Impfstrasse im Wiener Austria Center
Reuters/Lisi Niesner
Pandemiepolitik

„Kardinalfehler“ in der Kommunikation

Mit der Aussage, die Impfpflicht werde ab 15. März wie im Gesetz vorgesehen stichprobenartig kontrolliert, und einer späteren „Klarstellung“ hat Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) kurzzeitig für Verwirrung gesorgt. Es war nicht die einzige Widersprüchlichkeit in der Pandemiepolitik der vergangenen Wochen. Der Politologe Peter Filzmaier ortet gegenüber ORF.at einen „Kardinalfehler“ in der Regierungskommunikation.

Die Regierungskommunikation zur Impfpflicht sei „misslungen“, sagt Filzmaier. „Die Zahlen sprechen eine klare Sprache“, so der Politikwissenschaftler: „Die Impfquote konnte nicht erhöht werden. Man hat gerade die Gruppe der Impfunwilligen nicht zusätzlich erreicht. Und selbst bei der Gruppe der Impfwilligen ist die Boosterimpfung etwas zäh voranschreitend.“

Das strategische Ziel sei die Erhöhung der Impfquote, die Verringerung schwerer oder tödlicher Krankheitsverläufe und die Eindämmung der Pandemie. Die Impfpflicht sei kein „Selbstzweck“, sondern „rechtlich wie politisch nur dadurch zu rechtfertigen, dass man dieses Ziel nicht anders erreichen könnte“. Das habe die Regierungskommunikation nicht geschafft – „und zwar auch selbstverschuldet“.

Kontrollen ja oder nein

Seit Anfang Februar ist die Impfpflicht in Österreich in Kraft. Vorgesehen sind drei Phasen. Der Start von Phase zwei ist für den 15. März avisiert. Ab diesem Tag kann die Polizei laut Gesetz stichprobenartig Impfnachweise kontrollieren. In Phase drei kommt es dann zu einem automationsunterstützten Datenabgleich, um die Ungeimpften zu eruieren.

Unter den Landeshauptleuten wurden bereits kurz nach Inkrafttreten des Gesetzes Stimmen laut, die eine Evaluation noch vor Mitte März forderten. Mitte Februar gab die Regierung bekannt, noch vor Beginn der Kontrollen Mitte März über den Vollzug beziehungsweise eine etwaige Aussetzung des Gesetzes entscheiden zu wollen. Dazu wurde eine Kommission eingerichtet. Mitglieder sind die Epidemiologin Eva Schernhammer, der Infektiologe Herwig Kollaritsch, die Rechtswissenschaftlerin Christiane Wendehorst und der Medizinrechtler Karl Stöger.

Samstagmittag, einen Tag nach der ersten Sitzung der Kommission, verwies Mückstein gegenüber Ö1 auf die im Gesetz vorgeschriebene Phase zwei und die damit ab Mitte März verbundenen stichprobenartigen Kontrollen. „Und dabei bleibt es, das ist gültige Gesetzeslage“, so Mückstein. Wenige Stunden später betonte er in einer schriftlichen „Klarstellung“ ausdrücklich die Flexibilität, die das Gesetz bei der Umsetzung der Impfpflicht biete.

Die Kommission werde bis 8. März ihren Bericht vorlegen. „Wenn es im Rahmen dieses Berichtes neue Empfehlungen zu den Startterminen der im Gesetz vorgesehenen Phasen gibt, dann sind diese politisch zu bewerten und entsprechend zu entscheiden“, ließ Mückstein nunmehr den Zeitpunkt für das Inkrafttreten der Kontrollen offen.

„Flurschaden“ bei Impfbereitschaft

Man habe ein Gesetz (Impfpflichtgesetz, Anm.) gemacht, das vielen nicht gefallen habe, so Filzmaier. „Jetzt sagt man, man braucht es eh nicht so ernst nehmen. Parallel dazu wird gelockert, als gäbe es kein Morgen. So überzeuge ich erst recht niemand.“ Im Gegenteil: „Bei der Impfpflicht und sogar bei jenen, die Auffrischung brauchen, richtet man wohl Flurschaden an, weil wenn ich parallel dazu noch lockere, dann werde ich die Impfbereitschaft ganz sicher nicht erhöhen.“

