Live

Der neue Wiener „Don Giovanni“

Als „Oper der Opern“ wird Mozarts „Don Giovanni“ gerne beschrieben. Und wenn es schon eine Form von Luxus in diesem Pandemiejahr gibt, dann wohl den, dass Österreich heuer gleich zwei herausragende Interpretationen dieses großen Nachtstücks erleben darf. Da war im Sommer Romeo Castelluccis Interpretation bei den Salzburger Festspielen. Und nun zeigt die Wiener Staatsoper, live auch auf ORF.at mitzuerleben, wie man mit einem ganz neuen „Don Giovanni“ in der Handschrift von Barrie Kosky in das Repertoire des Hauses ziehen kann.

Wenn der „Don Giovanni“, wie Staatsopern-Chef Bogdan Roscic zuletzt in der Matinee zu der neuen Inszenierung im Haus am Ring meint, tatsächlich so etwas wie ein „katholischer Faust“ sei, der nicht „protestantisch grübelt wie bei Goethe“, sondern frei nach E.T.A. Hoffmann alle für den Himmel versprochenen Genüsse auf der Erde konsumieren will, dann darf man gespannt sein, wie Regiemeister Kosky seine Interpretation von den geplanten drei Da-Ponte-Opern im Haus am Ring anlegt.

„Meinen bisher ersten und einzigen ‚Don Giovanni‘ hab ich mit 19 damals in Australien gemacht“, erinnert er sich – und auch wenn er findet, dass man für alle Mozart-Da-Ponte-Opern einiges an Erfahrung mitbringen sollte, ist er mit seiner damaligen Arbeit immer noch zufrieden.

Don Giovanni live

Die Premiere am 5. Dezember ist ab 18.00 Uhr weltweit live auf play.wiener-staatsoper.at zu erleben sowie ebenfalls live auf Radio Ö1. ORF III überträgt die Premiere ab 20.15 Uhr, ebenso wie tvthek.ORF.at und ORF.at hier.

„Man weint und lächelt zugleich“, bringt Kosky seine Erfahrung mit dem Stück auf den Punkt. Den „Don Giovanni“ wird er so eigenständig interpretieren wie die anderen Da-Ponte-Opern, die er gemeinsam mit Staatsopern-Musikdirektor Philippe Jordan auf die Bühne bringen will. „Man darf nicht vergessen, dass Mozart ja nie vorhatte, eine Trilogie zu schreiben. Er wollte ja auch nicht früh sterben, sondern hätte wahrscheinlich noch mehr Opern mit Da Ponte realisiert“, so Kosky im Rahmen einer Matinee im Vorfeld der sonntäglichen Premiere – die, pandemiebedingt, wieder auf allen Kanälen, von Staatsoper live, über Ö1, ORF III und tvthek.ORF.at bzw. auch hier gestreamt wird. Ohnedies weiß man bei Kosky nie so recht, ob er eine Oper minimalistisch oder über die Maßen opulent inszeniert. In jedem Fall wird es eine feindramaturgische Arbeit sein, die stets der Dramatik und Bewegung, die einem Stoff innewohnt, entsprechen wird.

Die Musik und die Farbe des Texts

Dass man die Da-Ponte-Opern nicht als Einheit sehen muss, aber musikalisch doch als zusammenhängend deuten darf, meint Musikchef Jordan. „Mozart hat sich kompositorisch doch sehr auf diese großartigen Texte und die Farbe des Texts eingelassen“, so Jordan, der letztlich die Koppelung zwischen Libretto und den ästhetischen Lösungen, die Mozart findet, preist. Ohnedies wird in Wien vieles anders klingen als zuletzt in Salzburg gesehen und gehört. In Salzburg war es ja die Interpretation von Teodor Currentzis und seinem eingeschworenen eigenen MusicaAeterna-Orchesters, das auf eine Spielweise setzt, die neue Schichten erschließen mag, aber nicht bei allen Klassikfans auf einhellige Begeisterung stößt.

Musikchef Philip Jordan bei den Proben
Peter Mayr/Staatsoper
Anweisungen vom musikalischen Leiter: Philippe Jordan bei den Proben mit Leporello Philippe Sly

Jordan wird es auf seine Art anlegen, die Klassikfans wahrscheinlich mehr entgegenkommt, die gleichzeitig, wie man es schon bei den letzten Premieren erleben durfte, aber eine moderne Lesart im Geist des Originals bietet.

Weitere Termine

Geplante Termine mit Publikum, wenn durch die CoV-Maßnahmen möglich, am 13. (Premiere vor Publikum), 14., 17., 20. Dezember 2021

Koskys Weg zum „Don Giovanni“

Und Kosky? Er wird nach der durchaus psychoanalytischeren Lesart eines Castelluccis, bei der alle Figuren ineinander verschwammen und wie im Fall von Don Giovanni und Leporello wie ununterscheidbare Doubles wirkten, auf klarere Konturierungen des Personals setzen.

