Ukrainische Panzer im Schnee
APA/AFP/Sergey Bobok
Trotz Säbelrasselns

Alle in Ukraine-Krise für Gespräche

Nach Tagen des Säbelrasselns in der Ukraine-Krise versuchen derzeit alle Seiten, sich auch oder vor allem verhandlungsbereit zu zeigen. Die „New York Times“ spricht bereits von einem „Krieg der Signale“, der einen echten Krieg verhindern soll. Nach Signalen der Deeskalation von Russlands Präsident Wladimir Putin beim Besuch des deutschen Kanzlers Olaf Scholz betonte auch US-Präsident Joe Biden seine Gesprächsbereitschaft, auch wenn er warnte – und sich direkt an die russische Bevölkerung wandte.

Ein russischer Angriff auf die Ukraine ist laut Biden weiter sehr wohl möglich. Den USA würden bisher keine Belege vorliegen, dass russische Einheiten abgezogen worden seien, sagte Biden am Dienstag in einer Fernsehansprache. Auf die russischen Sicherheitsbedenken könne eingegangen werden, gab sich Biden zugleich kooperativ. Die USA böten neue Rüstungskontrollen und andere Maßnahmen an. Russland hatte zuvor einen Teilabzug der nahe der ukrainischen Grenze stationierten Truppen angekündigt.

Biden – der im Fall eines russischen Angriffs erneut mit scharfen Sanktionen drohte – betonte, er und Russlands Staatschef Putin seien sich einig, dass der diplomatische Weg weiter beschritten werden solle. „Wir sollten der Diplomatie jede Chance auf Erfolg geben.“ Und er wandte sich auch direkt an die russische Bevölkerung: „An die Bürger Russlands: Ihr seid nicht unser Feind.“

Scholz: „Deeskalation dringend nötig“

„Deeskalation ist dringend nötig“, hatte nur Stunden zuvor Deutschlands Kanzler Scholz nach einem Treffen mit Putin in Moskau betont. Das russische Verteidigungsministerium erklärte am Dienstag, dass Teile der Streitkräfte nach dem Ende einiger Manöver in ihre Kasernen zurückkehren werden. Andere Militärübungen – auch in Belarus – würden aber fortgesetzt.

Die Reaktion der Ukraine fiel verhalten aus. „Erst wenn wir einen Abzug sehen, dann glauben wir an eine Deeskalation“, sagte Außenminister Dmytro Kuleba. Moskau erzähle viel. Grundsätzlich bewertete er die diplomatischen Bemühungen der vergangenen Wochen als Erfolg. Moskau sei von einer Eskalation der Lage abgehalten worden, sagte Kuleba. „Heute ist bereits Mitte Februar, und die Diplomatie arbeitet weiter.“

Der Außenminister der Ukraine, Dmytro Kuleba
AP/Alex Brandon
Ukrainischer Außenminister Kuleba: „Heute ist bereits Mitte Februar, und die Diplomatie arbeitet weiter“

Ebenfalls skeptisch zeigte sich die NATO. Dass Russland Bereitschaft zum Dialog signalisiert, wertete NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg als positiv. „Das gibt Anlass zu vorsichtigem Optimismus“, sagte er.

Scholz: Teilabzug der Armee „gutes Zeichen“

Der deutsche Kanzler Scholz betonte bei seinem Besuch in Moskau, der Abzug von Teilen der russischen Armee sei ein „gutes Zeichen“. „Für uns Deutsche, aber auch für alle Europäer ist klar, dass nachhaltige Sicherheit nicht gegen Russland, sondern nur mit Russland erreicht werden kann“, sagte Scholz. Er bekräftigte, dass eine weitere Aggression gegen die Ukraine schwerwiegende Folgen für Russland hätte.

Scholz ging in der Frage von Sanktionen erneut nicht direkt darauf ein, dass im Falle eines Krieges auch die Ostseepipeline „Nord Stream 2“ zum Sanktionspaket gehören würde. Alle Beteiligten wüssten aber, was auf dem Spiel stehe, fügte er hinzu.

Scholz versucht in Moskau zu vermitteln

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hat den russischen Präsidenten Wladimir Putin in Moskau getroffen. Scholz versuchte, die Deeskalation in der Ukraine-Krise voranzutreiben.

