Der frisch angelobte Deutsche Kanzler Olaf Scholz im Bundestag
APA/AFP/John MacDougall
Infrastruktur

Scholz’ größte Baustelle

Auf die neue deutsche „Ampelkoalition“ von Kanzler Olaf Scholz (SPD) kommt einiges zu: Die neben der Coronavirus-Pandemie vielleicht größte Baustelle ist auch tatsächlich eine Baustelle: Das Land hat enormen Nachholbedarf bei Investitionen in die Infrastruktur bei Straße, Schiene, Stromnetzen und vor allem Digitalisierung – verstärkt durch große Ambitionen in der Klimapolitik. Dafür verantwortlich, dass der Staat viel Geld ausgibt, sind ausgerechnet zwei Ministerien in der Hand der FDP.

Nicht weniger als die Modernisierung Deutschlands hat sich die neue Regierung aus SPD, Grünen und FDP zum Ziel gesetzt. Scholz kündigte ein „Jahrzehnt der Investitionen“ an. Schon jetzt ist klar, dass das ein Mammutprojekt ist, selbst dann, wenn man nur den Bereich Infrastruktur in den Fokus nimmt. Und dabei geht es nicht nur um veraltete Strukturen, die quasi renoviert werden müssen. Will man die ambitionierten Klimapläne umsetzen, braucht es einen enormen Innovations- und Investitionsschub.

Dafür ist einerseits Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) als neuer Minister für Wirtschaft und Klimaschutz gefordert. Er kündigte Investitionen in großem Stil an. „Wir werden in den nächsten Jahren ein großes Volumen von öffentlichem und privatem Geld lostreten müssen.“ Er verwies darauf, dass bis 2030 rund 80 Prozent des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien stammen sollen. Derzeit sind es noch weniger als die Hälfte. Auch der Kohleausstieg soll möglichst auf 2030 vorgezogen werden.

Stromnetz als Schlüssel für Energiewende

Doch neben dem Ausbau von Ökostrom aus Wind und Sonne gibt es vor allem eine Herausforderung: Das Stromnetz muss ausgebaut werden, etwa um den vor allem im Norden produzierten Windstrom zu den großen industriellen Verbrauchern im Süden transportieren zu können. Das Problem ist auch akut, weil es immer wieder zu gefährlichen Netzschwankungen kommt, wenn durch Wind und Sonne plötzlich sehr viel bzw. sehr wenig Energie erzeugt wird.

Bisher hemmten lange Planungs- und Genehmigungsverfahren, zu wenige Flächen und Konflikte zwischen Artenschutz und Ausbau den Bau der „Stromautobahnen“. Auch das Gasnetz kann eine Schlüsselrolle bei der Energiewende spielen, nämlich dann, wenn die Leitungen dafür fit gemacht werden, in Zukunft etwa auch Wasserstoff zu transportieren, mit dem die Chemie-, Stahl- und Zementindustrie ihre Produktion klimafreundlich aufstellen können.

Neben Habeck nimmt im neuen Kabinett der neue Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) eine zentrale Rolle ein: Er bekommt deutlich mehr Kompetenzen für die Digitalisierung. Bisher war das Ministerium für digitale Infrastruktur zuständig. Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr, wie es nun heißt, erhält aus dem Wirtschaftsministerium die Zuständigkeit für nationale und internationale Digitalpolitik.

FDP-Minister Wissing soll Pläne auf die Schiene bringen

Eigentlich war im Vorfeld der Koalitionsverhandlungen erwartet worden, dass das Ministerium an die Grünen geht – überraschend wurde dann FDP-Mann Wissing Minister. Sein Vorgänger Andreas Scheuer (CSU) hinterlässt, so viele Expertinnen und Experten, große Probleme, Stichwort Desaster Autobahnmaut. Auch die Deutsche Bahn (DB) gilt als große Herausforderung. Ganz ungeachtet der tagtäglichen Probleme mit Zugsausfällen und Verspätungen klafft seit Jahren ein großes Investitionsloch, unter dem auch der Güterverkehr leidet.

Christian Lindner und Volker Wissing
Reuters/Annegret Hilse
Minister Wissing mit FDP-Parteichef Christian Lindner

So hat sich die Koalition vorgenommen, bei der Erhöhung der Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur „erheblich“ mehr in die Schiene als in die Straße zu investieren. Jahrzehntelang war es anders. „Erstmals bekennt sich eine Koalition bei den Verkehrsinvestitionen zum Grundsatz: Schiene vor Straße“, zeigte sich der Geschäftsführer des Bündnisses Allianz pro Schiene, Dirk Flege, zufrieden. Dennoch stehen auch Modernisierungen im Straßennetz an, auch bei etlichen Brücken sind Arbeiten dringend nötig.

Zug Der Deutschen Bahn bei Frankfurt
AP/Michael Probst
Das deutsche Bahnnetz und sein Investitionsloch

Nachholbedarf bei Digitalisierung

Auch bei der Deutschen Bahn soll es eine Neuerung geben: Die Infrastruktureinheiten unter anderem mit der DB Netz sollen innerhalb des Konzerns zu einer neuen, „gemeinwohlorientierten“ Sparte zusammengelegt werden. Gewinne sollen künftig in dieser neuen Sparte verbleiben, damit mehr investiert werden kann.

Von einer Digitalisierungsoffensive reden deutsche Regierungen zwar schon seit fast Jahrzehnten, die ausgestellten Zeugnisse sind aber für den Anspruch, den Deutschland in Europa erhebt, ernüchternd. In der jährlichen Erhebung des Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft (DESI) der EU-Kommission, einer Art digitaler „Fitnesstest“ für die EU-Staaten, lag Deutschland zuletzt auf Platz elf.

Laut dem Center European Center for Digital Competitiveness liegt Deutschland in der G-20 gar an drittletzter Stelle. Und einer der Gründe ist die fehlende Infrastruktur: In vielen ländlichen gebieten hinkt der Breitbandausbau stark nach, sogar die Mobilfunkkommunikation funktioniert in einigen Regionen mehr schlecht als recht. Auch bei der Digitalisierung von Behörden und Unternehmen haben andere Länder Deutschland weit abgehängt, wenig rosig sieht es auch im Bildungsbereich aus.

Unklare Finanzierung – und Lindner als Finanzminister

So ambitioniert die Pläne der „Ampelkoalition“ sind, dazu kommt auch noch eine große Wohnbauinitiative, bleiben die Fragen, wie viel das alles kosten und vor allem wie es finanziert wird. Und da kommt ein weiterer FDP-Politiker ins Spiel: Parteichef und Neo-Finanzminister Christian Lindner, der sich bisher eher immer für einen schlanken Staat starkgemacht hat. Neue Steuern sind – auch auf Druck der FDP – im Regierungsprogramm nicht vorgesehen. Und ob die geplanten Einsparungen reichen werden, das Investitionspaket zu stemmen, muss sich noch weisen.