Trauerarbeit

Wenn man jung verwitwet ist

Eine Witwe stellen sich viele anders vor. Carina Schmid (Nachname von der Redaktion geändert) ist jung – erst 33 Jahre alt – und Mutter eines dreijährigen Sohnes. Wer so jung den Partner verliert, trauert auch über das „nicht gelebte Leben“, sagt die Trauerbegleiterin Kathrin Unterhofer. Helfen können Trauergruppen, in denen sich junge Menschen nach einem Verlust austauschen können.

In der Nacht hatte der junge Familienvater noch einmal aus dem Krankenhaus angerufen, seine letzten Gedanken waren bei seiner Frau und seinem Sohn gewesen. Schon einige Stunden zuvor, erzählt Schmid, hatte sie sich im Spital von dem Mann, mit dem sie elf Jahre zusammen war, verabschieden müssen. Er sei schwach und müde gewesen. „Ich habe gewusst, dass das der letzte Abend ist.“ Um halb sieben in der Früh erreichte Schmid wieder ein Anruf aus dem Krankenhaus, diesmal eine Krankenpflegerin, die ihr die Nachricht vom Tod ihres Mannes überbrachte.

Selbst von der Trauer überwältigt, musste sie ihrem damals zweijährigen Sohn erklären, dass sein Vater nicht mehr nach Hause kommt. „Mein Sohn hat gefragt, wo der Papa ist. Ich konnte ihn nicht anlügen, ich konnte ihm aber auch nicht sagen, dass er verstorben ist.“ Denn: „Was ist gestorben für ein kleines Kind?“ Ein paar Tage habe sie ihrem Sohn die Frage also nicht beantwortet, „weil ich einfach selbst keine Antwort darauf hatte“, sagt die 33-Jährige.

Plötzlich alleinerziehend

Der Trauerschmerz sei individuell und intensiv – unabhängig davon, ob man den Partner oder die Partnerin nun in jungen Jahren oder im hohen Alter verloren hat, sagt Unterhofer, Teamleiterin der Kontaktstelle Trauer der Caritas Wien zu ORF.at. Doch die Lebenssituation sei jeweils „anders“ – das ist auch ein Grund dafür, dass die Caritas schon vor vielen Jahren eine Trauergruppe speziell für junge Menschen nach Partnerverlust gegründet hat und damit einen Ort, an dem ihnen Austausch mit Menschen mit ähnlichen Erfahrungen möglich ist.

Junge Menschen stehen oft mitten im Leben, haben einen Beruf, oftmals Kinder, mit dem mittlerweile verstorbenen Partner vielleicht einen gemeinsamen Kredit aufgenommen, ein Haus gekauft, eine Wohnung angemietet. Einerseits sei noch „viel Struktur“ da, die man aufrechterhalten könne, sagt Unterhofer. „Das kann Halt geben.“ Andererseits könne all das aber auch eine Mehrfachbelastung sein – „gerade wenn auch Kinder da sind, Menschen dann plötzlich alleinerziehend sind, arbeiten gehen müssen, damit sie irgendwie den Standard halten können“. Und all das, während sie einen „tiefen emotionalen Schmerz“ durchmachen. Es sei in so einer Situation wichtig, sich Unterstützung zu holen.

Junge Frau geht durch Friedhof
ORF
Carina Schmid ist mit 33 Jahren bereits Witwe

„Konnte Wohnung nicht verlassen“

Hilfe kann nicht zuletzt in Form von Einzel-, Gruppentherapie und Trauergruppen kommen. Die Erfahrung hat auch Schmid gemacht. Schon als ihr Mann krank wurde und sie ihn zu Hause pflegte, während sie gleichzeitig ihrem Sohn ein verlässliches Zuhause mit Struktur bieten wollte, habe sie Hilfe angenommen. „Ich bin zur Psychotherapie gegangen“, das tue sie auch weiterhin. Es habe sehr geholfen, einen Raum für sich zu haben, um „über meine Gefühle zu sprechen“.

