Militärisches Material wird in ein Transportflugzeug geladen
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Putin und Biden

Diplomatie kommt nicht vom Fleck

In der Ukraine-Krise sind am Samstag die Drähte heiß gelaufen. US-Präsident Joe Biden und sein russischer Amtskollege Wladimir Putin sprachen direkt miteinander, erzielten aber keine wesentlichen Fortschritte. Die USA wollten den Weg der Diplomatie weiter verfolgen, so das Weiße Haus. Man sei aber genauso auf andere Szenarien vorbereitet.

Durch die Truppenaufmärsche Russlands in Grenzgebieten zur Ukraine wächst die Sorge vor einem Einmarsch. Washington hatte zuletzt davor gewarnt, Russland könnte sein Nachbarland schon am 16. Februar angreifen. Der Kreml weist das kategorisch zurück und spricht von einer Propagandakampagne gegen Russland. Bisher waren alle diplomatischen Bemühungen zur Entspannung der Lage fruchtlos. Auch das rund einstündige Telefonat von Putin und Biden am Samstag brachte kaum Annäherung.

Biden habe Putin aufgefordert, die Truppen an der ukrainischen Grenze abzuziehen. Auf eine Invasion würden die USA entschieden reagieren – eine Antwort, die Russland „rasch und schwer“ spüren würde, hieß es aus dem Weißen Haus. Eine Invasion würde umfassendes menschliches Leid hervorrufen und Russlands Ansehen in der Welt schaden. Aus US-Regierungskreisen hieß es, das Gespräch habe keine „grundlegende Veränderung“ gebracht. Der Austausch sei aber „professionell und inhaltsreich“ gewesen.

Der Kreml bekräftigte erneut, die US-Vorschläge zu Sicherheitsfragen würden die wesentlichen Bedenken Russlands nicht berücksichtigen. Putin habe im Detail erklärt, warum das jetzt aber diskutiert werden müsse. Zudem habe der Westen nicht genug Druck auf die Ukraine ausgeübt, sich an die Vereinbarungen des Minsker Abkommens zu halten. Zu einem möglichen russischen Einmarsch teilte der Kreml lediglich mit, die Warnungen davor hätten inzwischen ein absurdes Niveau erreicht.

Riskanter Vorfall im Pazifik

Kurz vor dem Telefonat hatte Moskau einen Zwischenfall mit einem US-U-Boot im Pazifik bekanntgegeben. Das U-Boot sei während einer Marineübung Russlands vor den Kurilen-Inseln in russische Gewässer eingedrungen und habe diese erst nach „geeigneten Maßnahmen“ der russischen Seite verlassen, meldete die Nachrichtenagentur Interfax. Wegen des Vorfalls sei der US-Militärattache ins russische Verteidigungsministerium zitiert worden.

Analyse der Ukraine-Krise

US-Korrespondentin Inka Pieh und Russland-Korrespondent Paul Krisai ordnen die jüngsten Entwicklungen der Ukraine-Krise ein.

Über Hintergründe des Vorfalls war nichts bekannt. Eigentlich schienen die USA bestrebt, jede direkte Konfrontation mit Russland zu vermeiden. Verteidigungsminister Lloyd Austin deutete am Samstag auch an, alle noch verbliebenen US-Soldaten aus der Ukraine abzuziehen. Konkret sollten 160 Mitglieder der Florida-Nationalgarde aus dem Land verlegt werden.

Russland ortet Kampagne

Wie real die Gefahr eines russischen Einmarschs in die Ukraine ist, darüber wurde am Samstag weiter gestritten. Putin hatte auch mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron telefoniert. Wie der Elysee-Palast mitteilte, warnte Macron Putin dabei ebenfalls vor einer militärischen Eskalation. Ernsthafte Verhandlungen seien unvereinbar mit einer Eskalation der Spannungen um die Ukraine. Beide Staatschefs hätten „den Willen zur Fortsetzung des Dialogs“ geäußert, hieß es aus dem Elysee-Palast. Putin hingegen wies in dem Gespräch Berichte über einen bevorstehenden Angriff als „provokative Spekulationen“ zurück. Er warf den westlichen Verbündeten Kiews zudem vor, der Ukraine „moderne Waffen“ zu liefern, hieß es aus dem Kreml.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow bezichtigte außerdem die USA, eine Propagandakampagne über eine mögliche russische Aggression zu führen. Lawrow habe dem US-Außenminister Antony Blinken in einem Telefonat an diesem Samstag außerdem gesagt, die USA und die EU hätten Sicherheitsvorschläge Russlands ignoriert, teilte das Außenministerium in Moskau mit.

Ukraine fürchtet Panik im eigenen Land

Verwundert zeigte man sich auch in der Ukraine über die US-Warnungen. „Falls Sie oder jemand anderes zusätzliche Informationen über einen 100-prozentigen Einmarsch am 16. (Februar) haben, dann geben Sie uns bitte diese Information“, sagte Präsident Wolodymyr Selenski am Samstag Journalisten. Er warnte zudem vor „Panik“: „Uns ist klar, dass es Risiken gibt“, so Selenski. Jedoch sei „der größte Feind“ der Ukraine „derzeit Panik in unserem Land“.

Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan hatte zuvor deutlich gemacht, dass die USA einen russischen Einmarsch in die Ukraine noch vor dem Ende der Olympischen Winterspiele in China am 20. Februar für möglich halten. „Wir befinden uns in einem Zeitfenster, in dem eine Invasion jederzeit beginnen könnte, sollte sich Wladimir Putin dazu entschließen, sie anzuordnen“, sagte Sullivan im Weißen Haus.

Die Bevölkerung in der Ukraine trug ihren Missmut auf die Straße. In Kiew demonstrierten mehrere tausend Menschen gegen eine Aggression Russlands. Teilnehmer der Kundgebung trugen ukrainische Flaggen und Transparente mit Aufschriften wie „Ruhm der Ukraine“ und „Invasoren müssen sterben“.

Säbelrasseln auf allen Seiten

In der Zwischenzeit hielten die beteiligten Seiten weiterhin ihre Drohkulissen aufrecht. Am Samstag verließen mehr als 30 Schiffe der russischen Schwarzmeerflotte die Häfen Sewastopol und Noworossijsk, berichtete die russische Nachrichtenagentur RIA unter Berufung auf die Marine. Die Übung sei Teil der größer angelegten, geplanten Marinemanöver.

Auch die US-Luftwaffe rüstete weiter auf: Acht Kampfjets vom Typ F-16 wurden nach Rumänien verlegt. Die Flugzeuge trafen im Luftwaffenstützpunkt Borcea, 150 Kilometer östlich von Bukarest, ein, wie das rumänische Verteidigungsministerium am Freitagabend mitteilte. Sie würden zusammen mit 150 US-Soldaten an gemeinsamen Übungen mit dem rumänischen Militär teilnehmen, hieß es in der Mitteilung. Die Manöver würden zwei Wochen dauern.

Russische Raketenwerfersysteme
APA/AFP/Russian Defence Ministry
Russland veröffentlichte am Samstag Bilder der gemeinsamen Manöver mit Belarus, hier vom Raketenwerfersystem Uragan

Bereits vor einigen Tagen waren vier Kampfjets der US-Marine vom Typ F/A-18 Super Hornet und 50 US-Soldaten in Borcea eingetroffen. Auch sie sollen an der Übung teilnehmen. Rumänien grenzt unmittelbar an die Ukraine. Zudem kündigte das Pentagon an, Anfang kommender Woche weitere 3.000 Soldaten nach Polen zu verlegen. Erst Anfang Februar hatten die USA die Verlegung von 2.000 Soldaten an die NATO-Ostflanke in die Wege geleitet.

Reisewarnungen und Ausreiseappelle

Die USA forderten ihre Staatsbürger in der Ukraine dazu auf, das Land schnellstens zu verlassen. „Alle Amerikaner in der Ukraine sollten das Land so bald wie möglich verlassen – und auf jeden Fall in den nächsten 24 bis 48 Stunden.“ Zudem zieht das Land – genauso wie Russland – die meisten Mitarbeiter der Botschaft in der ukrainischen Hauptstadt Kiew ab.

Eine explizite Reisewarnung aus Österreich gibt es nicht. Doch es wird zu Vorsicht geraten: „Aufgrund der durch die russischen Truppenbewegungen an der Grenze zur Ukraine ausgelösten Spannungen wird zurzeit von allen nicht unbedingt notwendigen Reisen in die Ukraine abgeraten“, schreibt das Außenministerium. Alle Reisenden und Auslandsösterreicher in der Ukraine sollen sich online registrieren und die Entwicklung der Lage in den Medien aufmerksam zu verfolgen. Für die Gebiete Donezk und Luhansk sowie für die Halbinsel Krim besteht zudem unverändert eine partielle Reisewarnung (Sicherheitsstufe 5).

Biden ruft Landsleute zum Verlassen der Ukraine auf

US-Präsident Joe Biden hat den Ton gegenüber Russland im Ukraine-Konflikt erneut verschärft. In einem Interview mit dem US-Sender NBC rief Biden US-Bürger und -Bürgerinnen in der Ukraine auf, das Land „jetzt“ zu verlassen.

Großbritannien und Deutschland forderten ihre Staatsbürger hingegen dezidiert zum zügigen Ausreisen aus der Ukraine aus. Ähnliche Aufrufe gab es von Polen, Tschechien, Dänemark, Lettland, Estland, Israel, den Niederlanden, Jordanien, Italien, Spanien, Schweden, Belgien, Luxemburg sowie Australien und Neuseeland. Litauen bat alle seine Bürgerinnen und Bürger in der Ukraine zu überdenken, ob ihre Anwesenheit im Land wirklich notwendig sei. Die Türkei rät ihren Staatsbürgern, nicht in die Ostukraine zu reisen.

Die niederländische Fluggesellschaft KLM stellte ihre Flugverbindungen mit der Ukraine überhaupt ein. Wie bei allen Aktivitäten der Airline stehe die Sicherheit der Passagiere und der Beschäftigten an erster Stelle.