Auch die letztlich abgesagte Impflotterie konterkariert aus Sicht des Politologen die Impfpflicht: „Einerseits mache ich ein Gesetz. Andererseits eine Lotterie, damit dieses Gesetz befolgt wird. Stecken wir uns das für jedes andere Gesetz durch, dann wird die Absurdität klar.“

Kurzfristige Taktik statt langfristige Strategie

Der „Kardinalfehler“ in der Regierungskommunikation liege von außen betrachtet aber anderswo, sagt Filzmaier: Kurzfristige taktische Überlegungen stünden über einer langfristigen Strategie. Bereits die Ankündigung der Impfpflicht Anfang November habe den „Beigeschmack“ des „politischen Kalküls“ gehabt, so Filzmaier. Damals hätten sich Landeshauptleute und Gesundheitsminister in zeitgleich abgehaltenen Pressekonferenzen widersprochen. Unklar war etwa, ob der Lockdown in ganz Österreich oder nur in einzelnen Bundesländern kommen soll, ob er für alle gilt oder nur für Ungeimpfte. „Da war als kurzfristige Taktik, als Ho-Ruck-Aktion: ‚Verkünden wir auch eine Impfpflicht, dann wird mehr darüber diskutiert als über unsere Widersprüche.‘“

Impfzentrum in Salzburg
Reuters/Lukas Barth
Einen Schub bei den Erstimpfungen brachte die Impfpflicht bisher nicht

Selbiges treffe auch auf die Ankündigung zu, eine Kommission solle die Impfpflicht noch vor Beginn der Kontrollen prüfen: „Man führt die Impfpflicht ein und eine Woche später leitet man einen möglichen Weg ein, um das eigene Gesetz wieder auszusetzen.“ Das sei eine kurzfristige taktische Überlegung, aber keine langfristige Strategie. „Und das Wesen politischer Kommunikation – wenn sie erfolgreich sein soll – ist langfristige Strategieplanung“, weiß der Politologe.

Dass die Kommunikation zwischen Politik und Fachleuten sowie Bund und Ländern besser werde, dazu fehle ihm der Glaube, sagt Filzmaier und verweist auf die unterschiedlichen Ankündigungen vor dem Lockdown im Herbst. Ein „Lernprozess“ der politischen Akteurinnen und Akteure sei von außen „nicht erkennbar“. Hinzu kämen die vier Landtagswahlen im kommenden Jahr in Niederösterreich, Tirol, Kärnten und Salzburg.

Teststrategie auf dem Prüfstand

Auch in Sachen Teststrategie wurden in den vergangenen Wochen unterschiedliche Botschaften ausgesandt. Ende Jänner erklärte Thomas Starlinger von der gesamtstaatlichen Covid-Krisenkoordination (GECKO), die Regierung habe ihm den Auftrag erteilt, ein österreichweites PCR-Testsystem zu erarbeiten. Damals gab es scharfe Kritik an Unzulänglichkeiten in den Bundesländern mit Ausnahme Wiens, vor allem die Ergebnisse der Schultests kamen vielerorts regelmäßig zu spät.

Auswertung der Gurgel-Tests in Wien
APA/AFP/Alex Halada
Die Zeichen deuten auf einen Abschied von den breitflächigen Gratistests hin

Auf die Frage, ob das breitflächige Testen beibehalten werden solle, antwortete Starlinger Ende Jänner dem „Kurier“: „Ja. Je früher Leute erkannt werden, die infiziert sind, aber noch nicht infektiös, desto rascher sind Infektionsketten durchbrochen und desto stärker wird die Inzidenzkurve gebremst und gedämpft. Es gibt genug Studiendaten, die zeigen: Wenn sich die Hälfte der Bevölkerung zweimal in der Woche mittels PCR testen lässt, dann hat das eine signifikante Auswirkung auf die Inzidenzkurve.“

Bei der Pressekonferenz der Regierung zu den Öffnungsschritten sagte Gesundheitsminister Mückstein, das nicht zielgerichtete Testen, insbesondere von vollimmunisierten Menschen, müsse hinterfragt werden. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) sagte, die Teststrategie müsse auf „die neuen Notwendigkeiten des Infektionsgeschehens adaptiert“ werden. Er verwies auf die bisherigen Kosten von 2,6 Mrd. Euro.