Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP)
AP/Lisa Leutner
EU-Krisengipfel

Neue, „umfassende Sanktionen“ geplant

Auf dem eilig einberufenen Krisengipfel am Donnerstagabend in Brüssel wollen die 27 Staats- und Regierungsspitzen der EU das weitere Vorgehen gegen Russland beraten. Dabei sollen, wie bereits vorab angekündigt wurde, die „härtesten Sanktionen“ beschlossen werden. Auch Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) sprach von „umfassenden Sanktionen“ – ein Ausschluss aus dem Zahlungssystem SWIFT stehe jedoch nicht zur Debatte.

„Der Rat heute steht unter besonders dramatischen und tragischen Vorzeichen. Wir erleben in Europa wieder Krieg, nicht weit von Österreich entfernt“, sagte Nehammer am Donnerstagabend vor Journalistinnen und Journalisten.

Die EU handle nun geschlossen und entschlossen – mit dem Ziel, Russland aufzuzeigen, dass der Bruch des Völkerrechts klare Konsequenzen mit sich bringe. Im Rat werde man über die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Sanktionen beraten, „die umfassend sind“ und etwa Exportverbote und Visabeschränkungen inkludieren. Finanzielle Sanktionen sollen vor allem Oligarchen treffen.

Rafaella Scheidreiter (ORF) zum Ukraine-Krieg

Rafaella Scheidreiter (ORF) ist aus Brüssel zugeschaltet und spricht über die aktuelle Lage beim Krieg in der Ukraine. Russland hat in der Nacht auf Donnerstag einen Großangriff auf die Ukraine gestartet. Für Donnerstagabend ist ein EU-Sonderkrisengipfel in Brüssel geplant. Die EU kündigte im Vorfeld ein Sanktionspaket mit weitreichenden Folgen für Russland an.

SWIFT noch nicht Thema

Ein Ausschluss Russlands aus dem Bankenkommunikationsnetzwerk SWIFT sei indes nicht vorgesehen, da das die EU wohl stärker treffen dürfte als Russland selbst, wie Nehammer sagte. Russland habe ein eigenes Zahlungssystem und würde bei einem Ausschluss „sofort“ auf chinesische Zahlungssysteme umsteigen.

Sanktionen würden auch für das Krisengebiet Belarus umgesetzt. Denn durch das Zulassen russischer Truppen habe Belarus „wesentlich“ zu der Eskalation in der Ukraine beigetragen und sich „vollständig“ auf die Seite Russlands gestellt, konstatierte Nehammer.

„Kriegsführung mit massiver Härte“

Generell ließe sich Nehammer zufolge eine „Kriegsführung mit massiver Härte“ feststellen. „Es wird auf zivile Einrichtungen wenig bis gar keine Rücksicht genommen“, zitierte Nehammer aus einem Telefongespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenski. Dieser fürchte um die Zukunft des Landes sowie das Leben seiner Mitbürgerinnen und Mitbürger.

Nehammer berichtete von heftigen Kämpfen an allen Fronten, die „voller Brutalität“ geführt werden. Zudem gebe es Potenzial für weitere Eskalationsstufen. So seien etwa Kriegsschiffe am Eingang des Bosporus stationiert worden, um die Durchfahrt von NATO-Schiffen zu blockieren. Außerdem würden NATO-Staaten wie die Slowakei bereits um die Stationierung von NATO-Truppen ersuchen.

Generell sei es jedoch entscheidend, so zu agieren, „dass die maximale Verhandlungsflexibilität“ erhalten bleibe – auch bei der Gegenseite. „Und uns nicht durch überschießende Sanktionen in eine Situation bringen, wo wir keinen Ansprechpartner vorfinden“, sagte Nehammer. Auf die Frage, ob die EU noch weitere Sanktionen in der Hinterhand habe, antwortete Nehammer: „Jede dieser Maßnahmen kann natürlich auch noch zusätzlich verschärft werden.“

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Außenbeauftragter Josep Borrell
AP/Kenzo Tribouillard

„Härtestes Sanktionspaket, das je beschlossen wurde“

Bereits Donnerstagfrüh kündigten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Außenbeauftragter Josep Borrell „massive“ und „zielgerichtete“ Sanktionen an. Borrell sprach vom „härtesten Sanktionspaket, das wir je implementiert haben“.

So sollen der Zugang russischer Banken zu den europäischen Finanzmärkten gestoppt und russische Vermögenswerte in der EU eingefroren werden. Zudem soll wichtigen Sektoren der russischen Wirtschaft der Zugang zu Schlüsseltechnologien und Märkten verwehrt werden. Diese Sanktionen sollen auf die Fähigkeit Russlands, den Krieg zu finanzieren, zielen.

EU-Kreisen zufolge soll das Paket, sobald beschlossen, innerhalb von 24 Stunden in Kraft treten. Ausfuhrverbote für zum Beispiel Erdgas waren zunächst nicht vorgesehen. Es wird allerdings für möglich gehalten, dass Russland selbst die Versorgung der EU mit Erdgas einstellt. Bisher liefert der russische Staatskonzern Gasprom nach Angaben der EU-Kommission rund 40 Prozent der in der EU verbrauchten Gasmenge.

EU an der Seite der Ukraine

All das sei keine Frage diplomatischer Machtspiele. „Es ist eine Frage von Leben und Tod. Es geht um die Zukunft unserer globalen Gemeinschaft“, so Borrell, der von „einer der dunkelsten Stunden Europas seit dem Zweiten Weltkrieg“ sprach.

Von der Leyen sagte: „Es ist Präsident Putin, der Krieg zurück nach Europa bringt.“ Beide betonten, dass die EU zudem die Ukraine weiter unterstützen und an deren Seite stehen werde. Russland fordere man auf, seine Militäraktionen unverzüglich einzustellen.

Erstes Sanktionspaket in Kraft

Ein erstes Sanktionspaket wurde von der EU am Dienstag beschlossen. 27 Personen und Körperschaften, die die territoriale Einheit der Ukraine bedrohen, wurden mit Sanktionen belegt. Zudem fänden sich auf der Sanktionsliste jene 350 Abgeordneten des russischen Parlaments, die für die russische Anerkennung der selbst ernannten „Volksrepubliken“ Luhansk und Donezk in der Ostukraine stimmten.

Darüber hinaus wurde der Zugang des russischen Staats zu den EU-Finanzmärkten beschnitten und der Handel der EU mit den beiden Regionen eingeschränkt. Am Mittwoch wurden die Strafmaßnahmen dann auch formell von den 27 EU-Staaten beschlossen und traten somit bereits in Kraft.

EU-Spitzen verurteilen „beispiellose Aggression“

In einer gemeinsamen Erklärung der 27 EU-Staats- und Regierungsspitzen heißt es: „Wir verurteilen die beispiellose militärische Aggression Russlands gegen die Ukraine aufs Schärfste. Durch seine grundlosen und ungerechtfertigten Militäraktionen verstößt Russland massiv gegen das Völkerrecht und untergräbt die Sicherheit und Stabilität in Europa und weltweit.“

Die außerordentliche Tagung des Europäischen Rates wurde einberufen, „um diese unverhohlene Aggression zu erörtern und uns in enger Abstimmung mit unseren transatlantischen Partnern grundsätzlich auf weitere restriktive Maßnahmen zu einigen, die Russland für sein Vorgehen massive und schwerwiegende Konsequenzen auferlegen werden“, wie es seitens der EU heißt.

Die EU stehe in diesem Krieg fest an der Seite der Ukraine und ihrer Bevölkerung und werde ihr weiterhin politische, finanzielle und humanitäre Hilfe leisten.