Die scheidende deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bekommt von ihrem Nachfolger Olaf Scholz (SPD) Blumen
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Neuer deutscher Kanzler im Amt

Merkel wünscht Scholz „glückliche Hand“

In Deutschland hat der SPD-Politiker Olaf Scholz am Mittwoch die Amtsgeschäfte von Langzeitkanzlerin Angela Merkel (CDU) übernommen. Bei der offiziellen Amtsübergabe im Kanzleramt in Berlin wünschte Merkel ihrem Nachfolger eine „glückliche Hand“ bei der Führung des Landes. Scholz dankte Merkel für die „vertrauensvolle“ Zusammenarbeit der vergangenen 16 Jahre.

„Ich weiß aus eigenem Erleben, dass es ein bewegender Moment ist, in dieses Amt gewählt zu werden“, sagte Merkel an Scholz gerichtet. Die Kanzlerschaft sei laut Merkel eine spannende und erfüllende, aber auch eine fordernde Aufgabe: „Aber wenn man sie mit Freude angeht, ist es vielleicht auch eine der schönsten Aufgaben, die es gibt, für dieses Land Verantwortung zu tragen.“

Scholz würdigte seinerseits die politischen Verdienste Merkels. „Sie haben Großartiges bewegt“, sagte er. Gemeinsam hätten auch er und Merkel etliche Krisen durchgestanden, darunter die Finanzkrise 2008/09 und die Flüchtlingskrise 2015. Dass dabei stets eine „vertrauensvolle Arbeit existiert“ habe, zeige, „dass wir eine starke, leistungsfähige Demokratie sind, in der es einen großen Konsens gibt zwischen den verantwortlichen Demokraten“.

Merkel übergibt Kanzleramt an Scholz

„So viel wird sich da nicht ändern“

Dennoch habe Merkel das Land, die Regierung, aber auch das Kanzleramt besonders geprägt. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Kanzleramts versprach Scholz, anknüpfen zu wollen an „die nordostdeutsche Mentalität, die hier geherrscht“ habe: „So viel wird sich da nicht ändern.“ Später fügte er noch hinzu, ein Regierungsübergang in einer großen, nicht abgeschlossenen Krise setze auch Kontinuität und Gemeinschaft voraus. „Und ich gehe davon aus, dass uns das auch gelingt.“

Die scheidende deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) winkt neben ihrem Nachfolger Olaf Scholz (SPD)
AP/Markus Schreiber
Scholz und Merkel bei der offiziellen Amtsübergabe im Berliner Kanzleramt

Mit 395 Stimmen zum Kanzler gewählt

Der Weg ins Kanzleramt wurde für Scholz zuvor mit der Wahl zum neuen Regierungschef im deutschen Bundestag offiziell abgesegnet. Auf Scholz entfielen in der geheimen Abstimmung 395 von 707 abgegebenen Stimmen. Nötig zur Wahl waren 369 Stimmen.

Es gab 303 Nein-Stimmen und sechs Enthaltungen. SPD, Grüne und FDP, die die erste „Ampelkoalition“ im Bund bilden, verfügen im Bundestag zusammen über 416 Mandate, liegen also um 47 Mandate über der „Kanzlermehrheit“. Scholz nahm die Wahl an. Als Erster überreichte ihm SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich einen Blumenstrauß, dann Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus. Auch der unterlegene CDU-CSU-Kandidat Armin Laschet gratulierte.

Anschließend wurde Scholz vom deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier zum Kanzler ernannt. Scholz legte danach im Bundestag seinen Amtseid ab. Nach Scholz wurden die Ministerinnen und Minister angelobt.

Neu gewählter deutscher Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
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Scholz und der deutsche Präsident Frank-Walter Steinmeier

Von Pandemie bis Russland

Die „Ampel“-Parteienkoalition aus SPD, Grünen und FDP startet mit großen Herausforderungen in ihre gemeinsame Regierungsarbeit – von der Pandemie bis zum Verhältnis zu Russland. Scholz verteidigte bereits im Vorfeld seiner Ernennung Einschränkungen für Ungeimpfte als Mittel zum Brechen der vierten CoV-Welle. „Das heute uns alle beeinträchtigende Infektionsgeschehen rührt von den Ungeimpften her“, sagte er. Ganz klar sei es deshalb, dass Einschränkungen für diejenigen, die sich nicht impfen haben lassen, nötig seien. Er kritisierte Drohungen, wie sie es in Form eines Fackelaufmarsches vor dem Haus der sächsischen Gesundheitsministerin, Petra Köpping (SPD), gegeben hatte.

Besorgnis über russischen Truppenaufmarsch

Entsprechend äußerte sich auch FDP-Chef Christian Lindner am Dienstag. „Unser Staat ist eine wehrhafte Demokratie“, betonte er. Lindner vertrat die Ansicht, dass das durch die „Ampel“-Mehrheit im Bundestag geänderte Infektionsschutzgesetz zu einer gesellschaftlichen Befriedung beitragen könne. Denn wenn es auch künftig Grundrechtseingriffe im Kampf gegen CoV brauche, würden diese auf Basis von Parlamentsgesetzen vorgenommen und in öffentlicher Sitzung diskutiert.

Scholz zeigte sich auch besorgt über den russischen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine. Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa setzten Prinzipien voraus, die in der Entspannungspolitik ausgehandelt worden seien und bis heute fortwirkten. „Dazu gehört die Unverletzlichkeit und Unverletzbarkeit der Grenzen. Es ist ganz, ganz wichtig, dass niemand in den Geschichtsbüchern wälzt, um Grenzen neu ziehen zu können“, sagte Scholz. Eine Bedrohung der Ukraine sei inakzeptabel.

