Indische Näherinnen in einer Textilfabrik
AP/Aijaz Rahi
Strengeres Lieferkettengesetz

EU will Konzerne in die Pflicht nehmen

Verbindliche Rechtsvorschriften gegen Menschenrechtsverletzungen und mehr Umweltschutz: Mit dem Lieferkettengesetz möchte die Europäische Kommission künftig gegen Missstände wie Kinderarbeit in Kleidungsfabriken und Rodungen im Regenwald vorgehen. Sollten große Unternehmen und deren Zulieferer die Standards nicht einhalten, drohen Strafen.

Konkret sieht der Richtlinienentwurf vor, vor allem große Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und einem Umsatz von mehr als 150 Millionen Euro dazu zu verpflichten, ihre Lieferketten in Bezug auf Sklaven- oder Kinderarbeit und Umweltstandards genauer zu kontrollieren.

Für Firmen, die in Branchen mit einem höheren Risiko für Ausbeutung aktiv sind – dazu zählen etwa Bergbau, Textilindustrie und Landwirtschaft – gelten Grenzwerte von mindestens 250 Angestellten und 40 Millionen Euro Umsatz. Die Maßstäbe für Risikobranchen sollen jedoch erst zwei Jahre später in Kraft treten. Kleinstunternehmen sowie kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sind von den vorgeschlagenen Vorschriften nicht direkt betroffen.

Auch Firmen aus Drittstaaten betroffen

Auch Firmen, die ihren Sitz zwar nicht in Europa haben, dort aber wirtschaftlich tätig sind, sind betroffen – wie etwa Apple und Nike. Dadurch soll ein Wettbewerbsnachteil europäischer Unternehmen vermieden werden. Für Firmen aus Drittstaaten gelten nur die Umsatzgrenzen als Schwelle, der Umsatz muss jedoch in der EU und nicht weltweit erzielt werden.

EU-Vorschlag zu Lieferkettengesetz

Die EU-Kommission will mit einem Richtlinienvorschlag ein Lieferkettengesetz auf den Weg bringen, das künftig in der EU ansässige Unternehmen ab einer bestimmten Größe haftbar macht, sollte es bei Zulieferern im EU-Ausland – etwa China und Bangladesch – menschenunwürdige Arbeitsbedingungen oder Umweltzerstörungen geben.

Menschenrechte und Umweltschutz verankern

Die betroffenen Unternehmen müssen dem Vorhaben zufolge ermitteln, ob sich ihre Geschäfte nachteilig auf Menschenrechte und Umwelt auswirken und Verstöße, falls erforderlich, abmildern oder verhindern. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen spricht von einem starken Signal: In den Regalen in Europa sollte es keine Produkte geben, die auf Zwangsarbeit basieren.

Managerinnen und Manager sollen zudem dazu verpflichtet werden, sicherzustellen, dass das Geschäftsmodell und die Strategie ihres Unternehmens auf die Begrenzung der globalen Erderwärmung von maximal 1,5 Grad ausgerichtet sind.

Umfassender als bisherige Lieferkettengesetze

Die EU-Mitgliedsstaaten Deutschland und Frankreich haben zwar bereits eigene Lieferkettengesetze beschlossen, der Vorschlag der Kommission geht jedoch in einigen Punkten über diese hinaus. Zum Vergleich: Die Schwelle des deutschen Gesetzes liegt bei 3.000 Mitarbeitern und sinkt erst 2024 auf 1.000 Mitarbeiter.

Der Vorschlag der Kommission gilt nicht nur für die Unternehmen selbst, sondern auch für ihre Tochtergesellschaften und die Wertschöpfungsketten. Zudem umfasst er auch Maßnahmen, mit denen alle Unternehmen, einschließlich KMU, unterstützt werden, die indirekt betroffen sein könnten.

Eine Nähmaschine liegt auf dem Schutt nach dem Kollpas einer Bekleidungsfabrik in der Nähe von Dhaka (Bangladesh)
AP/Ismail Ferdous
2013 stürzte in Bangladesch eine achtgeschoßige Textilfabrik ein – 1.100 Menschen starben. Vorfälle wie diese soll ein strengeres Lieferkettengesetz in Zukunft verhindern.

Geldstrafen und Klagen möglich

Sollten sich Unternehmen der Sorgfaltspflicht entziehen, können die Mitgliedsstaaten Geldstrafen verhängen – in welcher Höhe, können sie selbst entscheiden. Zudem sollen Unternehmen Entschädigungen erhalten. Konkret bedeutet das, dass Unternehmen mit Verlusten die Möglichkeit hätten, vor den zuständigen nationalen Gerichten eine zivilrechtliche Haftungsklage zu erheben. Das ist dem Entwurf zufolge jedoch nur für Geschäftsbeziehungen mit Zulieferern vorgesehen, die auf Dauer angelegt sind.

