Der russische Präsident Vladimir Putin
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Vor Ukraine-Treffen

Drohungen und neue Manöver schüren Krise

Der Kreml hat angesichts neuer Drohungen von US-Präsident Joe Biden gegen Russland vor der Gefahr einer Eskalation des Ukraine-Konflikts gewarnt. Die Äußerungen trügen nicht zur Entspannung bei und könnten zu einer Destabilisierung der Lage führen, sagte Sprecher Dmitri Peskow am Donnerstag der Agentur Interfax zufolge. Der russische Außenminister Sergej Lawrow trifft am Freitag in Genf seinen US-Kollegen Antony Blinken. Derweil kündigte Moskau weitere Manöver, diesmal der Marine etwa auch im Mittelmeer, an.

Peskow warnte die USA vor schweren Folgen: „Sie könnten den Hitzköpfen einiger Vertreter der ukrainischen Führung falsche Hoffnung einflößen, dass sie sich dazu entschließen, erneut einen Bürgerkrieg zu beginnen und das Problem im Südosten (Donbass, Anm.) mit Gewalt zu lösen.“

Biden hatte Moskau am Mittwoch erneut mit harten Sanktionen für den Fall eines Einmarsches gedroht: „Wenn sie das tun, dann werden sie einen hohen Preis zahlen. Unmittelbar, kurzfristig, mittelfristig und langfristig.“ Er vermute, dass russische Soldaten in die Ukraine eindringen würden, glaube aber nicht, dass Russlands Staatschef Wladimir Putin „einen ausgewachsenen Krieg“ wolle, so Biden.

Der Kreml in Moskau
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Ein Blick auf den Kreml, den Amtssitz des russischen Präsidenten

Moskau fordert Sicherheitsgarantien

Eine Invasion würde zu einer „Katastrophe für Russland“ führen, sagte Biden. So würden die russischen Truppen selbst bei einem militärischen Erfolg in der Ukraine „schwere“ Verluste erleiden. Biden drohte erneut auch weitgehende Sanktionen gegen Russland an.

Putin und Biden hatten im Dezember gleich zweimal wegen des Konflikts miteinander gesprochen. Der Kreml schloss ein neues Gespräch nicht aus, wollte aber die Antwort aus Washington auf Moskaus Forderungen nach verbindlichen Sicherheitsgarantien abwarten. „Über ihre Kontakte entscheiden die Präsidenten selbst“, sagte Peskow.

US-Präsident Joe Biden
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US-Präsident Joe Biden bei seiner Rede

Duma könnte Rebellengebiete zu Staaten erklären

Das russische Parlament will offenbar Nägel mit Köpfen machen und wird sich kommende Woche mit Vorschlägen befassen, zwei prorussische Separatistengebiete in der Ostukraine als unabhängige Staaten anzuerkennen. Es gehe um die „Volksrepublik Donezk“ und die „Volksrepublik Luhansk“. Es gebe Sorgen um die Sicherheit der dort lebenden Russen, teilte Duma-Präsident Wjatscheslaw Wolodin am Freitag vor dem Treffen von Blinken und Lawrow mit. Deshalb sei einem Antrag, sich mit dem Thema zu befassen, stattgegeben worden. Zunächst würden die Parteichefs darüber beraten.

Biden sorgt für Verwirrung

Zuvor hatte Biden für Verwirrung gesorgt. Der US-Präsident hatte in Washington gesagt, eine kleinere Aggression Russlands gegenüber der Ukraine würde eine mildere Reaktion des Westens auslösen als eine großangelegte Invasion. Bidens Sprecherin Jen Psaki sah sich nach der fast zweistündigen Pressekonferenz des Präsidenten genötigt, die Äußerung zu relativieren.

Jeglicher Grenzübertritt russischer Soldaten auf ukrainisches Gebiet käme einer Invasion gleich und hätte eine „schnelle, starke und geeinte Antwort der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeter“ zur Folge, sagte Psaki.

Biden irritiert mit Ukraine-Aussage

US-Präsident Joe Biden hat mit Äußerungen zu einem möglichen russischen Einmarsch in die Ukraine für Irritationen gesorgt. Der US-Demokrat schien bei einer Pressekonferenz im Weißen Haus anzudeuten, dass angedrohte Sanktionen der NATO vom Ausmaß eines potenziellen russischen Einmarschs abhängen könnten.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenski reagierte verärgert auf Aussagen von Biden. „Wir erinnern die Großmächte daran, dass es keine kleinen Einfälle und keine kleinen Nationen gibt“, twittert Selenski. „Genauso wie es keine kleinen Opfer und wenig Trauer durch den Verlust geliebter Menschen gibt.“ Er sage das als Präsident der Großmacht Ukraine.

