Polizeikräfte vor einem ausgebrannten Auto in Almaty
Reuters/Mariya Gordeyeva
Unruhen in Kasachstan

Offenbar Dutzende Tote, Russland greift ein

Bei Ausschreitungen in Kasachstans Wirtschaftsmetropole Almaty hat es Berichten zufolge Dutzende Tote und mehr als 1.000 Verletzte gegeben. Menschen hätten in der Nacht zum Donnerstag versucht, verschiedene Polizeigebäude zu stürmen, zitierte der kasachische Fernsehsender Khabar 24 einen Sprecher des Innenministeriums, wie die russische Staatsagentur Tass meldete. Dabei seien „Dutzende Angreifer eliminiert“ worden. Russland verlegte unterdessen Truppen nach Kasachstan.

Die Identitäten der „Angreifer“ werden nun ermittelt, berichtete der Sender laut Tass. Ähnliches vermeldete nach Angaben der Nachrichtenagentur Interfax auch die Polizei. Laut dem Gesundheitsministerium, das über 1.000 Verletzte meldete, seien 400 Menschen in Krankenhäuser gebracht worden. Über 60 werden auf Intensivstationen behandelt. Internetseiten kasachischer Medien waren auch Donnerstagvormittag nicht vom Ausland aus zu erreichen. Die genaue Lage ist deshalb noch unklar.

Bei den Zusammenstößen wurden offiziellen Angaben zufolge mindestens 18 Sicherheitskräfte getötet. Zwei Leichen seien geköpft aufgefunden worden, berichteten kasachische Medien am Donnerstag unter Berufung auf das Staatsfernsehen. Zu Todesopfern unter Zivilisten gab es keine Angaben. Rund 2.000 Menschen wurden festgenommen, meldete Tass unter Berufung auf das Innenministerium.

Tausende Demonstranten in Almaty
APA/AFP/Abduaziz Madyarov
Großer Unmut über gestiegene Treibstoffpreise stürzte Kasachstan in die größte Krise seit vielen Jahren

Reuters-Reporter berichteten, in Almaty seien eine Residenz des Präsidenten und ein Büro des Bürgermeisters in Brand gesteckt worden. In den Straßen standen zahlreiche ausgebrannte Autos. Militärfahrzeuge fuhren auf, laut TASS feuerten Soldaten auf Demonstrierende und Autos auf dem Hauptplatz.

Größte Protestwelle seit Jahren

In der vergangenen Nacht schritt das Militär ein. Seither laufen an verschiedenen Stellen der Stadt Almaty in Zentralasien Einsätze gegen Demonstranten, die Berichten zufolge auch bewaffnet sein sollen. Augenzeugen hatten zuvor von Zusammenstößen und Schüssen im Zentrum von Almaty berichtet. Einwohnerinnen und Einwohner seien aufgerufen worden, an sicheren Orten zu bleiben und Straßen zu meiden.

Auslöser der größten Protestwelle seit Jahren war Unmut über deutlich gestiegene Treibstoffpreise an den Tankstellen der Ex-Sowjetrepublik. Sie schlugen in regierungskritische Proteste um.

Russland verlegt Truppen

Angesichts der Unruhen verlegte Russland nun auch Soldaten in das zentralasiatische Land. Es seien Fallschirmjäger als Teil einer Friedenstruppe entsandt worden, meldeten mehrere russische Staatsagenturen am Donnerstag übereinstimmend unter Berufung auf die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS). Kasachstan hatte das Militärbündnis um Hilfe gebeten.

Präsident Kassym-Schomart Tokajew hatte zuvor „Friedenstruppen“ von Russland und seinen Verbündeten angefordert. Die OVKS werde auf Anfrage Kasachstans Friedenstruppen schicken, schrieb der armenische Premier Nikol Paschinjan in der Nacht auf Facebook. Paschinjan ist aktueller Vorsitzender des Bündnisses, dem Russland, Armenien, Belarus, Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan angehören. Der Organisation zufolge ist eine Hauptaufgabe der ausländischen Soldaten der Schutz wichtiger staatlicher und militärischer Einrichtungen.

