Ein Konvoi russischer Armeefahrzeuge auf einer Autobahn auf der Halbinsel Krim
AP
Ukraine-Krise

Russland zieht Truppen von Krim-Manöver ab

Russland setzt inmitten des Konflikts mit der Ukraine seinen angekündigten Teiltruppenabzug nach dem Ende von Manövern fort. Mehrere Einheiten, die an Übungen auf der von Russland widerrechtlich annektierten ukrainischen Schwarzmeer-Halbinsel Krim beteiligt waren, kehrten nun zu ihren Standorten zurück, teilte das Verteidigungsministerium am Mittwoch mit.

Die Staatsagentur RIA Nowosti veröffentlichte ein Video, das einen Zug mit Panzern und anderen Militärfahrzeugen auf der Krim-Brücke bei Dunkelheit zeigt. Die Brücke führt von der Halbinsel, die sich Russland 2014 einverleibt hat, aufs russische Festland. Nicht mitgeteilt wurde, um wie viele Soldaten es sich handelt. Auf der Halbinsel ist zudem Militär dauerhaft stationiert.

Das Ministerium hatte am Mittwoch einen Teilabzug von Soldaten im Süden und Westen des Landes angekündigt. Der Westen reagierte zurückhaltend darauf. Andere Manöver wie die Übung im Nachbarland Belarus gingen aber weiter, hieß es aus dem russischen Verteidigungsministerium. Der belarussische Außenminister Wladimir Makej sagte am Dienstag ebenfalls, dass die russischen Truppen nach den gemeinsamen Manövern vollständig in ihre Heimat zurückkehren würden. Nicht ein russischer Soldat oder auch nur ein Ausrüstungsbestandteil werde in Belarus bleiben.

Russische Panzer
AP/Russian Defense Ministry Press Service
Russische Panzer sind laut russischen Angaben auf dem Weg zu ihrem Stützpunkt

NATO fehlen konkrete Anzeichen

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sieht nach eigenen Worten noch keine konkreten Anzeichen einer Deeskalation im ukrainisch-russischen Grenzgebiet. „Bisher haben wir vor Ort keine Deeskalation gesehen. Im Gegenteil: Russland scheint den Militäraufmarsch fortzusetzen“, sagte Stoltenberg am Mittwoch in Brüssel am Rande eines Treffens der Verteidigungsminister der Bündnisstaaten. Es bleibe aber dabei, dass die NATO bereit zu Gesprächen mit der Regierung in Moskau sei, so Stoltenberg weiter.

Stoltenberg sagte zu russischen Angaben, dass man Bewegungen von Truppen und Kampfpanzern sehe, beweise nicht, dass es einen echten Rückzug gebe. „Sie haben Truppen immer vor und zurück bewegt.“ Die kanadische Verteidigungsministerin Anita Anand sagte, gegenwärtig würden die russischen Truppen an der Grenze zur Ukraine eher verstärkt. Sie hoffe auf einen Beleg, dass Russland sein Militär von der Grenze abziehe, sagte sie vor den NATO-Beratungen. Man müsse auf jede Eventualität vorbereitet sein. Der Konflikt sei in einer entscheidenden Phase.

Russischer EU-Botschafter: Kein Angriff

Der Westen hatte auf die russischen Manöver äußerst besorgt reagiert. Die USA befürchten, dass die Truppenbewegungen sowie ein Aufmarsch Zehntausender Soldaten entlang der ukrainischen Grenze der Vorbereitung eines Krieges dienen. Befürchtung wurden geäußert, dass russische Truppen von Belarus aus die Ukraine angreifen oder dauerhaft in Belarus bleiben könnten. Russland weist die westlichen Befürchtungen regelmäßig zurück.

Russlands EU-Botschafter Wladimir Tschischow wies Warnungen der USA vehement zurück, wonach möglicherweise am Mittwoch russische Truppen ins Nachbarland Ukraine einmarschieren würden. „Ich kann, soweit es Russland betrifft, versichern, dass es an diesem Mittwoch keinen Angriff geben wird. Es wird auch in der kommenden Woche keine Eskalation geben oder in der Woche danach oder im kommenden Monat“, sagte Tschischow der deutschen „Welt“.

Der Kreml in Moskau
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Der Kreml, der Amtssitz des russischen Präsidenten Wladimir Putin

„Wo sind die Beweise?“

Er fügte hinzu: „Kriege in Europa beginnen selten an einem Mittwoch.“ Die USA befürchten nach eigenen Angaben, dass mehrere laufende russische Manöver und der Aufmarsch Zehntausender Soldaten entlang der ukrainischen Grenze der Vorbereitung eines Krieges dienen. Russland weist das zurück.

