Demonstration anlässlich der Räumung des Protestcamps von Umweltschützern auf der geplanten Baustelle der Wiener Stadtstraße in Wien-Donaustadt
APA/Tobias Steinmaurer
Lobau

Wien überrascht mit Protestcamp-Räumung

Unerwartet hat die Stadt Wien am Dienstag mit der Räumung des Protestcamps gegen die umstrittene Stadtstraße begonnen. Während die Einsatzkräfte mit dem Abriss anfingen und Bäume gefällt wurden, kündigten die Aktivistinnen und Aktivisten an, den Protest fortzusetzen. Zum Auftakt einer Kundgebung vor der SPÖ-Zentrale in der Löwelstraße versammelten sich am Abend bereits einige hundert Menschen. Aus der Politik gab es auf Bundesebene zumindest kaum Reaktionen.

Bei der abendlichen Kundgebung vor der SPÖ-Zentrale wurde einmal mehr lautstark gegen die Räumung protestiert – auch unter dem Einsatz von Trommeln und Trillerpfeifen. Auf Transparenten („Städte für die Autos oder für die Menschen?“) wurde die Verkehrspolitik der Stadt kritisiert. Die NGO Global 2000 projizierte ein Bild des Wiener Bürgermeisters Michael Ludwig (SPÖ) – wie er einen Baum umschneidet – auf das Gebäude.

Der Grund für den Unmut: Um 8.00 Uhr rückte die Polizei am Dienstag an, um das Camp bei der Hausfeldstraße in Wien-Donaustadt zu räumen. Zwölf Aktivisten waren zu dem Zeitpunkt anwesend. Der Bereich wurde großräumig abgesperrt, sämtliche öffentlichen Verkehrsmittel rund um die Baustelle wurden zeitweilig unterbrochen. Den Unterstützerinnen und Unterstützern wurde die Anreise damit zwar erschwert – was sie aber nicht davon abhielt, dem Aufruf zahlreicher NGOs zu folgen, zum Ort des Geschehens zu kommen.

Bis Mittag kamen Hunderte Menschen zum Gelände, sie besetzten zum Teil Fahrzeuge und rissen den Zaun um das Camp immer wieder nieder. Zwei Personen waren zu Mittag in der Pyramide mit „technischen Hilfsmitteln aneinander und dort fixiert“, so Polizeisprecher Markus Dittrich. Am frühen Nachmittag hieß es, auch diese Personen seien befreit worden, das Protestcamp sei vollständig geräumt. Insgesamt wurden 48 Personen festgenommen, hieß es. Auch Anzeigen gab es laut Polizei.

Polizei bei der Räumung des Protestcamps von Umweltschützern auf der geplanten Baustelle der Wiener Stadtstraße in Wien-Donaustadt
APA/Tobias Steinmaurer
Am Vormittag begann die Polizei das Camp zu räumen

Seit mehreren Monaten haben die Aktivistinnen und Aktivisten Baustellen für die Stadtstraße aus Protest gegen den Bau besetzt. Wien hält an der Errichtung der Stadtstraße fest, nachdem Umweltschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) den Bau des umstrittenen Lobautunnels gestoppt hat. Die Stadt hatte den Besetzerinnen und Besetzern sowie einigen, die sie unterstützen, zwischenzeitlich Klagsdrohungen in Millionenhöhe geschickt. Auch einen Brandanschlag auf den Turm bei der Hirschstettner Straße gab es.

Wien: Polizei räumt Protestcamp

Am Dienstag räumte die Polizei in Wien-Donaustadt das Protestcamp der Lobautunnel- und Stadtstraßengegner.

Polizei setzte Pfefferspray ein

Die Stadt Wien sei an die Polizei Wien herangetreten, die Versammlung aufzulösen, um mit den Bauarbeiten zu beginnen – dem sei man als Behörde nachgekommen, sagte Dittrich gegenüber Radio Wien. Während des Polizeieinsatzes erfolgten bereits die ersten Aufräumarbeiten im Protestcamp. Bagger rissen etwa ein Nebengebäude der Pyramide ab, ein Campinganhänger wurde abtransportiert. Nach der Räumung wurde auch die Pyramide demoliert.

Die Beamten setzten Pfefferspray ein, laut Aktivisten seien auch Schlagstöcke eingesetzt worden. „Es wurden junge Menschen am Boden fixiert, Handschellen angelegt und hier in den Polizeiautos festgehalten“, schilderte Lucia Steinwender, Sprecherin von LobauBleibt und „System Change not Climate Change“ im APA-Gespräch.

