschungsgruppen die Suche aufgenommen, und das Team in Südafrika habe eine Häufung gefunden.

ECDC: Schon bald dominante Variante in Europa

„So erklärt sich auch, warum nun nach und nach andere Länder melden, sie hätten Omikron-Nachweise, die teilweise noch früher als jene in Südafrika datieren“, sagte Hodcroft. In anderen Ländern habe es aber offenbar bisher keine deutliche Häufung gegeben. Die Fälle zeigten nur, „dass die Mutation schon um die Welt gereist ist, bevor sie entdeckt wurde“.

Mit Reisebeschränkungen lasse sich aus Sicht der Forscherin dennoch „etwas Zeit kaufen“ – sei die Mutation ansteckender, werde sie aber sowieso kommen, wie Hodcroft wieder relativierte. Das Europäische Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) rechnet jedenfalls bereits damit, dass Omikron in den nächsten Monaten zur vorherrschenden CoV-Variante in Europa werden könnte.

„Auf Grundlage der mathematischen Modellrechnungen der ECDC gibt es Hinweise, dass Omikron binnen weniger Monate mehr als die Hälfte aller SARS-CoV-2-Infektionen in der EU/im Europäischen Wirtschaftsraum verursachen könnte“, heißt es in einem aktuellen Bericht der EU-Behörde zur Einschätzung der Bedrohungslage. Derzeit herrscht die Delta-Variante in Europa vor.

„Beispielloser Anstieg“ in Südafrika

In Südafrika führte Omikron bereits zum bisher stärksten Anstieg der Infektionszahlen seit Beginn der Pandemie. Die Zunahme neuer Fälle sei „beispiellos“, sagte die ChefwWissenschaftlerin des Nationalen Instituts für übertragbare Krankheiten (NICD), Michelle Groome, bei einer Pressekonferenz.

Südafrikas Gesundheitsminister Joe Phaahla sieht sein Land wegen Omikron am Beginn einer vierten Coronavirus-Welle. Die neue Variante sei inzwischen in sieben der neun Provinzen des Landes festgestellt worden. Nach dem Auftreten der Omikron-Variante sei in Südafrika nach Angaben von Ärztinnen und Ärzten zudem die Zahl der Krankenhauseinweisungen von jüngeren Kindern deutlich gestiegen.

„Wir haben einen ziemlich starken Anstieg in allen Altersgruppen festgestellt, insbesondere bei den unter Fünfjährigen“, sagte Wassila Jassat vom NICD mit Blick auf die Hospitalisierungen. Die Inzidenz bei den unter Fünfjährigen sei nun die zweithöchste nach der Altersgruppe der über 60-Jährigen.

„Zu früh“

Ob kleine Kinder durch die neue Variante besonders gefährdet sind, sei jedoch noch unklar, erklärten Wissenschaftler und Vertreter der Gesundheitsbehörden am Freitag. Obwohl die Patienten generell mildere Symptome als bei anderen Varianten aufweisen, könnten schwerere Krankheitsverläufe erst in den nächsten zwei Wochen auftreten, so Groome.

Gesundheitsminister Phaala äußerte dennoch die Hoffnung, dass weiterhin milde Symptome und nicht schwere Verläufe mit Omikron in Verbindung gebracht werden. Für Schlussfolgerungen sei es noch zu früh, hieß es dazu von ECDC-Expertin Anastasia Pharris, der zufolge auch die in der EU nachgewiesenen Fälle weitgehend mild verlaufen seien.

Das gilt auch für den ersten in Wien bestätigten Fall bzw. weitere in der Bundeshauptstadt zuletzt bekanntgewordene Verdachtsfälle. Die Betroffenen hätten milde Krankheitsverläufe und befänden sich in Quarantäne, sagte am Freitag Sonja Ficht, Sprecherin des Gesundheitsdienstes (MA 15).