Blinken um Klarstellung bemüht

Biden stellte am Donnerstag schließlich klar, dass jeder Grenzübertritt russischer Truppen in die Ukraine als Einmarsch zu werten sei, für den Russland einen „hohen Preis“ zahlen würde. Blinken versuchte am Donnerstag ebenfalls eine Klarstellung. Er sagte, dass Moskau bei jeder neuen Aggression im Ukraine-Konflikt mit Konsequenzen zu rechnen hat. Jeder Grenzübertritt russischer Streitkräfte werde zu einer „raschen und harten gemeinsamen Antwort“ der USA und ihrer Verbündeten führen, sagte Blinken in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock.

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock
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Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock bemüht sich um Vermittlung

Blinken sagte weiter, destabilisierende Aktionen Russlands in der Ukraine könnten auch unterhalb der Schwelle eines offenen militärischen Angriffs liegen. Die westlichen Verbündeten hätten daher „jedes mögliche Szenario“ untersucht, um eine „koordinierte Reaktion“ festzulegen. „Wenn sich die Sanktionen als notwendig erweisen, wird es zweifellos eine Arbeitsteilung geben, aber alles wird komplementär sein und sich gegenseitig verstärken und eng koordiniert werden.“

Drastische Warnung vor „menschlichen Kosten“

Ein Angriff Russlands auf die Ukraine würde nach Ansicht von Blinken zu deutlich mehr Opfern führen als das bisherige Handeln Moskaus dort. Russland führe eine unbarmherzige Kampagne, die Ukraine zu destabilisieren, und sei nun offenbar bereit, noch weiter zu gehen, so Blinken. Das Land lebe bereits seit 2014 mit den Konsequenzen der russischen Annexion der Krim-Halbinsel und der Destabilisierung der Donbass-Region. „Die menschlichen Kosten eines erneuten Angriffs Russlands wären um viele Größenordnungen höher als das, was wir bisher gesehen haben“, so Blinken.

Der US-Außenminister warnte vor einer „Krise mit weltweiten Folgen“. „Sobald die Grundsätze der Souveränität und der Selbstbestimmung über Bord geworfen werden, fällt man in eine Welt zurück, in der die Regeln, die wir über Jahrzehnte gemeinsam aufgestellt haben, erodieren. Und dann verschwinden“, sagte Blinken.

Der russische Außenminister Sergey Lavrov
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Der russische Außenminister Sergej Lawrow begleitet den Ukraine-Konflikt seit seinem Beginn

Baerbock fordert von Moskau „Schritte zur Deeskalation“

Baerbock schlug in dieselbe Kerbe: „Wir sind uns einig, der einzige Weg aus der Krise ist ein politischer Weg, und dieser Weg führt nur über den Dialog. Leider spricht das russische Verhalten weiterhin eine andere Sprache.“ Sie forderte auch im Namen Blinkens Russland „dringend dazu auf, Schritte zur Deeskalation zu unternehmen“. Jegliche Art von weiterer Aggression zöge „gravierende Konsequenzen“ nach sich. Blinken betonte, welchen Weg Russland auch immer wähle, es werde die USA und ihre Verbündeten vereint vorfinden.

Blinken sagte weiter, in der umstrittenen russisch-deutschen Gaspipeline „Nord Stream 2“ ein „Druckmittel“ gegen Moskau zu sehen. „Es ist auch erwähnenswert, dass noch kein Gas durch Nord Stream fließt, was bedeutet, dass die Pipeline ein Druckmittel für Deutschland, die Vereinigten Staaten und unsere Verbündeten ist, nicht für Russland.“

US-Außenminister Antony Blinken
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US-Außenminister Antony Blinken führt dieser Tage zahlreiche Gespräche

Baerbock empfing am Donnerstag neben Blinken ihren französischen Kollegen Jean-Yves Le Drian und Großbritanniens Vizeaußenminister James Cleverly zu Beratungen in Berlin. Ein russischer Einmarsch in die Ukraine wäre nach Ansicht des britischen Premierministers Boris Johnson eine „Katastrophe für die Welt“. Johnson warnte Moskau am Donnerstag vor einem Angriff und rief den Kreml zu diplomatischen Verhandlungen auf.

Militärhilfe „keine Provokation“

Blinken sieht in der Militärhilfe für die Ukraine keine Provokation im Konflikt mit Russland. „Die Vorstellung, dass die Bereitstellung von militärischer Verteidigungsausrüstung für die Ukraine durch die Vereinigten Staaten, durch europäische Länder und durch die NATO irgendwie eine Provokation oder ein Grund für Russlands Handlungen ist, stellt die Welt auf den Kopf“, sagte Blinken am Donnerstag weiter. Mit der militärischen Unterstützung solle die Ukraine in die Lage versetzt werden, sich selbst zu verteidigen, so Blinken weiter.

