Russische Militärhubschrauber
Reuters/Belta
Trotz wachsender Spannungen

Putin startet Militärmanöver mit Raketen

Mehrere hochrangige westliche Politiker haben am Samstag bei der Münchner Sicherheitskonferenz ihre Sorge vor einer Eskalation des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine erneuert. Russland ist erstmals seit 1991 nicht mit einer offiziellen Delegation vertreten. Dafür starteten „strategische Nuklearübungen“ unter Aufsicht von Präsident Wladimir Putin. Österreich verhängte indessen eine Reisewarnung für die Ukraine.

Putin selbst gab am Samstag, als Oberbefehlshaber der russischen Armee, den Startschuss für das Manöver mit atomwaffenfähigen ballistischen Raketen. Putin verfolge die Militärübung gemeinsam mit dem belarussischen Staatschef Alexander Lukaschenko, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Neben der Luftwaffe sind auch Armeeeinheiten aus dem südlichen Militärbezirk sowie die Schwarzmeer- und Nordmeer-Flotte an dem Großmanöver beteiligt.

Das Manöver sei im Voraus geplant gewesen, hieß es bereits im Vorfeld aus dem russischen Verteidigungsministerium. Die vorgesehenen Ziele der Übung seien vollständig erreicht worden, hieß es aus dem Präsidialamt. Das Manöver stehe aber nicht im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise. Der Westen zeigte sich indes angesichts der zunehmenden Gewalt besorgt. Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron wollte am Sonntag mit Putin telefonieren.

Österreich verhängt Reisewarnung

Angesichts der angespannten Lage hat Österreich Samstagnachmittag eine Reisewarnung für die Ukraine ausgesprochen. „Es muss mit einer erheblichen Verschlechterung der Lage gerechnet werden“, teilte das Außenministerium mit. Die Zwischenfälle in der Ostukraine hätten in den letzten 24 Stunden stark zugenommen.

Alle Österreicher und Österreicherinnen sind aufgerufen, die Ukraine mit Ausnahme der westlichen Gebiete unverzüglich zu verlassen. Das österreichische Botschafterpersonal wurde hingegen verstärkt und wird weiterhin an Ort und Stelle sein, um Landsleute gegebenenfalls bei der Ausreise zu unterstützen. Derzeit sind rund 180 österreichische Staatsbürger und Staatsbürgerinnen in der Ukraine registriert.

AUA stellt Flüge ein

Auch das deutsche Auswärtige Amt verschärfte seine Reise- und Sicherheitshinweise für die Ukraine am Samstag erneut. Die Lufthansa und ihre Tochter AUA setzen Flüge in die Ukraine ab Montag aus. Am Samstag und Sonntag fänden noch vereinzelte Flüge statt, um Menschen die Ausreise aus der Ukraine zu ermöglichen, sagte ein Sprecher.

Übung des russischen Militärs
APA/AFP/Russian Defence Ministry
Ein russischer Fallschirmjäger während des gemeinsamen Manövers mit Belarus am Samstag

Selenski bei Sicherheitskonferenz

US-Vizepräsidentin Kamala Harris sagte, die europäische Sicherheit sei unmittelbar bedroht. Sie drohte mit gemeinsamen wirtschaftlichen Sanktionen, die „schnell, hart und vereint sein werden“. Zudem bekräftigte sie die Aufstockung der US-Truppen an der Ostflanke der NATO. Es gehe nicht darum, in der Ukraine zu kämpfen, sondern „um jeden Zentimeter des NATO-Gebiets zu verteidigen“.

Geplant ist noch am Samstag ein Treffen mit ihr und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenski im Rahmen der Sicherheitskonferenz in München. Bei der Konferenz sagte er, die Armee werde das Land mit oder ohne internationale Hilfe gegen Russland verteidigen. Mit Blick auf westliche Waffenlieferungen sagte er, dass diese keine „Spenden“ seien. Sie seien vielmehr ein Beitrag für die europäische und internationale Sicherheit.

Selenski will noch am Samstag wieder zurück in der Ukraine sein. Laut einem „Guardian“-Bericht warnten die USA, dass Russland die Abwesenheit Selenskis nutzen könnte, um ihn vor seiner Rückkehr nach Kiew zu stürzen. Zudem könnte es für Selenski schwieriger sein, die militärische Reaktion zu koordinieren, wenn er sich zum Zeitpunkt eines möglichen Angriffs außerhalb seines Landes befände.

US-Vizepräsidentin Kamala Harris
Reuters/Andreas Gebert
US-Vizepräsidentin Kamala Harris drohte Russland mit „schnellen, harten und vereinten“ Sanktionen

Kiew: Söldner in Ostukraine aktiv

Nach Darstellung des ukrainischen Militärs sind in den Separatistengebieten im Osten des Landes Söldner eingetroffen, die in Zusammenarbeit mit Spezialkräften Russlands Provokationen inszenieren sollten.

