Filmszene aus „King Richard“
Constantinfilm
„King Richard“

Mastermind hinter zwei Tennissuperstars

Ohne ihren Vater Richard wäre der Erfolg der Tennissuperstars Serena und Venus Williams nicht denkbar. Der Film „King Richard“ setzt diesem widersprüchlichen Mann nun ein Denkmal – und hat gleich sechs Oscar-Chancen.

Sie waren beide noch nicht einmal geboren, da hatte er schon einen 78-seitigen Plan für ihre erfolgreiche Tenniszukunft. So zumindest erzählt Richard Williams später gerne in Interviews davon, wie er seine beiden Töchter Venus und Serena zu Tennis-Assen heranzog. „An Basketball haben Sie nie gedacht?“, will dann manchmal einer wissen. Warum Basketball? Weil Williams und seine Töchter schwarz sind, und Tennis nicht nur aufgrund der Kleidung als „weißer Sport“ gilt.

Ohne privilegierten Hintergrund, ohne viel Geld und Zugang zu noblen Clubs ist normalerweise nichts zu machen. Und die Familie wohnt in Compton, einem eher für Hip-Hop und Bandenkriege bekannten Vorort von Los Angeles. Was war es also, das Williams antrieb, für seine Töchter etwas zu wollen, das für die meisten Kinder dieser Stadt völlig unerreichbar schien? Der Film „King Richard“ unter der Regie von Reinaldo Marcus Green porträtiert mit Williams einen Mann, der sich trotz aller Widerstände nicht in seinem Ziel beirren ließ.

„King Richard“ erzählt einen wahr gewordenen amerikanischen Traum, das verdeutlicht schon die Besetzung mit Will Smith in der Titelrolle, jenem Schauspieler, der nach wie vor zu den Bestverdienern Hollywoods gehört und dessen Image als idealer Vater seit Filmen wie „Das Streben nach Glück“ (2006) ungebrochen ist. Smith spielt Williams als einen, der immer wieder Prügel einsteckt für das, was er für seine Töchter will, der sich in seinem Ehrgeiz und Eigensinn durch Hindernisse aber nur bestärkt sieht.

Ein geprügelter König

Dabei ist dieser geprügelte König voller Widersprüche, ein Despot auch innerhalb seiner Familie. Drehbuchautor Zach Baylin, für seine Arbeit an „King Richard“ oscarnominiert, charakterisiert Richard Williams als Vater, der zwar Erfolg will, dabei aber gegenüber seinen Kindern nicht in archetypisches Eislaufmutter-Verhalten verfällt. Er verfolgt seine eigene Strategie: Anders als andere Eltern will er nicht, dass seine Töchter um jeden Preis gewinnen. Sie sollen vielmehr um jeden Preis Spaß am Tennis haben.

Erst danach kommt das Gewinnen. Zunächst trainiert Williams die Mädchen selbst, auf heruntergekommenen öffentlichen Sportplätzen in Compton, auch bei Regen und egal, wie der Untergrund beschaffen ist. Als er Venus und Serena dem Tenniscoach Paul Cohen vorstellt (und dabei eine Trainingseinheit von Pete Sampras und John McEnroe unterbricht), ist der baff, wie gut die beiden spielen – doch für ein professionelles Training fehlt der Familie Williams das Geld, und Cohen ist nur bereit, eine der beiden unentgeltlich zu trainieren.

Filmszene aus „King Richard“
Constantinfilm
Serena und Venus bekommen die bestmögliche Ausbildung – auch wenn das vorerst nur auf dem öffentlichen Platz im Park ist

Erfolgreich wie Aschenputtel

Es ist Venus (Saniyya Sidney), die nun Profitraining von Cohen bekommt, danach hilft sie ihrer um ein Jahr jüngeren Schwester Serena (Demi Singleton). Doch obwohl Cohen rät, Venus früh in Wettbewerbe zu schicken, um sich mit anderen messen zu können, bleibt der Vater stur. „Die Kinder brauchen den Druck nicht, sie werden Matches spielen, wenn sie Profis sind“, verteidigt er die beiden. Später verweigert er auch erste Sponsorenverträge.

Zugleich drillt er die Kinder, wie ein gemeinsamer, zunächst kuscheliger Filmnachmittag mit der Familie bei „Cinderella“ zeigt. „Was habt ihr gelernt?“, fragt er danach ab: „Höflich sein!“, sagt die eine. „Mutig sein!“, die andere. Das ist aber nicht, was Williams hören wollte. Wütend schreit er, es sei Bescheidenheit gewesen, die Aschenputtel Erfolg gebracht habe.

