Silhouette von Menschen
Tobias Pehböck
In Österreich

„Egozentrismus“ bei Menschenrechten

15 EU-Länder haben eine Initiative zur Aufnahme afghanischer Geflüchteter gestartet – Österreich wird sich jedoch nicht daran beteiligen, wie am Freitag, am Tag der internationalen Menschenrechte, bekanntwurde. Scharfe Kritik daran übte die österreichische Liga für Menschenrechte. Sie forderte die Regierung auf, die Flüchtlingskonvention ernst zu nehmen. Generell würden Menschenrechte in Österreich zunehmend „egozentrisch formuliert“, sagte die Liga-Präsidentin Barbara Helige.

Als Beispiel nannte Helige etwa den Fall, wenn Einzelne es als Verlust der Freiheit beklagen, dass sie ohne Coronavirus-Impfung nicht in Lokale dürfen. Der jüngst zum Thema gewordenen Spaltung der Gesellschaft leiste die Regierung Vorschub, indem sie Interessen starker Lobbys fördert, sagte Helige bei der Präsentation des jährlichen Menschenrechtsbefundes.

Und weiter: Die großen Krisen wie Pandemie und Klimaschutz seien nur solidarisch zu lösen. Die Liga fordere deshalb „von der neu formierten Regierung eine solidarische, nach vorne gewandte Politik, die nicht nur opportunistischen Überlegungen folgt“, so Helige, frühere Präsidentin der Richtervereinigung.

Kinder in einem Flüchtlingslager in Herat in Afghanistan
AP/Petros Giannakouris
15 EU-Länder einigen sich auf die Aufnahme von 40.000 afghanischen Geflüchteten – Österreich ist nicht dabei

EU-Initiative: Aufnahme ohne Österreich

Der neue Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) scheint derzeit jedoch den Kurs seines Vorgängers und jetzigen Bundeskanzlers Karl Nehammer (ÖVP) zu verfolgen – zumindest, was Migration betrifft. Nehammer sprach sich stets gegen weitere Aufnahmen aus.

So hieß es am Freitag seitens der EU-Vertretung Österreichs in Brüssel, dass Österreich nicht unter den 15 Ländern sein werde, die sich bereiterklärten, insgesamt rund 40.000 afghanische Geflüchtete aufzunehmen. Im EU-Vergleich leiste Österreich bereits aktuell einen überproportional großen Beitrag, „eine Teilnahme am Resettlement ist in Anbetracht dieser Ausgangslage ausgeschlossen“, hieß es in einem Statement von Karner.

„Eine Schande“

Es sei „wirklich eine Schande, wir müssen uns dafür genieren“, kommentierte Helige die Absage. Für die Liga-Präsidentin war das ein Grund mehr, die Regierung aufzufordern, in ihren Gesetzen endlich wieder dem Geist der Europäischen Menschenrechtskonvention zu entsprechen „und die Genfer Flüchtlingskonvention ernst zu nehmen“.

Die ehemalige Politikerin Heide Schmidt (zuerst FPÖ, dann LIF bzw. NEOS) „schämt“ sich für die mangelnde Solidarität mit von den Taliban bedrohten afghanischen Frauen: „Es beschädigt die Zuneigung zu meinem Land zu sehen, wie hier mit Menschenrechten umgegangen wird.“

Appell zu neuer politischer Kultur

Schmidt zufolge sei es zudem nötig, „die politische Kultur wieder herzustellen“ und wieder die „Sensibilität“ dafür aufzubauen, „wo die Anstandsverletzung beginnt“. Denn Strafbarkeit könne in der Demokratie „nur die letzte Feuermauer sein, über die niemand drüberzusteigen hat“.

Die politische Kultur beginne weit vorher, sagte Schmidt und warb für die Umsetzung der im von ihr mit initiierten Antikorruptionsvolksbegehren enthaltenen Maßnahmen.

Um Grundrechte „nicht gut bestellt“

„Nicht gut bestellt“ sei es um die Grundrechte, war auch der Befund von Rechtsanwalt Florian Horn mit Blick auf die Pandemie. Das nicht nur, weil der Verfassungsgerichtshof einzelne Maßnahmen aufgehoben hat, sondern auch, weil die „Überbetonung des subjektiven Rechts“ sichtbar werde.

Wichtig wäre es, erst auf die Grundrechte des anderen zu schauen, meinte er – und bekannte sich in diesem Sinn auch zur Impfpflicht, allerdings verbunden mit der Forderung nach einer breiten öffentlichen Diskussion.

NEOS: Wahrung der Menschenrechte gerade in Pandemie

Auf die Wahrung der Menschenrechte gerade in Zeiten der Pandemie pochte am Freitag der stellvertretende NEOS-Klubchef Niki Scherak. In der Coronavirus-Krise habe es „massive Eingriffe in unsere persönlichen Freiheiten“ gegeben.

„Doch Menschenrechte – wie etwa das Recht auf Bildung, Freiheit, Sicherheit und Privatsphäre – sind kein Schönwetterprogramm. Niemals müssen Rechte und Freiheiten begründet werden, sondern immer deren Einschränkung. Das muss gerade auch in einer Pandemie gelten“, meinte er in einer Aussendung.

Großes Thema Klimakrise

Ein großes Thema für die Liga ist auch der Klimaschutz. Judith Fitz, Uniassistentin an der Universität für Bodenkultur (BOKU) Wien, forderte die Verankerung eines Grundrechts auf Klimaschutz – samt entsprechenden Umsetzungsmöglichkeiten. Dazu heißt es in dem Befund: „Werden keine rechtzeitigen Gegenmaßnahmen getroffen, wird die Zuspitzung der Klimakrise die Ausübung beinahe aller Freiheitsrechte infrage stellen.“