Ältere Person in einem Pflegeheim hält einen Teddybären in den Händen
ORF.at/Christian Öser
Strenge Voraussetzungen

Nationalrat beschloss Sterbehilfe

Eine große Mehrheit hat sich am Donnerstag im Nationalrat für die neue Regelung für die Sterbehilfe gefunden. Ab dem Jahr 2022 können dauerhaft schwer oder unheilbar Kranke, die Beihilfe zum Suizid in Anspruch nehmen wollen, eine Sterbeverfügung errichten – ähnlich der Patientenverfügung. Weiterhin verboten ist aktive Sterbehilfe. Lediglich die FPÖ stimmte dagegen.

Das neue „Sterbeverfügungsgesetz“ ist notwendig, weil der Verfassungsgerichtshof das Verbot des assistierten Suizids mit Ende 2021 aufgehoben hat. Wäre bis zum Jahresende nichts geschehen, wäre die Beihilfe zum Suizid ab dem kommenden Jahr schlicht erlaubt gewesen.

Zwar bleibt Tötung auf Verlangen verboten, doch wird Beihilfe zum Suizid in einem engen Rahmen möglich. Schwer oder unheilbar Kranke, die volljährig und entscheidungsfähig sind, erhalten die Möglichkeit für eine entsprechende Verfügung.

Sterbehilfe: Beschluss im Nationalrat

Ab Jänner 2022 soll „assistierter Suizid“ ermöglicht werden. Schwer oder unheilbar Kranke dürfen sich ab nächstem Jahr helfen lassen, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Das wurde am Donnerstag im Parlament beschlossen.

Strenge Voraussetzungen

Voraussetzung ist, dass die Sterbewilligen von einem Arzt aufgeklärt sind und die Krankheit festgestellt wird. Zudem muss die Entscheidungsfähigkeit von einem zweiten Mediziner bestätigt werden. Nach einer Frist von zwölf Wochen (bei Personen, die nur eine sehr geringe Zeit zu leben haben: zwei Wochen) kann beim Notar oder Patientenanwalt eine sogenannte Sterbeverfügung errichtet werden, mit der man Zugang zu einem letalen Präparat erhält. Das todbringende Präparat wird in der Apotheke erhältlich sein. Die Abgabe muss in einem Register vermerkt werden.

Mit der nun – auch auf Drängen von konservativen Organisationen und Religionsgemeinschaften – vereinbarten Regelung wird versucht, Missbrauch zu verhindern. Mit einer kleinen Abänderung wurde im Nationalratsplenum noch dem Wunsch der Apothekerkammer Rechnung getragen, dass Apotheken, die die letalen Präparate ausgeben, nicht öffentlich bekannt werden. Sie werden nur dem Notar oder Patientenanwalt mitgeteilt, die die Sterbeverfügung dokumentieren.

Hospiz- und Palliativversorgung ausgebaut

Parallel zur Sterbehilfe wird die Hospiz- und Palliativversorgung flächendeckend ausgebaut. Vorgesehen ist dazu ab 2022 eine Drittelfinanzierung durch Bund, Länder und Gemeinden. Von Bundesseite kommen dafür heuer 21 Millionen Euro, in den Folgejahren dann 36 und 51 Millionen Euro. Ab 2025 soll der jährliche Zweckzuschuss aufgewertet werden.

Die Regierungsvorlage zum Sterbeverfügungsgesetz hatte vorige Woche den Justizausschuss mit den Stimmen von ÖVP, SPÖ, Grünen und NEOS passiert, nur die FPÖ stimmte dagegen. Damit wurde der Weg für den jetzigen Nationalratsbeschluss, den Bundesratsbeschluss noch im Dezember und das Inkrafttreten mit Jahresbeginn 2022 frei.

Zadic: Selbstbestimmtes Sterben in Würde

Justizministerin Alma Zadic (Grüne) dankte allen, die an der Lösung mitgearbeitet haben. Das Gesetz achte die Menschenwürde, zeige Respekt vor dem Leben und Respekt für die Selbstbestimmung und höchstpersönliche Entscheidung schwer kranker Menschen.

Hilfe im Krisenfall

Berichte über (mögliche) Suizide können bei Personen, die sich in einer Krise befinden, die Situation verschlimmern. Die Psychiatrische Soforthilfe bietet unter 01/313 30 rund um die Uhr Rat und Unterstützung im Krisenfall.

Die österreichweite Telefonseelsorge ist ebenfalls jederzeit unter 142 gratis zu erreichen. Hilfe für Jugendliche und junge Erwachsene bietet auch Rat auf Draht unter der Nummer 147.

Für Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) ist eine Lösung gefunden worden, „die restriktiv und präventiv ist und gleichzeitig den Sterbewillen respektiert“, so Edtstadler letzte Woche in einer Aussendung. Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) begrüßte ebenfalls vorige Woche, dass die Grundlage für eine flächendeckende und wohnortnahe Versorgung für schwerstkranke Erwachsene und Kinder in ganz Österreich geschaffen werde.

„Ein zentrales Anliegen der Regierungsfraktionen ist es, das vom VfGH in das Zentrum seiner Erwägungen gestellte Grundrecht auf Selbstbestimmung abzusichern und zugleich gegen damit allenfalls verbundenen Missbrauch vorzusorgen“, so ÖVP-Justizsprecherin Michaela Steinacker in einer Aussendung vorige Woche. Agnes Prammer von den Grünen sagte damals: „Durch das Vorschalten von Aufklärungsgesprächen über palliativmedizinische Möglichkeiten und einen Fokus auf Suizidprävention treffen wir die notwendigen Begleitmaßnahmen, um Menschen eine aufgeklärte und selbstbestimmte Entscheidung zu ermöglichen.“

FPÖ: Unglaublich heikel

Auch die SPÖ stimmte im Ausschuss zu. „Die Sozialdemokratie steht für ein selbstbestimmtes Leben, aber auch ein selbstbestimmtes Sterben in Würde. Wir begrüßen daher die Umsetzung, der vom Verfassungsgerichtshof angestoßenen Reform der Sterbehilfe. Es wäre jedoch angebracht gewesen, hierzu eine wesentlich breitere und längere öffentliche Debatte zu führen, um diesem sensiblen Gesetz die nötige Gründlichkeit zukommen zu lassen“, so deren Justizsprecherin Selma Yildirim.

Nikolaus Scherak (NEOS) zeigte sich laut Parlamentskorrespondenz in der Ausschussdebatte als „überzeugter Liberaler“ froh über den Schritt. Denn er sei der Meinung, dass man den Menschen die Entscheidung über Leben oder Sterben freistellen müsse.

Die FPÖ konnte – wie Justizsprecher Harald Stefan erläuterte – nicht zustimmen, weil das Gesetz „in einem so heiklen Bereich so viele Fragen offen lässt“. So etwa sei nicht geklärt, was mit dem todbringenden Präparat zu geschehen hat, wenn es nicht oder nur zum Teil verwendet wird. Und es sei keine Betreuung für jene Menschen vorgesehen, die „sicherlich unter ungeheuerlichem psychologischen Druck“ die Beihilfe zum Suizid leisten.