Der Löwenvater

Ein Sportfilm ist „King Richard“ nicht, auch wenn es die genretypischen Trainingsmontagen gibt. Auch Verzögerungen und Überraschungen auf dem steinigen Weg zum Spitzenniveau gibt es, wenn etwa eines der Mädchen einen scheinbar sicheren Sieg nicht einfährt, die Reaktion der Eltern und der Welt dann aber anders ausfällt als zunächst erwartet. Die Sportsequenzen sind auch am wenigsten mitreißend, eher ist es ein Motivationsfilm, vor allem aber die Charakterstudie eines Mannes, der für seine beiden erfolgreichen Töchter kämpft wie ein Löwe.

Green inszeniert etwa die berühmte Szene nach, in der Williams die 14-jährige Venus vor den penetranten Nachfragen eines herablassenden Fernsehjournalisten verteidigt, eine Situation, die auf YouTube im Original nachzusehen ist und die emblematisch für Williams’ Beschützerinstinkt ist. Nicht erniedrigen, sondern ermutigen, nicht in Form prügeln, sondern vorantreiben, die beiden Kinder sein lassen, die lernen, in die Schule gehen, trainieren, aber kein Geld verdienen müssen. Fürs Geldverdienen sei später genug Zeit.

Die Verbündeten sind staunende weiße Tenniscoaches, die sich allerdings erst überreden lassen müssen, Leute wie Cohen, der anfangs von Richards Plänen für die Mädchen sagt: „Das ist ungefähr so wahrscheinlich wie, dass Sie da die nächsten beiden Mozarts aufziehen.“ Und der legendäre Rick Macci (Jon Bernthal), für dessen berühmte Tennisschule die ganze Familie Williams nach Florida übersiedelt. Doch auch seine Feinde begleiten Williams ununterbrochen.

Drogen, Gewalt, Rassismus

Es sind die Gangs, die seine Töchter auf dem Weg zum Training auf dem öffentlichen Platz im Park belästigen, es sind die Eltern der reichen, weißen Konkurrentinnen im Tennisclub, es ist die Nachbarin, die der Familie das Jugendamt auf den Hals schickt. Drogen, Gewalt, rassistische Polizeigewalt, das alles begleitet den Film über Fernsehbilder im Hintergrund. Vor diesem Dasein, dem er selbst nur mit knapper Not entronnen ist, will Williams seine Töchter bewahren.

Filmszene aus „King Richard“
Constantinfilm
Hab’s dir doch gesagt! Richard Willams (Will Smith) ist grenzenlos stolz im Gespräch mit Coach Macci (Jon Bernthal)

Eine Heiligsprechung ist „King Richard“ dennoch nicht, auch wenn die Widersprüchlichkeit des echten Richard Williams nur in einer Szene klar zum Ausdruck kommt. Seine Frau Oracene (gespielt von Aunjanue Ellis, wie Will Smith ebenfalls oscarnominiert) wirft ihm da vor, er drücke sich vor seiner Verantwortung. Immer wieder habe er, so Brandy, seine früheren Kinder – tatsächlich haben Serena und Venus fast ein Dutzend Geschwister und Halbgeschwister – im Stich gelassen, er habe tausend Geschäftsideen gehabt und alle verworfen.

Dass diese Seiten Williams’ auch Platz haben, der Film also nicht zu salbungsvoll ausgefallen ist, ist wohl auch der Mitwirkung einiger anderer Familienmitglieder zu verdanken: Lyndrea Price, Halbschwester von Venus und Serena, unterstützte den Film bei den Kostümen, die andere Schwester Isha schaute der Ausstattung auf die Finger, und Mama Oracene war wichtige Gesprächspartnerin von Drehbuchautor Baylin.

Superstars mit Vorbildwirkung

Dass der Erfolg der Schwestern Richard Williams retrospektiv recht gibt, stellt „King Richard“ indessen nie infrage – wie es eben bei Filmen der Fall ist, die einen amerikanischen Traum nacherzählen. Es war diese eine fixe Idee, die ihm einen Platz in der Sportgeschichte – und nun auch in der Filmgeschichte – sichert. Die Bedeutung von Venus und Serena Williams als Vorbilder kann nicht hoch genug eingeschätzt werden – für viele neue Generationen nicht weißer Tennisspielerinnen, in einem immer noch überwiegend weißen Sport, der weibliches Aufbegehren berüchtigt drastisch sanktioniert.