Eine Kamera liegt auf einer Tasche.
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Doron Rabinovicis „Die Einstellung“

Populismus und die Macht der Bilder

Mit „Die Einstellung“ legt der Schriftsteller und Historiker Doron Rabinovici seinen neuen Roman über den Pressefotografen August Becker vor. In der Parabel über Rechtspopulismus verbindet sich das Nachdenken über die Rolle von klassischen und sozialen Medien mit der Analyse eines historischen Kipppunktes liberaler Gesellschaften, die das Unterlaufen ihrer eigenen demokratischen Standards hinnehme. Die Wirklichkeit habe ihn jedenfalls während des Schreibens überholt, sagt der Autor gegenüber ORF.at.

Im Zentrum des Romans steht ein Bild – ein Foto des Rechtspopulisten Ulli Popp. Der Mann am Auslöser, der lang gediente und idealistische Pressefotograf Becker, verfügt über eine besondere Begabung für sein Fach, er findet immer die richtige Einstellung, um die Persönlichkeit auf dem Bild hervortreten zu lassen. Bei dem Auftrag für die liberale Wochenzeitschrift „Forum“ stellt er sich erstmals die Sinnfrage – will er jemanden wie Popp durch sein Bild adeln, ihn noch bekannter machen als er es ohnedies schon ist?

Der Politiker ist eine schillernde Figur, „kein glatter Schönling“, vielmehr ein „ganzer Kerl mit gesundem Teint“, der über ein kantiges Gesicht und ein verwegenes, breites Lächeln verfügt. Schon bei dieser ersten Beschreibung wird deutlich, dass es Rabinovici keineswegs um eine Abrechnung mit der heimischen Politik geht – er verdichtet vielmehr aus diversen europäischen Populisten einen Archetypus, der zeigt, auf welchen geschmeidigen Sohlen rechtes Gedankengut über den souveränen Umgang mit medialem Image und rhetorisch gewieften Relativierungen der eigenen Positionen Einzug in die Gunst der Wählermassen hält.

Autor Doron Rabinovici
APA/Tobias Steinmaurer
Doron Rabinovici verbindet in „Die Einstellung“ tiefschürfende Gegenwartsanalyse mit literarischem Witz

Mehr als „österreichische Verhältnisse“

„Hätte ich nur die österreichischen Verhältnisse geschildert, hätte ich zu kurz gegriffen. Das wäre für einen Roman über die österreichischen 90er Jahre möglich gewesen, inzwischen ist der Rechtspopulismus ein internationales Phänomen“, sagt Rabinovici gegenüber ORF.at. Dem Roman vorangegangen ist eine intensive Beschäftigung mit den Positionen und der Rhetorik eines Christian Straches und Herbert Kickels genauso wie mit Viktor Orban, Matteo Salvini und Steve Bannon, deren Reden er zusammen mit „Falter“-Chefredakteur Florian Klenk 2018 zur Dramencollage „Alles kann passieren. Ein Polittheater“ verdichtete.

Auch auf den Ort der Handlung habe sich Rabinovici nicht festgelegt, weil es ihm um „ein Mischmasch“ aus diversen Rechtspopulismen gehe. Der Ort bleibt tatsächlich weitestgehend unmarkiert, erscheint aber als eine österreichisch-deutsche Allgemeinfläche. Die informellen Naheverhältnisse zwischen der politischen Szene und journalistischen Meinungsmachern persiflieren aber deutlich heimische Zustände, auch wenn Rabinovici erzählt, dass er den Roman bereits im Jänner 2017 begonnen und ihn die Wirklichkeit mit den letzten und vorletzten Enthüllungen gewissermaßen beim Schreiben eingeholt habe.

Auf der politisch-medialen Hinterbühne

Tatsächlich bevölkert so manche Figur, die der Sphäre der österreichischen politisch-medialen Hinterbühne entstammt, Rabinovicis „Einstellung“. Da gibt es beispielsweise den PR-Chef des Bundeskanzlers namens Flo Maus, der im Kaffeehaus unumwunden zwischen zwei Espressos zugibt, er habe seinem Chef vor dem Nachrichteninterview am Vorabend einen Ziegelstein in die Hand gedrückt, damit dieser medial wirksam behaupte, linke Demonstranten hätten diesen geworfen.

Buchcover „Die Einstellung“ von  Doron Rabinocivi.
Suhrkamp
Doron Rabinovici: Die Einstellung. Suhrkamp Verlag, 224 Seiten, 24,95 Euro.