Selenski dementierte in München russische Behauptungen, es habe aus der Ukraine einen Beschuss russischen Territoriums gegeben. „Das ist eine Lüge“, sagte er auf der Sicherheitskonferenz. „Wir werden nicht auf Provokationen reagieren“, kündigte er zugleich an. Das Risiko eines Krieges sei groß, aber man werde nicht panisch werden.

Selenski forderte zugleich von der NATO eine ehrliche Antwort darauf, ob sein Land überhaupt Mitglied werden könnte. Niemand sollte aber daran denken, dass die Ukraine ein permanenter Puffer zwischen dem Westen und Russland bleibe.

Lawrow-Vorwürfe gegen Berlin und Paris

Der russische Außenminister Sergej Lawrow wiederum gab in einer in Moskau verbreiteten Mitteilung indirekt Deutschland und Frankreich als Vermittler im Ukraine-Konflikt eine Mitschuld an der sich zuspitzenden Lage. Kiew weigere sich mit Duldung von Berlin und Paris, seine Verpflichtungen aus dem Friedensplan für den Donbass umzusetzen. Zudem habe Lawrow auf direkte Gespräche Kiews mit den Separatisten gedrungen. Das schloss Selenski mehrfach vehement aus.

Separatisten berufen Reservisten ein

In den Rebellengebieten im Osten der Ukraine riefen die Separatistenführer in Luhansk und Donezk am Samstag bereits zur Generalmobilmachung auf. Reservisten seien nun gefordert, „in die Einschreibebüros des Militärs zu kommen“. Parallel läuft die Evakuierung von Zivilisten und Zivilistinnen aus den selbst ernannten „Volksrepubliken“. Dafür gebe es eine „massenhafte, zentralisierte Ausreise“, sagte der Rebellenführer in Donezk, Denis Puschilin.

OSZE: „Dramatische“ Zunahme der Angriffe

Sowohl die Rebellen als auch die ukrainische Armee werfen sich gegenseitig Verstöße gegen die Waffenruhe vor. Auch nach Angaben der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) nahmen die Angriffe entlang der Frontlinie in der Ostukraine „dramatisch“ zu. Die Ukraine wies Vorwürfe, sie wolle von prorussischen Rebellen kontrollierte Gebiete mit Gewalt zurückerobern, wiederholt zurück und vermutet hinter den Vorwürfen „russische Desinformationsberichte“.

Russland-Experte zu Ukraine-Konflikt

Russland-Experte Gerhard Mangott sieht durchaus eine Provokation Russlands im Osten der Ukraine – offen sei aber, was eine militärische Operation Russland bringe.

Das von Russland dominierte Militärbündnis OVKS betonte am Samstag, eine Entsendung eigener Friedenstruppen in die Ostukraine sei unter bestimmten Bedingungen – etwa einem UNO-Mandat – möglich.

Biden rechnet mit baldigem Angriff

US-Präsident Joe Biden zeigte sich Freitagabend „überzeugt“ von einem baldigen Angriff Russlands auf die Ukraine. Er rechnet nach eigenen Angaben mit einem russischen Angriff auf die Ukraine und die Hauptstadt Kiew in den „kommenden Tagen“. Russland habe aber immer noch die Wahl zwischen einem „Krieg“ und „Diplomatie“.

Er rede so offen darüber, um Moskaus Bemühungen zu durchkreuzen, die Ukraine unter einem Vorwand anzugreifen, sagte Biden weiter. Falls Russland seine Pläne vorantreibe, wäre es für einen „katastrophalen“ Krieg verantwortlich.

Der britische Premierminister Boris Johnsin warnte in München vor russischer Desinformation: „Es wird eine Kaskade an falschen Behauptungen geben.“ Russland spinne „ein Netz aus Falschinformationen“, um einen möglichen Einmarsch in die Ukraine zu rechtfertigen.

Von der Leyen: „Kann man nicht hinnehmen“

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sieht angesichts der russischen Drohungen gegen die Ukraine die gesamte internationale Ordnung gefährdet: „Russland verletzt damit auch die UN-Charta, dass kein Land die territoriale Integrität eines anderen UN-Landes verletzen darf.“ Das könne man nicht hinnehmen.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg brachte zudem China ins Spiel. Erstmals fordere nun neben Moskau auch Peking die NATO auf, keine neuen Mitglieder aufzunehmen. Das weise er zurück, weil souveräne Staaten selbst über ihre Bündniswünsche entscheiden könnten: „Wenn es (Russland, Anm.) die NATO spalten möchte, so wird es eine geeintere NATO bekommen.“

Von der Leyen: Gas für EU-Staaten gesichert

Unterdessen versicherte von der Leyen, dass die Gasversorgung der EU-Staaten im Winter auch dann gesichert sei, wenn Russland seine Lieferungen bei einer Eskalation einstellen sollte.