Fotostrecke mit 5 Bildern

Räumung des Protestcamps in der Lobau
www.picturedesk.com/Karl Schöndorfer
Am Dienstag begann die Polizei, das Protestcamp zu räumen
Fällen der ersten Bäume in der Lobau
APA/Tobias Steinmaurer
Auch Hunderte Bäume werden für die Errichtung der Stadtstraße gefällt
Teilnehmer des Protestcamps in der Lobau
APA/Tobias Steinmaurer
Die Aktivisten und Aktivistinnen versuchten, die Maschinen aufzuhalten
Teilnehmer des Protestcamps in der Lobau
APA/Tobias Steinmaurer
Nach Mittag war das Camp von der Polizei geräumt
Wohnwagen von Teilnehmern des Protestcamps beim Abtransport
APA/Tobias Steinmaurer
Wohnwagen und sonstige Gegenstände wurden vom Camp entfernt

Sima: „Geduldig Lösung gesucht“

Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) meldete sich am Nachmittag via Twitter zu Wort. Es habe zahlreiche, letztlich „erfolglose“ Gesprächsangebote der Stadt gegeben. Es gebe gute Gründe für die Straße, beteuerte er – nämlich die geplanten Wohnbauten in bzw. um die Seestadt Aspern. „Ein derart großes Stadtentwicklungsgebiet benötigt eine gut ausgebaute, höherrangige Straße.“ Auf dieser seien auch Busse und Einsatzfahrzeuge unterwegs, gab er zu bedenken.

Man habe fünf Monate lang „sehr geduldig versucht, eine friedliche Lösung zu erzielen“, sagte Verkehrsstadträtin Ulrike Sima (SPÖ) davor in einer Reaktion gegenüber Radio Wien. Das sei aber nicht möglich gewesen, weil sämtliche Gesprächsangebote von der Gegenseite abgelehnt worden seien, verwies die Stadt auf ein eigenes Dokument, in dem sie ihre Angebote auflistete.

Karte zeigt geplante Stadtstraße und Protestcamp
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

In einem Brief an die Aktivistin Lena Schilling schreibt Sima, es sei ihr „wichtig, über das Thema der Stadtstraße hinaus mit Ihnen im Dialog zu bleiben“. Klimaschutz sei auch der Stadt ein zentrales Anliegen, die 3,2 Kilometer lange Straße sei ein „Schlüssel für die klimafreundliche Stadtentwicklung“. Sie sei sich sicher, „dass wir in vielen Bereichen nicht weit auseinander liegen“.

Räumung des Protestcamps

Bagger bei der Räumung des Protestcamps im Einsatz.

Grüner Umweltsprecher „empört“

Vonseiten der Bundespolitik zeigte sich der Klimaschutzsprecher der Grünen, Lukas Hammer, „empört“ über das Vorgehen Wiens. Er warf der Stadt vor, dass die von ihr gezeigte Dialogbereitschaft nur „Trug und Schein“ sei. Aus Wien selbst gab es Kritik vom grünen Landesparteivorsitzenden Peter Kraus, der einen „traurigen Tag für den Klimaschutz, für die Zivilgesellschaft und ganz besonders für die SPÖ“ konstatierte.

Erfreut zeigte sich hingegen die Wiener ÖVP: „Der Rechtsstaat hat sich durchgesetzt.“ Die rechtswidrige Besetzung werde endlich zu einem Ende gebracht, so der designierte Landesparteiobmann der Volkspartei Wien, Karl Mahrer, und Klubobmann Markus Wölbitsch, die der Polizei dankten.

Polizei bei der Räumung des Protestcamps von Umweltschützern auf der geplanten Baustelle der Wiener Stadtstraße in Wien-Donaustadt
APA/Tobias Steinmaurer
Bei der Räumung kam es auch zu Festnahmen

Die FPÖ beschwerte sich wiederum wegen der Störung eines Interviews mit ihrem Verkehrssprecher Anton Mahdalik. Dieser sei vor laufender Kamera „anagitiert“ worden. „Linke Chaoten“ hätten gestört, so Mahdalik, der sich über die Räumung und das Ende „dieses Kasperltheaters“ erfreut zeigte.

Harsche Kritik von Umweltorganisationen

Umweltorganisationen übten postwendend harsche Kritik. Der WWF Österreich bezeichnete den geplanten Bau als „fahrlässig und verantwortungslos“. Statt auf ernsthaften Dialog zu setzen, räume Wien lieber. Die Stadt solle ihre „autozentrierte Verkehrspolitik“ beenden und im urbanen Bereich sinnvolle, klimafreundliche Alternativen forcieren, sagte auch Maria Schachinger, Bodenschutzsprecherin des WWF Österreich.

Eine Klimaaktivistin vor Polizeiautos auf der geplanten Baustelle der Wiener Stadtstraße in Wien-Donaustadt
APA/Tobias Steinmaurer
Die Aktivisten und Aktivistinnen wollen trotz der Räumung nicht aufgeben

Einen „Skandal“ sieht Steinwender von „System Change not Climate Change“ darin, dass Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) vergangene Woche einen Klimaplan für die Stadt vorstellte und gleichzeitig am Bau der Straße festhält. Solange die Stadtautobahn nicht abgesagt sei, bleibe die Lobau gefährdet. Auch die Katholische Aktion der Erzdiözese Wien äußerte Unverständnis über die Räumung der Baustelle. Die jungen Menschen würden mit dieser Vorgangsweise vor den Kopf gestoßen, zeigte man sich überzeugt – mehr dazu in religion.ORF.at.

Die Räumung des Protestcamps löse nicht das Problem, dass die Stadtstraße mit ihren vier Spuren im „krassen Widerspruch“ zu den Klimazielen und Mobilitätszielen der Stadt stehe, meinte der Verkehrsclub Österreich (VCÖ) in einer Aussendung. Eine konstruktive und gute Lösung könne nur mittels Dialog erreicht werden. Es gebe zudem bessere Lösungen als die „überdimensionierte“ Stadtstraße.