Tschischow verurteilte die alarmierenden Äußerungen über einen möglichen Angriff auf die Ukraine: „Wenn man Anschuldigungen erhebt – insbesondere sehr ernsthafte Anschuldigungen gegenüber Russland –, trägt man auch die Verantwortung dafür, Beweise vorzulegen. Ansonsten sind das Verleumdungen. Also wo sind die Beweise?“, fragte er. Der EU-Botschafter forderte den Westen erneut auf, die russischen Sicherheitsbedenken ernst zu nehmen.

Ukraine feiert „Tag der nationalen Einheit“

Angesichts von US-Warnungen vor einem russischen Einmarsch am Mittwoch feierte die Ukraine am Mittwoch einen „Tag der nationalen Einheit“. In der Hauptstadt Kiew war am Vormittag über viele Lautsprecher die Nationalhymne zu hören, wie ein Reporter der dpa berichtete. Zudem wurde in der ehemaligen Sowjetrepublik vielerorts die Landesflagge gehisst.

Im Fernsehen standen Sondersendungen auf dem Programm. Staatsangestellte wurden zum Singen der Hymne verpflichtet. In allen Schulen des Landes wurde der Unterricht dafür unterbrochen. Präsident Wolodymyr Selenski sprach in einem Video von einem wichtigen Tag für sein Land. Die Menschen in der Ukraine sprächen zwar verschiedene Sprachen und wohnten in verschiedenen Landesteilen. „Aber uns eint der Wunsch, in Frieden zu leben, glücklich zu leben. Nur gemeinsam können wir unsere Heimat schützen.“ Selenski hatte den 16. Februar erst am Montag per Dekret zum „Tag der Einheit“ erklärt.

Biden wendet sich an russische Bevölkerung

Ein Krieg scheint zumindest vorerst abgewendet. Nach Tagen des Säbelrasselns in der Ukraine-Krise versuchen derzeit alle Seiten, sich auch oder vor allem verhandlungsbereit zu zeigen. Nach Signalen der Deeskalation von Russlands Präsident Wladimir Putin beim Besuch des deutschen Kanzlers Olaf Scholz (SPD) betonte auch US-Präsident Joe Biden seine Gesprächsbereitschaft, auch wenn er warnte – und sich direkt an die russische Bevölkerung wandte.

US-Präsident Joe Biden
AP/Alex Brandon
US-Präsident Joe Biden bei seinem Aufruf an die russische Bevölkerung

Ein russischer Angriff auf die Ukraine ist laut Biden weiter sehr wohl möglich. Den USA würden bisher keine Belege vorliegen, dass russische Einheiten abgezogen worden seien, sagte Biden am Dienstag in einer Fernsehansprache. Auf die russischen Sicherheitsbedenken könne eingegangen werden, gab sich Biden zugleich kooperativ. Die USA böten neue Rüstungskontrollen und andere Maßnahmen an. Russland hatte zuvor einen Teilabzug der nahe der ukrainischen Grenze stationierten Truppen angekündigt.

„New York Times“: Krieg der Signale

Biden – der im Fall eines russischen Angriffs erneut mit scharfen Sanktionen drohte – betonte, er und Russlands Staatschef Putin seien sich einig, dass der diplomatische Weg weiter beschritten werden solle. „Wir sollten der Diplomatie jede Chance auf Erfolg geben.“ Und er wandte sich auch direkt an die russische Bevölkerung: „An die Bürger Russlands: Ihr seid nicht unser Feind.“

Die „New York Times“ sieht in einer Analyse einen „Krieg der Signale“ aller Seiten im Gange. Das „komplexe Spiel“ werde mit „absichtlicher Zweideutigkeit“ gespielt, was das Risiko für eine „tödliche Fehlkalkulation“ ähnlich wie bei einem echten Konflikt erhöhe. Dabei werde vermittelt, wie ein Konflikt ablaufen würde, anstatt ihn tatsächlich auszutragen.

Duma: Putin muss über Luhansk und Donezk entscheiden

Das russische Parlament, die Duma, forderte Putin indes auf, über die Anerkennung der beiden abtrünnigen Regionen Luhansk und Donezk im Osten der Ukraine als „Volksrepubliken“ entscheiden. Die NATO und Brüssel warnten den Kreml umgehend vor einem solchen Schritt. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell schrieb auf Twitter, damit würde Russland die Minsker Abkommen brechen.

Grafik zu den russischen Rebellengebieten in der Ukraine
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Russland sieht sich als Schutzmacht der russischsprachigen Bevölkerung in der Ostukraine. Putin beklagte, dass die Ukraine die russische Sprache unterdrücke. Nach UNO-Schätzungen starben im Konflikt in der Ostukraine bisher mehr als 14.000 Menschen, die meisten in dem Gebiet, das von prorussischen Separatisten kontrolliert wird.