Kritik übte Scholz am Vorgehen Russlands gegen die Nichtregierungsorganisation Memorial und bemängelte, dass die Verurteilung des Regierungskritikers Alexej Nawalny nicht rechtsstaatlichen Grundsätzen genüge.

Putin betonte nach dem Treffen, Russland wolle keinen neuen Krieg in Europa. „Dazu, ob wir das wollen oder nicht: Natürlich nicht!“, sagte er. Moskau sei weiter bereit, mit der NATO und mit den USA über Sicherheitsgarantien zu verhandeln. Putin sicherte der Ukraine zu, dass sie auch nach einer Inbetriebnahme der Ostsee-Pipeline „Nord Stream 2“ Transitland für russisches Gas bleiben solle.

„Absichtliche Zweideutigkeit“

Die „New York Times“ sieht in einer Analyse einen „Krieg der Signale“ aller Seiten im Gange. Das „komplexe Spiel“ werde mit „absichtlicher Zweideutigkeit“ gespielt, was das Risiko für eine „tödliche Fehlkalkulation“ ähnlich wie bei einem echten Konflikt erhöhe. Dabei werde vermittelt, wie ein Konflikt ablaufen würde, anstatt ihn tatsächlich auszutragen.

Schlagabtausch zum Thema NATO

Zugleich forderte er den Westen auf, auf die Führung in Kiew Druck auszuüben, damit diese den Friedensplan von Minsk für die Ostukraine umsetzt. Putin hatte zuletzt mehrfach auch vor einer Aufnahme der Ukraine in die NATO gewarnt, weil damit ein Krieg drohe – etwa wenn Kiew sich die von Russland 2014 annektierte Schwarzmeer-Halbinsel Krim mit militärischer Gewalt zurückholen wolle.

Schon seit Jahren werde versprochen, dass sich die NATO nicht ausdehne, behauptete Putin. Russland fordert schriftliche Garantien, dass das nicht passiert. Die Frage einer Aufnahme der Ukraine in das Bündnis müsse jetzt entschieden werden. Putin wies einmal mehr zurück, dass die NATO ein friedliches Verteidigungsbündnis sei.

Putin sagte, in Serbien habe die NATO Belgrad ohne ein Mandat des UNO-Sicherheitsrates bombardiert. Scholz widersprach und betonte, dass damals ein Völkermord verhindert worden sei. Putin entgegnete, dass es heute auch in der Ostukraine einen „Völkermord“ gebe. Scholz widersprach dieser Darstellung später vor Journalisten: „Das ist ein heftiges Wort, (…) es ist aber falsch.“

Duma: Putin muss über Luhansk und Donezk entscheiden

Das russische Parlament, die Duma, forderte Putin indes auf, über die Anerkennung der beiden abtrünnigen Regionen Luhansk und Donezk im Osten der Ukraine als „Volksrepubliken“ entscheiden. Die NATO und Brüssel warnten den Kreml umgehend vor einem solchen Schritt. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell schrieb auf Twitter, damit würde Russland die Minsker Abkommen brechen.

Grafik zu den russischen Rebellengebieten in der Ukraine
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Russland sieht sich als Schutzmacht der russischsprachigen Bevölkerung in der Ostukraine. Putin beklagte, dass die Ukraine die russische Sprache unterdrücke. Nach UNO-Schätzungen starben im Konflikt in der Ostukraine bisher mehr als 14.000 Menschen, die meisten in dem Gebiet, das von prorussischen Separatisten kontrolliert wird.

Überschattet wurde der Besuch Scholz’ einmal mehr von einem Cyberangriff auf ukrainische Institutionen. Das Verteidigungsministerium und zwei wichtige staatliche Banken waren das Ziel, wie Kiew mit indirektem Verweis auf Russland bekanntgab. „Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Aggressor zu schmutzigen Tricks greift“, erklärte die zuständige Behörde. Erst im Jänner waren mehrere Internetseiten der ukrainischen Regierung einer schweren Cyberattacke ausgesetzt, die mehrere Ministeriumsseiten lahmlegte. Zudem waren damals auf der Homepage des Außenministeriums vorübergehend die drohenden Worte „Habt Angst und rechnet mit dem Schlimmsten“ in ukrainischer, russischer und polnischer Sprache zu lesen.