Schachtel mit NS-Überbleibsel, auf der „Nazidreck“ steht
Markus Wörgötter
„Hitler entsorgen“

Im „Giftschrank“ der Republik

Museen, Archive und Bibliotheken heben viel Material auf, das nicht bedenkenlos der Öffentlichkeit gezeigt werden kann. Pornografie etwa. Aber auch NS-Devotionalien. Was davon zu erhalten ist – und was unter welchen Umständen der Öffentlichkeit gezeigt werden könnte? Dieser Frage stellt sich das Haus der Geschichte Österreich (hdgö). Und versucht, diese Form der Selbstreflexion als Ausstellung öffentlich zu machen. „Hitler entsorgen. Vom Keller ins Museum“ heißt die Schau, die aus dem „Giftschrank“ der Republik entstanden ist.

Die zeithistorische Gretchenfrage des Hauses der Geschichte Österreich ist die, die sich alle Gedächtnisinstitutionen stellen: Was ist erhaltenswürdig? Was ist, um mit dem Medienkritiker Boris Groys zu sprechen, besonders und wert, zum Museumsgegenstand zu avancieren? Die meisten Archive, Museen und Bibliotheken beherbergen unter anderem Bestände, die nicht bedenkenlos einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können: Dazu zählen neben pornografischem Material vor allem politisch bedenkliche Bestände, die unter plausibler Argumentation und nur für wissenschaftliche Zwecke bereitgestellt werden.

Institutionen wollen so einer missbräuchlichen Verwendung von NS-Propagandamaterial vorbeugen. Häufig scheinen diese nicht im Onlinekatalog auf, physisch sind sie manchmal als „Secreta“-Sammlungen (=geheime Objekte) in „Giftschränken“ aufbewahrt. Derlei – nicht offizielle – Begriffe weisen auf die immense Verunsicherung hin, die der Umgang mit problematischen Objekten verursacht.

Papiersackerl mit Devotionalien
Markus Wörgötter/hdgö
Wie umgehen mit den vielen Relikten, die ein Museum auch geschenkt bekommt?

Umgang mit NS-Relikten

Wobei die Direktorin des hdgö, Monika Sommer, im Gespräch mit ORF.at gleich vorweg betont, „dass keine NS-Relikte käuflich erworben werden, um nicht den Markt zu bedienen. Das ist eine klare ethische Entscheidung des Hauses“. Zusammen mit Laura Langeder und Stefan Benedik konzipierte sie die Schau „Hitler entsorgen“, die den Umgang mit NS-Devotionalien aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet.

Im Gegensatz zu den meisten historischen Institutionen, die seit einigen Jahren die eigene (Sammlungs-)Geschichte im Zuge der Provenienzforschung aufarbeiten, steht das im Jahr 2018 gegründete hdgö als erstes zeitgeschichtliches Museum des Bundes eher vor der Frage, wie Organisationen und Privathaushalte mit Geschenkangeboten umgehen, die unter dem Etikett „NS-Relikte“ zu verbuchen sind. Die Optionen für eine Institution, mit denen die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung bereits im Eingangsbereich konfrontiert werden, lauten klar: zerstören, verkaufen, aufbewahren.

Blick in den Eingang der Ausstellung
Klaus Pichler/hdgö
Eine Ausstellung, die alle Besucherinnen und Besucher mit der Aufgabe von wissenschaftlichen Institutionen konfrontiert: Was wird aufbewahrt, was zerstört?

„Bitte entsorgen“

Den Ausgangspunkt der Schau bildet ein Brief, der im September 2019 an das hdgö geschickt wurde. „Anbei ein paar Stücke aus dem Nachlass eines meiner Verwandten. Könnte mir vorstellen, dass es von zeitgeschichtlichem Wert ist. Wenn NICHT, bitte entsorgen", heißt es in dem anonymen Schreiben, das den Umgang mit Nazi-Materialien festhält. „Regelmäßig wenden sich Menschen an uns, die um Rat fragen, wie sie sich verhalten sollen, wenn sie einen NS-Gegenstand finden. So sind wir indirekt auch zur Kompetenzstelle im Umgang mit Nazi-Gut geworden. Wenn wir etwas ablehnen, dann verweisen wir die Anfragenden oft an andere historisch arbeitende Einrichtungen", so Langeder im Gespräch mit ORF.at: „Die Empfehlung zur Zerstörung geben wir ungern, denn wer weiß schon, ob das Objekt nicht doch Hinweise birgt, die von Relevanz sein könnten, beispielsweise zum Massaker in Rechnitz.“

Brief zum Entsorgen
Markus Wörgötter/hdgö
Brief mit Auftrag

Die Ausstellung erzählt auch vom Unbehagen, das viele Menschen empfinden, wenn Familiengeschichte den Nationalsozialismus berührt. Die Schau spiegelt den Wunsch, NS-Relikte loszuwerden und zugleich NS-Geschichte zu dokumentieren. „Unsere Arbeit gibt Einblick in eine gesellschaftliche Verfasstheit. Problematische Teile von Familiengeschichten werden manchmal ausgelagert. Man trennt gerne zwischen den Privataufnahmen des Großvaters, die dann im Familienalbum ihren Platz haben sollen, und jenen Fotos, die ihn in der NS-Uniform zeigen. Diese werden herausgelöst und uns angeboten", sagt Sommer. Doch nicht nur Privatpersonen wenden sich an das hdgö, sondern auch staatliche Organisationen, wie etwa das Parlament.