WKO: In Praxis nicht umsetzbar

Die Wirtschaftskammer (WKO) sprach sich zwar für einen einheitlichen Rechtsrahmen aus, der vorgelegte Entwurf zum EU-Lieferkettengesetz sei jedoch ein „untaugliches Mittel“ und für Unternehmen „in der Praxis nicht umsetzbar“, so WKO-Generalsekretär Karlheinz Kopf.

Lob mit Einschränkungen kam von der Industriellenvereinigung. „Wir als Industrie verstehen uns im Bereich der nachhaltigen Entwicklung und beim Schutz von Menschenrechten als wichtiger Verbündeter. Das Lieferkettengesetz unterstützen wir in seiner ambitionierten Zielsetzung, Menschenrechtsverletzungen den Kampf anzusagen“, so Präsident Georg Knill. Allerdings gebe es für die betroffenen Unternehmen, vor allem für viele kleine und mittlere Betriebe, noch Probleme bei der konkreten Umsetzung. Zudem dürfe sich hier die Politik nicht aus der Verantwortung stehlen.

ÖGB und AK: Weniger als ein Prozent der Unternehmen betroffen

Der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) und die Arbeiterkammer (AK) begrüßen in einer gemeinsamen Stellungnahme zwar, dass es den Gesetzesvorschlag nach mehreren Verschiebungen nun gibt. Es müsse aber dringend nachgeschärft werden. Positiv sei, dass der Entwurf die gesamte Lieferkette und auch eine Zivilhaftung umfasse.

Die Vorschriften sollen aber für nicht einmal ein Prozent der EU- und überhaupt nur 0,06 Prozent der Austrounternehmen gelten, wurde kritisiert. „Der Entwurf trägt stark die Handschrift der Wirtschaftslobbyisten“, so AK-Fachfrau Julia Wegerer. „Die Koppelung von Unternehmensgröße und Umsatzhöhe ist für das Schadensausmaß allerdings vollkommen irrelevant.“

Schramböck: „Bürokratiemonster“ vermeiden

Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) steht den Plänen für ein strengeres Lieferkettengesetz grundsätzlich positiv gegenüber. Man müsse aber vermeiden, ein „Bürokratiemonster“ zu kreieren, sagte Schramböck, denn darunter würden letztlich vor allem kleinere und mittlere Unternehmen leiden. Parteikollege und EU-Parlament-Vizepräsident Otmar Karas betonte, dass die EU als größter Binnenmarkt der Welt nicht zulassen dürfe, dass es zu einem nationalen „Fleckerlteppich“ unterschiedlicher Regelungen komme. Dafür werde sich das EU-Parlament einsetzen.

Gemischte Reaktionen bei SPÖ, Grünen und FPÖ

SPÖ und Grüne begrüßen den neuen Gesetzesentwurf. „Unsere Aufgabe im Europäischen Parlament ist es nun, den Vorschlag der Kommission genau unter die Lupe zu nehmen", so die SPÖ-EU-Abgeordnete Bettina Vollath. Für Grünen-Wirtschaftssprecherin Elisabeth Götze ist der Entwurf „ambitioniert und eine Riesenchance für unsere Betriebe“.

„Die Konzerne werden von den Zulieferern dieselbe Compliance verlangen, die sie erfüllen müssen“, kritisiert hingegen FPÖ-Politiker Alex Kassegger. „Ein steirischer Tischlereibetrieb wird dann die volle Haftung dafür übernehmen müssen, dass er nicht irgendwo Hölzer aus den oft weitverzweigten Lieferketten verarbeitet, die aus einem Risikogebiet kommen.“

NGOs verorten Reformbedarf

Nichtregierungsorganisationen bezeichnen die Pläne zwar als Fortschritt, bleiben aber kritisch. „Es gibt noch sehr viel Reformbedarf bis zum finalen Beschluss“, so der WWF. Aus Sicht von ATTAC und Südwind müssen Schlupflöcher ausgeräumt werden.

„Mit dem EU-Lieferkettengesetz ist es wie mit einem Tigerbaby. Wir sind sehr froh, dass es endlich da ist – aber die Augen muss es erst aufmachen und Zähne müssen noch wachsen“, so Südwind. Greenpeace stört sich unter anderem daran, dass derzeit Unternehmen mit weniger als 500 Mitarbeitern beim Vorhaben ausgenommen seien.

Mitgliedsstaaten haben zwei Jahre Zeit für Umsetzung

Auf europäischer Ebene möchte die Kommission ein europäisches Netz von Aufsichtsbehörden einrichten, in dem nationale Vertreter zusammenkommen, um ein koordiniertes Vorgehen zu gewährleisten. Der Vorschlag wird in einem nächsten Schritt von dem Europäischen Parlament und dem Rat verhandelt. Kommt es zu einer Einigung, haben die Mitgliedsstaaten zwei Jahre Zeit, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen und der Kommission die entsprechenden Texte zu übermitteln.