Die USA forderten eine friedliche Beilegung der Proteste. Auch die EU rief zur Zurückhaltung auf. Die Souveränität der früheren Sowjetrepublik müsse gewahrt werden. „Die Gewalt muss aufhören“, sagte ein Sprecher der Europäischen Union. China sieht die Unruhen in seinem Nachbarland Kasachstan als „innere Angelegenheit“ an. Das österreichische Außenministerium warnt nun vor Reisen nach Kasachstan. Es gelte eine Reisewarnung (Sicherheitsstufe 6) für ganz Kasachstan, hieß es am Donnerstag auf der Homepage des Ministeriums. Die Lufthansa entschied unterdessen, „bis auf Weiteres keine regulären Flüge nach Almaty mehr anzubieten“.

Luftansicht der Proteste vor dem Rathaus von Almaty
AP/Yan Blagov
Besonders heftige Krawalle gibt es in der Wirtschaftsmetropole Almaty

Präsident macht „Terrorgruppen“ verantwortlich

Die Soldaten sollten für einen begrenzten Zeitraum entsandt werden, „um die Lage in dem Land zu stabilisieren und zu normalisieren“, hieß es. Das russische Außenministerium erklärte, es handle sich um einen aus dem Ausland gesteuerten Versuch, die Sicherheit und Integrität Kasachstans gewaltsam zu unterwandern. Russland und seine Partner würden mit dem Nachbarland die weiteren Schritte beraten. Mittwochmittag hatte Russland noch erklärt, niemand dürfe sich in die inneren Angelegenheiten Kasachstans einmischen, und Kasachstan habe Moskau auch nicht um Hilfe gebeten.

Bei den am Wochenende ausgebrochenen Unruhen handle es sich „nicht um eine Bedrohung, sondern um eine Untergrabung der Integrität des Staates“, sagte Tokajew zuvor. Experten werteten Tokajews Hilferuf als Zeichen, dass er sich nicht mehr auf seine Armee verlassen könne. Als Konsequenz aus den Protesten hatte er bereits am Mittwoch die Regierung entlassen und mit einem harten Durchgreifen gegen Demonstranten gedroht.

Tokajew sagte, die hinter den Protesten stehenden „Terrorgruppen“ würden „im Ausland“ ausgebildet. Auch OVKS-Präsident Paschinjan erklärte, die Unruhen seien durch „äußere Einmischung“ ausgelöst worden. In Russland waren zuvor Vorwürfe laut geworden, dass die USA bei den Protesten eine Rolle spielten. US-Regierungssprecherin Jen Psaki wies das als „absolut falsch“ und „eindeutig Teil des russischen Drehbuchs für Desinformation“ zurück.

Dutzende Protestierende in Kasachstan getötet

Im zentralasiatischen Kasachstan werden die regierungskritischen Proteste offenbar blutig niedergeschlagen. Dutzende Unruhestifter seien in der Metropole Almaty laut Angaben der Polizei „eliminiert“ worden. Die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit wird auf Anfrage Kasachstans Friedenstruppen schicken.

Internet erneut abgeschaltet

Die Behörden schalteten unterdessen offenbar neuerlich das Internet im Land ab, um die Protestbewegung zu schwächen. So waren die Internetseiten des Präsidialamtes und anderer Regierungsbehörden in der Nacht ebenso wenig zu erreichen wie jene von Flughäfen und Polizeibehörden, meldete die russische Staatsagentur Tass.

In der Millionenstadt Almaty gebe es einen kompletten Internetausfall. Schon am Mittwoch war das Internet in dem autoritär regierten Land stundenlang ausgeschaltet gewesen – vermutlich, um die Organisation neuer Versammlungen über soziale Netzwerke zu erschweren.

Die beispiellosen Proteste in Kasachstan waren aus Unmut über deutlich gestiegene Preise für Flüssiggas an den Tankstellen ausgebrochen. Viele Kasachen tanken dieses Gas, weil es billiger ist als Benzin. Viele Demonstranten richteten ihren Unmut auch gegen die Regierung und machten sie für ihre schlechte Lebenslage verantwortlich, weil der Alltag wegen hoher Inflation teurer wurde. Das Land mit mehr als 18 Millionen Einwohnern grenzt unter anderem an Russland und China. Es ist reich an Öl- und Gasvorkommen. Die Republik ist auch einer der größten Uranproduzenten der Welt. Trotzdem kämpft Kasachstan mit Misswirtschaft und Armut.