Als ihr Mann im vergangenen März starb, war von einem Tag auf den anderen alles anders, die Beerdigung musste organisiert, Behördenwege erledigt werden. „Man funktioniert einfach nur, man funktioniert“, sagt die Witwe. Jedenfalls bis die Beerdigung vorbei war. Von dem Moment an sei „wirklich alles rausgekommen“, sei es unfassbar schwer geworden, diese Gefühle zu ertragen. „Man sieht ja in jeder Handlung, an jedem Ort den Menschen. Und diese Erinnerungen zu ertragen ist schon sehr hart.“ Schmid erzählt, sie habe sich anfangs „schwergetan“, unter Leute zu gehen. „Ich konnte manchmal einfach die Wohnung nicht verlassen.“

Bedürfnis nach Austausch

Unterstützung für sich und ihren Sohn erhielt Schmid beim Roten Anker, einer Einrichtung des Hospizes Rennweg der Caritas Socialis. Kindern, Jugendlichen und Familien, die mit dem Tod eines geliebten Menschen konfrontiert sind, werden dort psychotherapeutisch begleitet. Angeboten wird auch eine Minitrauergruppe für Kleinkinder im Alter von bis zu sechs Jahren. Schmids Sohn nimmt daran teil. Er kann dort kindgerecht trauern. Dem Roten Anker habe sie viel zu verdanken, sagt Schmid.

In Trauergruppen erleben Menschen, dass sie mit ihrer Situation, in ihrer Trauer „nicht allein“ sind, sagt Unterhofer zu ORF.at. Gerade junge Menschen, die ihren Partner oder ihrer Partnerin verlieren, kennen meist keine anderen Freunde, „wo auch jemand verstorben ist“, mit denen sie sich austauschen könnten. „Man fühlt sich ein Stück weit schon auch als Außenseiter.“ Das Bedürfnis, andere kennenzulernen, „die in ihrem Alter auch jemanden verloren haben“, sich auszutauschen, gegenseitig zu unterstützen und „Mut zu machen“, sei mitunter groß.

Ohne Ehe keine Absicherung

In der Trauergruppe für junge Menschen gehe es auch immer wieder um Finanzen. Der Tod des Partners oder der Partnerin kann enorme wirtschaftliche Schwierigkeiten mit sich bringen, etwa „weil man sich die Wohnung alleine nicht mehr leisten kann, oder den Kredit von der Wohnung oder vom Haus nicht abbezahlen kann“, erzählt die Trauerbegleiterin. Es sei öfter der Fall, dass die hinterbliebene Partnerin oder der Partner „gezwungen ist, wegzuziehen“, so Unterhofer. Das sei dann der nächste Verlust: „Der Verlust der gewohnten Umgebung.“ Das sei „natürlich nicht förderlich“, wenn man gerade einen „sehr schweren Verlust erlitten hat“.

Finanzielle Unterstützung durch die Hinterbliebenenpension reiche meist nicht aus, um den gewohnten Lebensstandard zu halten. Besonders dramatisch sei es, wenn es gar keine Absicherung durch eine Hinterbliebenenpension geben kann, weil das Paar nicht verheiratet war. Ohne Testament und vor allem, wenn es keine gemeinsamen Kinder gebe, komme es mitunter zu sehr belastenden Erbschaftsstreitigkeiten mit der hinterbliebenen Familie.

„Du bist ja noch jung“

Wer in jungen Jahren seinen Partner oder seine Partnerin verliert, bekomme oft „sehr früh“ zu hören: „Du bist ja noch jung, du findest dir schon wen“, sagt Unterhofer. Das sei von Außenstehenden in ihrer Hilflosigkeit als Trost gemeint, „aber oft natürlich sehr verletzend“.

Es gehe schließlich nicht darum, „dass man den Menschen ersetzt“. Nach dem Verlust gehe es darum, „diesem verstorbenen Menschen seinen Platz, einen neuen Platz zu geben, nicht mehr Seite an Seite, aber irgendwo im Herzen oder in der Erinnerung“.

Windel zum Tränen trocknen

Erinnerungen an ihren verstorbenen Mann hat Schmid viele. Sie kannten sich „seit Kindertagen“, wuchsen in derselben Stadt auf, zogen gemeinsam nach Wien. „Ich bin auch froh, dass ich so viel mit ihm teilen konnte, an das ich mich jetzt zurückerinnern und irgendwann meinem Sohn erzählen kann.“ Den dritten Geburtstag des Kindes erlebte ihr Mann nicht mehr. Vor dem Tag hatte sich Schmid lange gefürchtet, davor, dass das Kind traurig sein würde, weil der Vater nicht da ist. Letztlich sei es aber eine schöne Feier gewesen.

Es wird besser, sagt die 33-Jährige, auch wenn man am Anfang gar nicht glaube, „dass das möglich ist“. Aber irgendwann wisse man wieder die kleinen Dinge zu schätzen, „dass man über irgendwas lachen kann“, und in ihrem Fall war da noch der Trost durch das eigene Kind: „Ich hab nicht vor ihm verheimlicht, wenn ich traurig war. Ich hab auch vor ihm geweint. Er hat dann schnell ein Feingefühl entwickelt, mich mit den Worten getröstet, die ich ihm gesagt hab und mir seine Windel zum Tränen trocknen gegeben.“