Sichergestellte Amphetamine in Damaskus
AP/SANA
Unter Assad

Syriens milliardenschweres Drogenbusiness

Nach mehr als zehn Jahren Bürgerkrieg ist Syrien wirtschaftlich am Boden. Nach Schätzungen der UNO sind mehr als 13 Millionen Menschen von den rund 20 Mio. Einwohnern und Einwohnerinnen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Das Regime unter Machthaber Baschar al-Assad und seine Getreuen fanden eine eigene Antwort auf die von Krieg und Sanktionen bedingte wirtschaftliche Misere: die illegale Droge Captagon.

Wie aktuelle Recherchen der „New York Times“ („NYT“) zeigen, entwickelte sich Syrien in den vergangenen Jahren zu einem neuen Drogenstaat mit einer Massenproduktion vor allem von Captagon. Diese synthetische Droge gibt besonders in der Golfregion und zunehmend auch in Jordanien Anlass zur Sorge. Aufgebaut wurde diese milliardenschwere Drogenindustrie von mächtigen Mitarbeitern und Verwandten Assads. Neben Captagon gelangen laut regionalen Sicherheitsbeamten vermehrt auch gefährlichere Drogen wie Crystal Meth auf die Transportrouten.

Das System ist ausgeklügelt. Die Produktionsstätten sind über das ganze Land verteilt, für den Transport der Pillen werden immer wieder neue Methoden für Verstecke eingesetzt – in hohlen Granatäpfeln, in Kaffeepaketen und eingeschlossen in Bleibarren, diese werden über eigene Schmuggelnetzwerke weitertransportiert. Wie schon bereits der „Economist“ im Sommer berichtete, stehen Produktion und Vertrieb unter Kontrolle der vierten gepanzerten Division der syrischen Armee, die von Assads Bruder, Maher al-Assad, geführt wird. Auch die Hisbollah hat laut „NYT“ ihre Finger im Spiel. Produktionsstätten werden militärisch bewacht bzw. sind in militärischem Sperrgebiet.

Starke Zunahme in vergangenen Jahren

Die „NYT“ basierte ihre Recherche auf Interviews mit Strafverfolgungsbeamten in mehreren Ländern, amtierenden und ehemaligen US-Beamten und Syrern mit Kenntnissen über den Drogenhandel. Aus diesen Angaben und auf Basis von auch in Europa beschlagnahmten Pillen wird gezeigt, wie stark der Drogenexport aus Syrien zuletzt zugenommen hat. Drogenexperten gehen davon aus, dass das gefundene Material nur ein kleiner Teil der tatsächlichen Menge ist. Es zeigt sich aber in jedem Fall die enorme Zunahme in der jüngsten Vergangenheit.

Allein heuer wurden laut „NYT“ bereits über 250 Mio. Pillen beschlagnahmt – mehr als das 18-Fache dessen, was noch vor vier Jahren gefunden wurde. Beschlagnahmungen gab es auch in mehreren europäischen Staaten. Erst im vergangenen Jahr wurden in Italien 84 Millionen Pillen sichergestellt, heuer im Mai wurden in Malaysia 94 Mio. Pillen in Gummiwagenrädern versiegelt gefunden. Absender und Empfänger sind kaum auffindbar und nachvollziehbar.

Sichergestellte Amphetamine in Italien
APA/AFP/Italienisches Finanzministerium
Der 84-Mio-Pillen-Fund in Italien im Sommer 2020 verbarg sich in drei Containern

„Drogen als Waffe“

Hauptabnehmer für die syrischen Drogen sind aber in den Golfstaaten allen voran in Saudi-Arabien zu finden. Auch der bisherige Transitstaat Jordanien wird immer mehr zum Abnehmer. Hier verdoppelte sich die im bisherigen Jahr beschlagnahmte Menge im Vergleich zum Vorjahr, hieß es vonseiten der jordanischen Drogeneinheit. Konsumenten und Konsumentinnen sind vorrangig junge Menschen.

Das könnte das syrische Regime auch in regionalen Machtkämpfen verwenden. Malik al-Abdeh, ein syrischer Beobachter, der der Opposition nahesteht, meint, dass das Regime „Drogen als Waffe gegen die Golfstaaten“ einsetze: „Die Botschaft lautet: Normalisiert die Beziehungen, oder wir werden eure Jugend vernichten“, sagte er gegenüber dem „Economist“.

Die Droge mit dem Amphetamin Fenethyllin wurde von einem deutschen Pharmaunternehmen ab den 60er Jahren als Medikament etwa gegen ADHS eingesetzt. Da es süchtig machte, wurde es Ende der 80er Jahre international verboten. Illegal wurde es weiterhin produziert. Im syrischen Krieg nahmen Kämpfer aller Seiten diese Droge – darunter auch Mitglieder der Terrororganisation Islamischer Staat (IS). In der Golfregion wird Captagon auch in der Freizeit nach wie vor stark konsumiert. Die illegale Version von Captagon umfasst meist mehrere Amphetamine, Koffeine und weitere Füllstoffe.

„Sie sind das Drogenkartell“

Das gesamte Drogenbusiness stellt die legalen Exporte Syriens – vor allem landwirtschaftliche Produkte – weit in den Schatten und geschieht den Berichten zufolge mit Unterstützung des Regimes. Laut „NYT“ hatten die Captagon-Beschlagnahmungen im vergangenen Jahr einen Wert von rund 2,9 Mrd. US-Dollar (2,6 Mrd. Euro) – mehr als das Dreifache der legalen Exporte aus Syrien. Laut „Economist“ betrug der Wert aller beschlagnahmter Drogen aus Syrien 3,4 Mrd. Dollar. Das Magazin beruft sich dabei auf Recherchen des Beratungsunternehmens Centre for Operational Analysis and Research (COAR).

Radfahrer vor Assad-Plakat in Damaskus
AP/Hassan Ammar
Assads Plakatkampagne vor der syrischen Präsidentschaftswahl im Mai diesen Jahres

„Es ist buchstäblich die syrische Regierung, die die Drogen exportiert. Es ist nicht so, dass sie wegsieht, während die Drogenkartelle ihr Ding machen. Sie sind das Drogenkartell“, sagte der frühere US-Sonderbeauftragte für Syrien, Joel Rayburn, im „NYT“-Interview. Einige der im Drogengeschäft beteiligten Geschäftsleute unterstützten auch die Präsidentschaftskandidatur Assads bei der Wahl im Mai dieses Jahres etwa bei Kundgebungen und Plakatkampagnen.

Das Drogengeschäft ist indirekt eine wichtige Säule für Assads Verbleib an der Macht. Für Dschihad Jasigi, Herausgeber des „Syria Report“ mit Schwerpunkt auf die syrische Wirtschaft, ist Captagon inzwischen die wichtigste Devisenquelle Syriens. Diese Einnahmen kämen aber nicht dem Staat zugute. An der wirtschaftlich dramatischen Situation für die Bevölkerung ändert sich nichts. Jasigi: „Sie (die Einnahmen, Anm.) werden großteils auf den Konten von Schmugglern und Warlords angelegt.“