Die USA hatten der Ukraine zuletzt „zusätzliches Material“ in Aussicht gestellt, sollte Russland in das Land einmarschieren. Gleichzeitig gebe es eine andauernde Sicherheitshilfe mit Lieferungen. Russland hatte den Westen aufgerufen, die Waffenlieferung zu stoppen, und diese als Gefahr für die Sicherheit bezeichnet.

Die USA genehmigten auf Ersuchen der baltischen Staaten die Lieferung von Waffen aus US-Produktion für die Ukraine. Die USA wollten „die genehmigten Transfers von Rüstungsgütern aus den USA durch andere Verbündete beschleunigen“, sagte am Donnerstag ein Vertreter des US-Außenministeriums in Berlin.

Kreml kündigt großangelegte Marinemanöver an

Die USA und die NATO werfen Russland seit Monaten vor, einen Überfall auf die Ukraine zu planen. Moskau weist das so gut wie täglich zurück. Russland will mit einem Aufmarsch nahe der Ukraine vor allem eine Drohkulisse aufbauen, weil es sich nach eigenen Angaben zunehmend von einer Ausdehnung der NATO bedroht sieht.

Soldaten in der Region um Luhansk (Ukraine)
Reuters/Alexander Ermochenko
Soldaten im Bürgerkriegsgebiet der Ukraine

Wegen der starken russischen Truppenbewegungen an der ukrainischen Grenze befürchtet der Westen allerdings einen bevorstehenden russischen Einmarsch. Moskau argumentiert, dass der Truppenaufmarsch auf russischem Staatsgebiet stattfinde und daher „niemanden“ bedrohe. Der Westen droht Moskau seit Wochen mit heftigen Konsequenzen, sollte es zu einem Einmarsch in die Ukraine kommen.

Inmitten der Spannungen kündigte nun der Kreml ein großangelegtes Marinemanöver in Atlantik, Arktis, Pazifik und Mittelmeer an. An den für Jänner und Februar geplanten Übungen seien insgesamt mehr als 140 Schiffe, mehr als 60 Flugzeuge und etwa 1.000 Stück anderer militärischer Ausrüstung beteiligt, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau nach Angaben russischer Nachrichtenagenturen am Donnerstag mit. Etwa 10.000 Soldaten sollen teilnehmen.

Britische Außenministerin: Massiver strategischer Fehler

Die britische Außenministerin Liz Truss warf China und Russland einen weltweiten Feldzug gegen die Demokratie vor. „Sie wollen die Diktatur rund um die Welt wie eine Dienstleistung exportieren“, wollte Truss laut Redevorlage am Freitag bei einem Vortrag im australischen Sydney sagen. „Deshalb finden Regime wie Belarus, Nordkorea und Myanmar ihre engsten Verbündeten in Moskau und Peking.“

Die „globalen Aggressoren“ fühlten sich so ermutigt wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr, so die Rede weiter. Truss warnte Russland, ein Angriff auf die Ukraine bedeute einen „massiven strategischen Fehler“. „Der Kreml hat nicht aus der Geschichte gelernt.“ Eine Invasion werde zu einem furchtbaren Verlust von Leben führen – „wie wir es aus dem sowjetisch-afghanischen Krieg und dem Tschetschenien-Konflikt kennen“. Großbritannien und seine Verbündeten stünden fest an der Seite der Ukraine, versicherte Truss.

Das Problem mit den Sanktionen

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen warnte indes Putin für den Fall eines Einmarsches in die Ukraine vor weitreichenden Einschränkungen der Handelsbeziehungen. „Falls es weitere Angriffe auf die territoriale Unversehrtheit der Ukraine gibt, werden wir mit massiven Wirtschafts- und Finanzsanktionen reagieren“, sagte sie am Donnerstag bei einer Onlineveranstaltung des Weltwirtschaftsforums Davos. Die EU sei mit Abstand der größte Handelspartner Russlands und mit Abstand der größte Investor. „Diese Handelsbeziehung ist uns wichtig, aber sie ist für Russland viel wichtiger“, sagte sie.

Mögliche Sanktionen gegen Russland wegen des Ukraine-Konflikts hätten Bidens Wirtschaftsberater Brian Deese zufolge kaum Auswirkungen auf die Wirtschaft in den USA oder die Weltwirtschaft. „Die Maßnahmen, die wir vorbereitet haben und für die wir eng mit unseren Verbündeten zusammenarbeiten, würden der russischen Wirtschaft im Laufe der Zeit erhebliche Kosten auferlegen, und zwar in einer Weise, die die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft und die amerikanische Wirtschaft abmildert“, sagte Deese dem Sender CNN.