Familie mit zwei Kindern auf einem Sitzkissen
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EuGH-Gutachten

Indexierung der Familienbeihilfe unzulässig

Die Indexierung der Familienbeihilfe verstößt gegen EU-Recht, wie EU-Generalanwalt Richard de la Tour am Donnerstag bekanntgegeben hat. In seinem Gutachten kommt er zum Schluss: Arbeitnehmer aus anderen EU-Mitgliedsstaaten müssen in Österreich die gleichen Beihilfen wie österreichische Arbeitnehmer erhalten können – und das „unabhängig vom Aufenthaltsort ihrer Kinder“.

Die Betroffenen würden schließlich in gleicher Weise zur Finanzierung des österreichischen Sozial- und Steuersystems beitragen wie österreichische Arbeitnehmer, heißt es in dem EuGH-Gutachten. Eine Festsetzung der Höhe der Familienleistungen nach dem Wohnsitz stelle eine Verletzung des Freizügigkeitsrechts sowie eine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit dar.

Diese sei nur zulässig, „wenn sie objektiv gerechtfertigt ist. Österreich hat aber keinen Grund anführt, der diese mittelbare Diskriminierung rechtfertigen könnte, sodass sie mit dem Unionsrecht unvereinbar ist.“

Frontansicht des EuGH in Luxemburg
Reuters/Francois Lenoir
Die von der türkis-blauen Regierung beschlossene Indexierung verletze gleich auf mehrere Arten EU-Recht, so der EuGH-Anwalt

Indexierung seit 2019

2019 hat Österreich einen Mechanismus zur Indexierung der Höhe von Familienleistungen, Kinderabsetzbeträgen und anderen Steuervorteilen für Familien für EU-Bürger eingeführt, die in Österreich arbeiten, deren Kinder aber im Ausland leben. Damit soll die Familienbeihilfe an die tatsächlichen Lebenshaltungskosten der im EU-Ausland lebenden Kinder angepasst werden. Vor allem für Arbeitnehmer aus osteuropäischen Ländern, die in Österreich aktiv sind, bedeutete diese Regelung zum Teil herbe Einbußen.

Was ist betroffen?

Von der Indexierung betroffen ist sind folgende Beihilfen und steuerliche Vergünstigungen: Kinderabsetzbetrag, Familienbonus Plus, Alleinverdienerabsetzbetrag, Alleinerzieherabsetzbetrag und Unterhaltsabsetzbetrag.

Klage der EU-Kommission

Nicht nur verstoße die Regelung gegen geltende Vorschriften, sie sei auch noch diskriminierend, hieß es auch seitens der EU-Kommission. Die Indexierung gelte schließlich „nicht für österreichische Staatsangehörige, die im Ausland für eine österreichische Behörde arbeiten und deren Kinder mit ihnen dort leben – obwohl ihre Situation vergleichbar ist.“ Die EU-Kommission reichte im Mai 2020 Klage beim EuGH ein.

Die EuGH-Schlussanträge sind Gutachten, an die sich die EuGH-Richter bei ihrer Entscheidung nicht halten müssen. Meist tun sie es aber. Ein verbindliches Urteil folgt in den kommenden Monaten, das genaue Datum ist noch nicht bekannt.

Entscheidung für Karas " nicht überraschend"

„Die Entscheidung des EuGH-Generalanwalts kommt für mich nicht überraschend. Ich war immer dieser Überzeugung und habe das deshalb auch so erwartet“, schrieb der ÖVP-EU-Mandatar und Erste Vizepräsident des Europaparlaments, Othmar Karas, auf Twitter.

Rückzahlungen gefordert

Auch für die Delegationsleiterin der Grünen im EU-Parlament, Monika Vana, kam der Schlussantrag „wie erwartet“. Die Indexierung sei „ein Angriff auf das Grundrecht der Freizügigkeit der Arbeitnehmer*innen“.

Barbara Neßler, grüne Familiensprecherin im Nationalrat, forderte von den zuständigen Ministerien, Vorkehrungen für „die Rückzahlung der vorenthaltenen Summen aus den Beihilfen an die betroffenen Anspruchsberechtigten“ zu treffen, damit das rasch nach einem EuGH-Urteil erfolgen könne.

„Jedes Kind ist gleich viel wert“

NEOS-Familiensprecher Michael Bernhard begrüßte das Gutachten: „Wir NEOS haben stets darauf aufmerksam gemacht, dass die Indexierung der Familienbeihilfe eine vollkommen sinnbefreite und zudem schwer antieuropäische Regelung ist, die klar gegen EU-Recht verstößt." Bei der Regelung habe es sich „lediglich um reinen Populismus der damaligen türkis-blauen Regierung gehandelt – auf Kosten der Kinder und ihrer Familien“.

„Jedes Kind ist gleich viel wert und soll die gleichen Chancen bekommen“, so die beiden SPÖ-Abgeordneten, Frauen- und Jugendsprecherin Eva-Maria Holzleitner und Familiensprecherin Petra Wimmer. „Wir hoffen, dass es nun, nach diesem Gutachten des EuGH, möglich sein wird, dieses unselige Relikt aus türkis-blauer Zeit endlich zu beseitigen.“

Nur 62 statt 114 Mio. Euro eingespart

Die Indexierung der Familienbeihilfe war ein von Anfang höchst umstrittenes Prestigeprojekt der Koalition von ÖVP und FPÖ. Sowohl die Nachbarländer als auch Europarechtsexperten hielten das Ansinnen schon vor Beschluss mit dem Europarecht für unvereinbar. Einsparen wollte Türkis-Blau mit der Indexierung 114 Millionen Euro jährlich. Gemäß einer parlamentarischen Anfragebeantwortung waren es 2019 nur 62 Millionen.

Ausländische Arbeitskräfte „wesentlich“

Für Caritas-Präsident Michael Landau war die Indexierung der Familienbeihilfe „seit jeher keine gute Idee“. Gerade die Coronavirus-Pandemie habe gezeigt, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus dem EU-Ausland einen „ganz wesentlichen Beitrag zur Aufrechterhaltung der Gesellschaft“ leisten würden, so Landau mit Blick auf den Gesundheits- und Pflegebereich. Er hofft, dass der EuGH dem Schlussantrag des Generalanwalts folgt.

Ähnlich äußerte sich Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl. So könne man nicht Pfleger und Pflegerinnen „nach Österreich holen, die dann aber um ihre Rechte beschneiden“, heißt es in einer Aussendung. „Ich fordere eine rasche Rückabwicklung, damit Menschen, die in Österreich arbeiten, deren Kinder aber im Ausland leben, nicht mehr länger diskriminiert werden.“

Verstoß gegen EU-Recht

Wenn EU-Bürgerinnen und -Bürger in Österreich arbeiten, ihre Kinder aber im Ausland sind, dann wird die Familienbeihilfe an das dortige Preisniveau angepasst. Die EU-Kommission hat Österreich vor dem Europäischen Gerichtshof wegen dieser Indexierung der Familienbeihilfe verklagt. Am Donnerstag wurde die Regelung für unzulässig erklärt.

Die Abwicklung der Familienbeihilfe erfolge über den Familienlastenausgleichsfonds, für den das im Bundeskanzleramt angesiedelte Familienressort zuständig ist, hieß es aus dem Finanzministerium gegenüber ORF.at. Beurteilungen über allfällige Vorsorgen seien im zuständigen Ressort vorzunehmen.