Russisch-finnische Grenze in Lappeenranta, Finnland
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Ukraine-Krise

Neuer Auftrieb für Finnlands NATO-Debatte

Finnland und Russland teilen nicht nur eine rund 1.300 Kilometer lange Grenze, sie pflegen aus geopolitischen, historischen und wirtschaftlichen Gründen auch eine komplizierte Beziehung. Die Ukraine-Krise stellt diese nun neuerlich auf die Probe. Das verleiht der langjährigen Debatte über Finnlands Verhältnis zur NATO wieder Auftrieb.

Seit Ende des Kalten Krieges pocht das geografisch zwischen den Machtblöcken gelegene Finnland auf seine Bündnisfreiheit. Das gilt auch für eine NATO-Mitgliedschaft. Ein Beitritt zu dem Militärbündnis wurde zwar immer wieder thematisiert und von diversen Politikerinnen und Politikern unterstützt, galt de facto aber lange als politisches Tabu mit sehr geringer Unterstützung der Bevölkerung.

Doch das Gebot ist im Laufe der Jahre erodiert, nicht nur durch den EU-Beitritt 1995 und die damit einhergehende Westintegration. Einen tiefen Riss nahm es 2014 nach der Einverleibung der Krim durch Russland. Neben dem ebenfalls bündnisfreien Schweden vertieft seither auch Finnland stetig die Kooperation mit der NATO und nimmt an zahlreichen Übungen teil. Zudem ist das Land aktiv in der Cyberabwehr.

Thema in Neujahresansprachen

Die Devise ist, keinen Beitritt zu planen, sich einen solchen aber ausdrücklich offenzuhalten. Doch derzeit wird das Thema NATO angesichts der Lage in der Ukraine wieder auffällig virulent. Sowohl Präsident Sauli Niinistö als auch die Premierministerin Sanna Marin brachten die NATO sogar bei ihren Neujahresansprachen aufs Tapet. „Finnland behält sich die Möglichkeit eines NATO-Beitritts vor“, sagte etwa Marin.

Die finnische Premierministerin Sanna Marin
APA/AFP/Johanna Geron
Finnlands Premierministerin Marin: Finnland hält sich NATO-Beitritt offen

Jedes Land müsse eine solche Entscheidung über seine Sicherheitspolitik souverän treffen können. Ähnlich äußerte sich Präsident Niinistö, dem ein guter Draht zum russischen Präsidenten Wladimir Putin nachgesagt wird. Er trug diese Botschaft von Finnlands Entscheidungsfreiheit über internationale Medien in den letzten Wochen auch demonstrativ auf die internationale Bühne.

Ärger über Brief aus Moskau

Denn auch die skandinavischen Staaten fühlen sich durch den russischen Truppenaufmarsch in die Enge gedrängt. Russland hatte seine Militäraktionen in der Ukraine stets damit begründet, dass es sich durch eine NATO-Expansion Richtung Osten bedroht fühle. Moskau fordert nun in den Ukraine-Verhandlungen, dass das transatlantische Bündnis jede Osterweiterung stoppen müsse. Zudem solle sich die NATO auf seine Grenzen von 1997 zurückziehen. Das zielt ausdrücklich auch auf Finnland und Schweden ab.

Ende Dezember warnte Moskau die beiden Staaten in einem Schreiben vor einem Beitritt zum Bündnis und sorgte dort für erheblichen Unmut. Finnland habe volle Souveränität über seine Sicherheitspolitik und entscheide autonom, sicherte Niinistö nach einem Telefonat mit Putin zu. Zudem betont Finnland die enge Zusammenarbeit mit der NATO und nahm auch am jüngsten NATO-Verteidigungsministertreffen zur Ukraine-Krise teil.

Dort sei Finnland auch versichert worden, dass für das Land seitens der NATO weiterhin eine „Politik der offenen Tür gelte“, so Verteidigungsminister Antti Kaikkonen. Als Signal für eine Annäherung wird auch gewertet, dass Finnland zuletzt den Kauf von 64 Kampfjets des US-Herstellers Lockheed Martin samt Wartung und Training um insgesamt zehn Milliarden Euro beschloss.

Lange Grenze, eng verflochten

Der rauer werdende Ton im Gespräch mit Russland, die Drohgebärden gegen die Ukraine und die russischen Truppenbewegungen in unmittelbarer geografischer Nähe haben die Vorsicht in den skandinavischen Staaten sichtlich erhöht. Doch für das Nachbarland Finnland bleibt der Umgang nicht nur aufgrund der langen Grenze besonders heikel.

Finnisch-russische Grenze in Lappeenranta, Finnland.
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Finnland hat von allen EU-Staaten die längste Grenze zu Russland

Die Staaten sind unter anderem auch wirtschaftlich eng verbunden, Finnland bezieht laut dem US-Forschungszentrum Wilson Center rund 60 Prozent seiner Energieimporte aus Russland. Russland ist zudem auf Platz vier der wichtigsten Exportstaaten für Finnland. Politisch wird immer wieder auf die intakten Gesprächskanäle mit Russland verwiesen, die man angesichts seiner konfliktreichen gemeinsamen Geschichte etabliert habe.

Beitritt unwahrscheinlich, aber Debatte läuft

Dass es tatsächlich rasch zu einem NATO-Beitritt kommen könnte, wird daher auch nicht erwartet. Die Annahme ist, dass Finnland versuchen wird, bestehende militärische Kooperationen auch mit der EU, skandinavischen Nachbarstaaten und der NATO zu vertiefen. Ein möglicher NATO-Beitritt sei für Finnland ein „sanftes Druckmittel“ gegen Russland, so Henri Vanhanen, Sicherheitsberater in Finnlands konservativer Nationaler Sammlungspartei.

Auch Premierministerin Marin sagte noch Ende Jänner gegenüber Reuters, sie halte einen NATO-Beitritt während ihrer Amtszeit für „unwahrscheinlich“, dieser hätte zu starke Auswirkungen. In Finnland musste sie für diese eher konkrete Aussage Kritik hinnehmen: Marin könne sich nicht von sich aus von der NATO-Option distanzieren.

Die Debatte ist jedenfalls wieder angelaufen, das schlägt sich auch in der Bevölkerung nieder. Seit 2002 gibt die Zeitung „Helsingin Sanomat“ Umfragen zur Haltung der Bevölkerung bezüglich des NATO-Beitritts in Auftrag. In der jüngsten Umfrage von Ende Jänner sprachen sich 42 Prozent gegen und 30 Prozent für eine NATO-Mitgliedschaft aus, der Rest ist unentschlossen oder wollte keine Antwort geben. Bei der Ablehnung ist das der bisher niedrigste Wert.