Der erste Omikron-Fall in Österreich wurde vom Gesundheitsministerium bereits am Montag in Tirol bestätigt. In Niederösterreich, wo zuletzt ebenfalls bereits ein Fall bestätigt wurde, gibt es seit Freitag einen neuen Verdachtsfall: Es handelt sich nach Angaben des Landes um einen Mann aus dem Bezirk Mödling, der einen aus Südafrika zurückkommenden Wiener vom Flughafen Wien in Schwechat abgeholt hatte – mehr dazu in noe.ORF.at.

Immer mehr Fälle ohne Reisebezug

In der EU wurde Omikron laut ECDC mittlerweile in mindestens 15 Ländern nachgewiesen, der Großteil der Fälle sei – noch – reiseassoziiert. Weltweit mehrten sich zuletzt Berichte über Infektionen innerhalb eines Landes. Am Freitag meldete etwa Australien, dass ein Student in Sydney, der noch nie ins Ausland gereist war, positiv auf die Variante getestet wurde. Bei vorher entdeckten Fällen hatte es jeweils einen Bezug zu Auslandsreisen gegeben.

Risiko für erneute Ansteckung durch Omikron

Die Omikron-Variante erhöht das Risiko, sich nach einer Infektion erneut mit SARS-CoV-2 anzustecken. Zu diesem vorläufigen Ergebnis kommt eine Studie aus Südafrika.

„Ich vermute, dass Omikron in den nächsten Monaten das neue Virus in der Welt sein wird“, sagte Paul Kelly, der oberste medizinische Berater der australischen Regierung, vor Reportern. Zum jetzigen Zeitpunkt gebe es keine Anzeichen dafür, dass die Variante gefährlicher sei als Delta, so Kelly. Insgesamt wurden in Australien bereits neun bestätigte Infektionen mit der Omikron-Variante gemeldet. Neben Australien hat auch Malaysia mittlerweile seinen ersten Fall der neuen Variante gemeldet.

Erste bestätige Omikron-Fälle gibt es seit Freitag unter anderem auch im US-Bundesstaat New York. Dazu kommen in den USA weitere Fälle aus Los Angeles sowie Hawaii. Nach Angaben der hawaiianischen Gesundheitsbehörde handle es sich um eine Person, die zuvor nicht gereist sei, weswegen man von einer Binnenausbreitung ausgehe.

Der erste in Island bestätigte Fall einer Erkrankung mit der Omikron-Variante ist schließlich ein vollständig geimpfter Mann, der außerdem eine Boosterimpfung erhalten hat. Laut einem Bericht des isländischen Rundfunks RUV sei noch völlig unklar, wie sich der 70-Jährige aus der westisländischen Stadt Akranes mit der mutierten Virusvariante angesteckt hat.

„Nicht warten, bis letzte Alarmglocke läutet“

Noch viele zu klärende Fragen gibt es auch für die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Es sei noch nicht ganz klar, wie hoch die Ansteckungsgefahr und das Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs bei der zuerst im südlichen Afrika entdeckten Virusvariante seien, sagte der WHO-Sprecher. Die WHO fordere die Hersteller von CoV-Impfstoffen dennoch auf, sich auf eine Anpassung ihrer Vakzine an die neue Omikron-Variante einzustellen.

„Es ist sehr empfehlenswert, dass die Impfstoffhersteller bereits mit der Vorausplanung beginnen und die Wahrscheinlichkeit einplanen, dass der bestehende Impfstoff angepasst werden muss“, so Lindmeier: „Es ist gut, nicht einfach zu warten, bis die letzte Alarmglocke läutet.“

Der Chef des deutschen Pharmakonzerns Biontech, Ugur Sahin, geht angesichts der Virusvariante bereits von der Notwendigkeit eines neuen Impfstoffs aus. Die Frage sei nur, wann dieses neue Vakzin benötigt werde, sagte Sahin am Freitag auf der Konferenz Reuters Next. Der Mainzer Hersteller könnte seinen mit Pfizer entwickelten und vermarkteten Impfstoff eigenen Angaben zufolge bei Bedarf relativ schnell anpassen.