Wenn just Becker und die migrantische Redakteurin Selma Kaltak, mit der er gemeinsam an einem Artikel zur Entzauberung Popps arbeitet, in Hörweite zu diesen Eingeständnissen sind, muss jede Leserin und jeder Leser selbst entscheiden, ob sie bzw. er das für eine holzschnittartige Konstruktion oder für eine plausible Skizze der Wiener Ringstraßenkaffeehäuser während des Hochbetriebs der umliegenden Ministerien halten will – dem Autor Rabinovici geht es jedenfalls um die Reflexe, die sich aus diesen Informalitäten für die öffentliche Meinung ergeben.

Becker schießt schließlich sein Porträtbild von Popp beim Fassanstich in einem Bierzelt. Nachdem der Fotograf den Politiker – der lustvoll sein Publikum gegen Selma als „vermeintliche Journalistin“ und Vertreterin der „Lügenpresse“ aufhetzt – zur Kenntlichkeit entstellt, kann er ihn beim gemeinsamen Drink doch als erstaunlich sympathischen und elaborierten Gesprächspartner empfinden. Dass Popp ihm und seiner Kunst schmeichelt und nur unverhohlene Andeutungen in Richtung faires Honorar und Karrierechancen macht, zeigt, wie elastisch die Grenze zwischen sozialer Gewandtheit und Korruption geraten kann.

„Kipppunkt liberaler Gesellschaften“

Als Becker eine positive Einschätzung über Popps persönlichen Charakter in sozialen Netzwerken äußert, ist der Shitstorm nicht weit – der alte weiße Medienmann tut sich eben schwer mit der Verfasstheit der Gegenwart. Dahinter steht vonseiten Rabinovicis aber keineswegs die Lust an der Satire, sondern die Faszination für die genaue Analyse der Strategien eines sich modern gebenden Antisemitismus und seiner öffentlichen Wirkung, die ihn als Historiker, Essayist und Romancier seit Jahrzehnten umtreiben.

Ihn fasziniere der „Kipppunkt liberaler Gesellschaften“, der sich anhand des neuen Rechtspopulismus beobachten lasse, so der Autor. So habe sich das liberale Streben nach einer offenen Gesellschaft in der Globalisierung als „neoliberales Prinzip“ durchgesetzt – und mit Obrigkeitsstrukturen auch gleich sozialstaatliche Errungenschaften entsorgt. Was übrig bleibt, so Rabinovici im Gespräch, ist der „Glaube an das Recht des Stärkeren – und nicht der Glaube an die Stärke des Rechts.“

Zwischen Don Quijote und Antonioni

Diese Gewissheit bildet das diffuse Hintergrundgefühl, in der die Hauptfigur Becker beheimatet ist. Er selbst ist in Generationenkonflikte eingespannt, die den Roman durchziehen: Von seinem Nazi-Großvater über den Vater, der seine Berufung missbilligte, reichen die Auseinandersetzungen mit dem Konflikt, der sich mit seinem eigenen Sohn entspinnt, dem er ein Managementstudium finanzieren soll, ins vierte Glied.

Veranstaltungshinweis

Rabinovici präsentiert „Die Einstellung“ am 24.02 in der Alten Schmiede im Gespräch mit Johanna Öttl. Die Veranstaltung ist um 19.00 Uhr in der Wiener Schönlaterngasse 9 und im Livestream zu sehen.

„Die Einstellung“ ist weit mehr als eine historische Analyse. Deshalb gibt Rabinovici seinem Helden einen doppelten Boden mit, der den eigentlichen Witz des Romans offenbart. Becker, der einen klapprigen Motorroller namens „Rosinante“ fährt – benannt nach Don Quijotes Gaul – ist wie das große literaturhistorische Vorbild eine Figur, die man nicht allzu ernst nehmen sollte. Seine Ideale sind genauso wie seine Männlichkeitsvorstellungen Teil einer imaginären Ritterrüstung, die von außen besehen eher rostfleckig ist denn strahlend.

Becker sieht die Realität immer nur vermittelt, wie der Modefotograf Thomas in Michelangelo Antonionis „Blow Up“ (1966) – seine Kamera fungiert ihm als Prothese für den fehlenden Wirklichkeitssinn. Und vielleicht drängt hinter der beunruhigenden Gegenwart, die Rabinovici skizziert, ja schon längst wieder eine neue Utopie hervor – wählt man nur die richtige „Einstellung“ in der Ansicht des gesamten Panoramas.