Deutsche Bundesregierung angelobt

Olaf Scholz (SPD) wurde vom Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier zum Kanzler ernannt. Im Anschluss wurden auch die Ministerinnen und Minister vom Bundespräsidenten angelobt.

Grüne: Klimaschutz und „Langstreckenlauf“

Vor dem Hintergrund des EU-Streits um Rechtsstaatlichkeit in Polen und Ungarn warnte Scholz vor einer weiteren Spaltung Europas. Mit Blick auf Polen sagte er, für die Bundesregierung sei es „ganz wichtig, diese Nachbarschaft freundschaftlich zu gestalten. Polen ist eine große Nation, eine Demokratie.“ Er sei sehr froh, dass Polen Teil der EU sei und man sich dort miteinander abstimme und auch manchmal miteinander ringen könne.

Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck von den Grünen bezeichnete den geplanten deutlich schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien als große Kraftanstrengung. Der Grünen-Politiker sagte, bei allen „Sonntagsreden“, die es immer gebe für mehr Klimaschutz und den Ausbau der erneuerbaren Energien – das werde „nicht ohne Zumutung“ zu haben sein. Habeck sagte, der Ausbau werde ein „Langstreckenlauf“. Die neue Regierung plant, den Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch auf 80 Prozent im Jahr 2030 zu erhöhen.

Schuldenbremse soll ausgesetzt werden

Der deutsche Staat wird nach Einschätzung von Finanzminister Lindner im kommenden Jahr nicht mehr Kredite aufnehmen müssen als bisher geplant. Die Finanzplanung des bisherigen Finanzministers Scholz sei vorausschauend gewesen und enthalte auch Reserven für Unvorhergesehenes während der CoV-Pandemie, sagte Lindner.

Scholz hatte geplant, im kommenden Jahr wegen der anhaltenden CoV-Krise noch einmal 99,7 Milliarden Euro an neuen Schulden aufzunehmen. Dafür soll erneut die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse ausgesetzt werden. Ab 2023 solle die Schuldenbremse dann wieder eingehalten werden, betonte Lindner. Zugleich sollten aber nicht genutzte Kredite aus diesem Jahr in die Folgejahre übernommen werden, sodass mehr Spielraum besteht. Das sei gerechtfertigt, weil notwendige Maßnahmen zum Klimaschutz und der Modernisierung des Staates wegen der Pandemie nicht so umgesetzt werden konnten wie geplant.

„Viel Erfolg“

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) gratulierte Scholz zu dessen Angelobung als deutscher Bundeskanzler. „Ich freue mich auf unsere Zusammenarbeit zur weiteren Vertiefung der engen Beziehungen zwischen Österreich und Deutschland“, schrieb er auf Twitter. Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen wünschte Scholz „viel Erfolg“ und „alles Gute für die kommenden Jahre“. Zudem dankte er im Namen der Republik Österreich Merkel für ihr Wirken als Kanzlerin in den letzten 16 Jahren.

Auf EU-Ebene gratulierte unter anderem Charles Michel gratulierte Scholz: „Alles Gute, lieber Olaf Scholz, zur Wahl als Bundeskanzler“, schrieb Michel auf Twitter. Er freue sich, zusammen an einem starken und unabhängigen Europa zu arbeiten. Zugleich dankte Michel, der als Ratschef die EU-Gipfel der Staats-und Regierungschefs leitet, Merkel „für viele Jahre der vertrauensvollen Zusammenarbeit.“

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wünschte Scholz ebenfalls alles Gute für sein neues Amt: „Herzlichen Glückwunsch, lieber Olaf Scholz, zur Wahl und Ernennung als Bundeskanzler“, schrieb die CDU-Politikerin auf Twitter.

Auch China und Russland gratulieren

Der chinesische Präsident Xi Jinping übermittelte chinesischen Staatsmedien zufolge dem SPD-Politiker ebenfalls seine Glückwünsche. Xi erklärte, er sei bereit, zusammen mit Scholz auf eine Vertiefung des Vertrauens zwischen beiden Ländern hinzuarbeiten und beschrieb China und Deutschland als „umfassende strategische Partner“.

Russlands Präsident Wladimir Putin strebt „konstruktive Beziehungen“ zur neuen Regierung unter Scholz an: „Wir setzen auf Kontinuität und darauf, dass sich konstruktive Beziehungen zwischen dem Präsidenten und dem neuen Kanzler einstellen“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Mittwoch in Moskau.

Videogruß von Macron an Merkel

Auf der Ehrentribüne hatten Merkel, der frühere Kanzler Gerhard Schröder, der ehemalige deutsche Bundespräsident Joachim Gauck sowie etliche Mitglieder des neuen Kabinetts die Wahl verfolgt. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron, der auch Scholz gratulierte, würdigte Merkel zum Abschied mit einem Videogruß für ihr europäisches Engagement. „Danke, dass du die Lehren der Geschichte nie vergessen und so viel für und mit uns getan hast, um Europa voranzubringen“, schrieb Macron auf Twitter. Im Französischen fügte er noch ein „chere Angela“, also „liebe Angela“, hinzu. Macron teilte dazu ein Video, das etliche gemeinsame Auftritte der beiden in den vergangenen Jahren zeigte.

So wie viele andere Staats- und Regierungschefs gab es für Scholz auch Boris Johnson einen „herzlichen Glückwunsch“. „Ich freue mich darauf, auf den starken Verbindungen zwischen unseren beiden Ländern aufzubauen und eng zusammenzuarbeiten, um bei den globalen Herausforderungen von heute Fortschritte zu erzielen“, teilte US-Präsident Joe Biden mit.