Hitler-Köpfe aus dem Parlament

Im Jahr 2017 wurden im Keller des Parlaments – in einem verschlossenen Panzerschrank – zufällig eine Handzeichnung von Theophil Hansen, NS-Gemälde und zwei Hitler-Bronze-Köpfe entdeckt. Daraus resultierten öffentliche Diskussionen, ob sie erhalten bleiben sollen. Das Gutachten von Historikern der Universität Wien empfahl die Übergabe der Köpfe an ein Museum im Sinne der Dokumentation der Nutzung des Parlamentsgebäudes während des Nazi-Regimes. „Während man das Blatt von Hansen behielt, wurden die Hitler-Köpfe in die Sammlung des hdgö eingereiht“, so Sommer.

Die Bronzeköpfe stammen vom Bildhauer Hermann Joachim Pagels, der für seine Büsten von Nazi-Größen bekannt war. Vermutlich kamen sie nach der Machtübernahme durch die Nazis 1938 ins Parlament, das zum „Sitz des Reichskommissars für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ deklariert wurde. „Dass die Hitler-Köpfe nach 1945 im Keller des Parlamentes blieben – im zentralen Gebäude der Demokratie –, das hat rückblickend starke Symbolkraft“, betont die Museumschefin, deren Vertrag kürzlich bis 2027 verlängert wurde.

14 Stationen und fünf Fragen

Die beiden Köpfe bilden eine der 14 Stationen der Ausstellung, die eine Auswahl an Objekten präsentiert und diese unter jeweils fünf Fragestellungen nach ihrer „Sammlungswürdigkeit“ beleuchtet: Was ist dieses Objekt? Wofür steht es? Wer verwendete dieses Objekt auf welche Art und Weise? Was wird über dieses Objekt erzählt? Und: Wie kann dieses Objekt im Museum verwendet werden?

Dem hdgö gehe es letztlich darum, aus der Perspektive der Gesellschaft zu denken. „Wir konzipierten die Ausstellung so, dass wir uns selbst reflektieren können und transparent machen, wie wir arbeiten, ohne dabei eine Nabelschau zu begehen", meint Sommer. So verstehe sich das hdgö auch als Seismograph für einen gesellschaftlichen Diskurs zu zeitgeschichtlichen Fragen.

Mythos Mikrofon

Ein besonderes Kuriosum in der Ausstellung stellt ein Mikrofon aus den frühen 1930er Jahren dar, das vom oberösterreichischen Studio der RAVAG (dem Vorgänger des ORF) genutzt wurde. Das Mikro war ein Pionierapparat, da es einfach zu transportieren war und hohe Aufnahmequalität besaß. Es wird vermutet, dass Hitler bei seiner Rede am Linzer Hauptplatz am 12. März 1938 in das besagte Mikrofon sprach.

Angebliches Mikro Adolf Hitlers
Markus Wörgötter/hdgö
Führer-Mikro – oder nur führerloses Mikro?

Der damalige Tonmeister übergab das Gerät an den technischen Leiter des Radiostudios, und so befand es sich stets im Besitz des jeweiligen Tonmeisters im ORF-Landesstudio Oberösterreich. Bei seiner Pensionierung 1990 nahm es der damalige Leiter des Radiostudios als Antiquität mit nach Hause. In den Folgejahren tauchte die Frage auf, ob es angemessen sei, das Objekt mit einer derart problematischen Aura weiter aufzubewahren oder es einer geeigneten Organisation zu übergeben. So kam das hdgö zu dieser Schenkung, die ein zweifelhafter Mythos begleitet.

„Nazi-Dreck“ in leerer Glühbirnenschachtel

Wie heikel die Präsentation solcher Materialien ist, zeigen die Überlegungen zu gestalterischen Lösungen. „Wir wollten in der Farbenwahl keinesfalls der Logik der dunklen, grauen Zeit folgen, noch wollten wir mit den Farben Rot, Weiß und Schwarz arbeiten, die ein Flair der NS-Zeit wiedergeben und die Ästhetik der Nazi-Propaganda wiederholen würden“, so Sommer.

Die Wahl für das Plakatsujet fiel schließlich auf eines der Objekte, die das hdgö erreichten und beispielhaft für derartige Übernahmen stehen: In der leeren Verpackung einer Glühbirne befanden sich Anstecker und Abzeichen, die auf den ersten Blick nicht als NS-Propaganda einzuordnen sind. Die Ironie: Eine Verpackung, deren Inhalt Licht verspricht, beinhaltet nichts weniger als „Nazi-Dreck“.