Atomkraftwerk im Winter
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Dominoeffekt

„Grüne“ Atomkraft auch in Italien Thema

Der Vorschlag der EU-Kommission, Atomenergie künftig als nachhaltig anzusehen, schlägt hohe Wellen. Die Optionen, die Brüsseler Entscheidung noch abzuwenden, sind stark begrenzt. Nun ist auch in Italien die Debatte eröffnet, zum Atomstrom zurückzukehren. Die rechte Lega will dazu ein Referendum ermöglichen.

Die Kommission hatte ihren Entwurf zur Taxonomie, der die Einstufung der verschiedenen Energiearten regelt, am späten Silvesterabend verschickt. Dem Rechtsakt waren monatelange Debatten über die Beurteilung von Gas-, Erdöl- und vor allem Atomenergie vorausgegangen. Nun entschied sich Brüssel dafür, Investitionen in Gas- und Atomkraftwerke unter bestimmten Bedingungen als klimafreundlich einzustufen. Freilich kam rasch heftige Kritik aus Österreich, Deutschland und von Umweltschutzorganisationen. Andernorts wurde der Entwurf erleichtert begrüßt, etwa in Frankreich, das zuvor die Werbetrommel für die Atomkraft gerührt hatte.

Aber auch in Italien ist die Debatte jetzt wieder auf dem Tisch. Das Land war bereits nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl Ende der 1980er Jahre aus der Kernenergie ausgestiegen. Ähnlich wie Österreich bezieht Italien einen Teil seines Stroms aus dem Ausland – hier kann Atomstrom dabei sein. Bei einem Referendum 2011 wurde eine Rückkehr zur Atomenergie abgelehnt. Nun aber machen die zuletzt drastisch gestiegenen Preise für Strom und Gas vielen Italienerinnen und Italienern zu schaffen.

Die rechte Lega unter Matteo Salvini will daher einen neuen Versuch starten. Salvini begrüßte die Entscheidung aus Brüssel und setzt sich für den Bau neuer Atomkraftwerke ein. Das Land dürfe nun nicht stehenbleiben, twitterte er: „Die Lega ist bereit, Unterschriften für ein Referendum zu sammeln, das unser Land in eine Zukunft führt, die energetisch unabhängig, sicher und sauber ist.“

Gewessler erneuert Klagsdrohung

Österreich kämpft unterdessen gegen den Plan, Atomenergie und Erdgas als „grün“ bezeichnen zu dürfen. Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) erneuerte am Montag ihre Klagsdrohung: „Wenn die Kommission das so in Kraft setzt, werden wir den Rechtsweg beschreiten“, sagte Gewessler im Ö1-Morgenjournal. Die EU-Kommission versuche mit ihrem Vorschlag, Atomkraft und Erdgas „grün zu waschen“, der Vorschlag sei „nicht akzeptabel“, so Gewessler. Man werde versuchen, Allianzen auf EU-Ebene zu bilden, gab die Ministerin an.

Einsprüche bis 12. Jänner

Für die Gegner der Atomkraft – neben Österreich und Deutschland auch Luxemburg, Dänemark und Portugal – gibt es aber nicht mehr viele Möglichkeiten, die Taxonomie-Verordnung abzuwenden. Die EU-Mitgliedstaaten haben bis 12. Jänner Zeit, den Entwurf zu kommentieren. Eine Umsetzung kann nach Angaben vom Samstag nur verhindert werden, wenn sich eine „verstärkte qualifizierte Mehrheit“ der Länder oder eine Mehrheit im EU-Parlament dagegen ausspricht.

Demnach müssten sich im Rat der EU mindestens 20 EU-Länder zusammenschließen, die mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU vertreten oder im EU-Parlament mindestens 353 Abgeordnete. Dass das passiert, gilt als unwahrscheinlich.

Breite Kritik aus Österreich

Auch Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) äußerte zuletzt Bedauern: „Wir haben immer betont, dass Atomkraft aus unserer Sicht keine nachhaltige Energieform ist und nicht in der Taxonomie-Verordnung drinnen sein sollte.“ Das Vorgehen der EU unterstreiche, „dass die Vorschläge in Richtung grüne Ausnahmen bei Schuldenregeln dazu führen könnten, dass damit mehr Atomkraft finanziert wird. Für uns ist das ein weiterer Grund, diesen Vorschlag abzulehnen“, so Brunner.

Für Othmar Karas (ÖVP), Vizepräsident des EU-Parlaments, ist die Vorlage ein Versuch von „Greenwashing“: „Kernenergie ist keine und kann keine nachhaltige Zukunftstechnologie sein.“ Er warb bei seinen Kollegen für einen gemeinsamen Einspruch aller österreichischen Mitglieder des Europäischen Parlaments, um das Vorhaben zu stoppen.

Scharfe Kritik an der EU-Entscheidung kam auch von SPÖ und FPÖ, ebenso wie von Umweltorganisationen wie dem WWF, atomstopp_oberoesterreich und GLOBAL 2000.

Atommüllentsorgung als offene Frage

Konkret sieht der Entwurf vor, dass Investitionen in neue AKWs dann als grün klassifiziert werden können, wenn sie neuesten technischen Standards entsprechen und wenn ein konkreter Plan für den Betrieb einer Entsorgungsanlage für hoch radioaktive Abfälle ab spätestens 2050 vorgelegt wird. Zudem müssten die neuen Anlagen bis 2045 eine Baugenehmigung erhalten.

Investitionen in neue Gaskraftwerke sollen insbesondere auf Wunsch Deutschlands übergangsweise ebenfalls als grün eingestuft werden können. Dabei soll zum Beispiel relevant sein, wie viele Treibhausgase ausgestoßen werden. Für Anlagen, die nach dem 31. Dezember 2030 genehmigt werden, wären dem Vorschlag zufolge nur noch bis zu 100 Gramm CO2-Äquivalente pro Kilowattstunde Energie erlaubt – gerechnet auf den Lebenszyklus.