Barrie Kosky bei den Proben
Peter Mayr/Staatsoper
Ein „Don Giovanni“ auf hartem Fels. Im Hintergrund Regisseur Kosky bei der Arbeit.

Don Giovanni könnte bei Kosky noch mehr Dionysiker sein als das rabiate kleine Kind, das er in der Lesart bei Castellucci war, wo der Aufmarsch des Verdrängten zum Großtableau wurde. Bei Kosky wird alles auf einem harten Felsen stehen. „Das Kreative ist bei Dionysos Teil des Destruktiven, und das Destruktive gehört dem Kreativen an“, sagt Kosky, der den griechischen Gott als eine Art Schutzpatron für Don Giovanni sieht. Die Destruktivität will Kosky freilich nicht als Brutalität verstanden sehen, und so hat er auch seinem Hauptdarsteller, dem amerikanischen Bassbariton Kyle Ketelsen für dessen Hausdebüt als Don Giovanni erklärt, dass das Schöne gesehen und zelebriert werden müsse, so etwa die Feier für das junge Brautpaar Zerlina und Masetto. Diesen Raum des Glücks muss Don Giovanni aber am Ende zerstören.

Ein Hauch von E.T.A. Hoffmann bleibt

Damit wäre man ja wieder bei der Interpretationslinie E.T.A. Hoffmanns vom vorgezogenen himmlischen Genuss auf Erden, der aber keine Erfüllung bringt. Für die Gegenwart ist freilich entscheidend, die Herangehensweise Don Giovannis als eine Form toxischer Männlichkeit zu sehen. Denn dass es ein Mann ist, der all diese Neigungen, die in jedem Menschen stecken, auslebt, ist für eine Interpretation der Gegenwart doch nicht ganz unerheblich. Wie auch eine Form der Überwindung, dass es natürlich eine heterosexuelle Selbstbespiegelung menschlicher Existenz ist.

„Charaktere wie Don Giovanni sind wie Spiegel, in denen wir uns sehen“, sagt der Regisseur. „Manchmal wie Zerrspiegel, manchmal wie Spiegel, die zerbrochen sind. Manchmal ist das Bild, das wir dabei sehen, unappetitlich.“ Für Kosky ist Theater eine Form von Safe Space, in dem die dunklen Seiten des Menschen zu erkunden sind – und insofern sind die Grundzugänge zu dieser Oper zwischen einem Castellucci und einem Kosky auch so unterschiedlich nicht.

Don Giovanni, Proben
Peter Mayr/Staatsoper
„Charaktere im Don Giovanni sind wie Spiegel unserer selbst“

Man darf sich ja auch daran erinnern, dass man in Wien in der Stadt Sigmund Freuds ist, der gerade auch aus den Aufbrucherfahrungen der 1920er Jahre im Jahr 1930 seine Studie vom „Unbehagen in der Kultur“ verfasst hat, die in der Kultur und Kunst die letztlich einzig gelungene Sublimierung des menschlichen Sexualtriebs sieht.

Dynamisches Team für die „Oper der Opern“

Erarbeitet hat den neuen Wiener „Don Giovanni“ jedenfalls ein Mozart-Ensemble, von dem man sich schon im Vorfeld szenisch hervorragende Leistungen versprach: Zu erleben sind, wie erwähnt, Ketelsen als Don Giovanni. Der Figaro der jüngsten Wiederaufnahme von „Le nozze di Figaro“, Philippe Sly, wird als Leporello sein Rollendebüt im Haus am Ring feiern.

Ein internationales Rollendebüt als Donna Elvira gibt mit der Premiere Kate Lindsey, sie sich seit der Direktion Roscics zum absoluten Publikumsliebling entwickelt hat. Mit Rollendebüts am Haus sind Stanislas de Barbeyrac als Don Ottavio und Opernstudio-Mitglied Patricia Nolz als Zerlina zu erleben. Als Donna Anna kehrt Hanna-Elisabeth Müller zurück nach Wien. Ain Anger singt den Komtur und Peter Kellner den Masetto.

Opernsängerin Patricia Nolz im Porträt

Mit 26 Jahren gilt Patricia Nolz als Shootingstar der Opernwelt. Am Sonntag gibt die in Niederösterreich geborene Mezzosopranistin in der Wiener Staatsoper ihr Debüt als Zerlina in Mozarts Oper „Don Giovanni“.

Dass dem Direktor des Hauses diese Oper mehr als wichtig ist, erkennt man letztlich auch daran, wie locker er seinen Adorno rund um diese Produktion sitzen hat. „Wenn man das Haus am Ring betritt, stellt sich sofort Andacht ein“, erinnerte sich Adorno an Wiener Opernbesuche, „selbst bei mittelmäßigen Vorstellungen“: „Man hatte sogleich das Gefühl, dass man auf Weihnachten wartete.“

Für das Leading Team der Oper ist der „Don Giovanni“ am Krampustag ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk. Für das breite Publikum könnte sich dieses Erlebnis auch einstellen. Man darf gespannt sein.