Soldaten der 82. US-Luftlandedivision in der Nähe des Flughafen Arlamow in Polen.
Reuters/Kacper Pempel
Verstärkung im Osten

NATO will rote Linie aufzeigen

Nach der russischen Invasion in der Ukraine ist das Verteidigungsbündnis NATO bemüht, Moskau seine rote Linie aufzuzeigen. Als ausgeschlossen gilt zwar weiter, dass die NATO Truppen in die Ukraine entsendet, indes wird aber – wohl zur Abschreckung Russlands – die Ostflanke des Bündnisses verstärkt. Die Drohung: Wer einen Bündnispartner angreift, greift alle an. Ein russischer Angriff auf NATO-Partner ist aber extrem unwahrscheinlich.

Während der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski die NATO um Unterstützung bat und der russische Präsident Wladimir Putin mit seinem rigorosen Vorgehen in der Ukraine das Bündnis sowie jegliche Beitrittsperspektiven für die Ukraine in die Schranken weisen wollte, arbeitete die NATO am Freitag mit Hochdruck am Schutz seiner Mitglieder im Osten. Am Freitag kam das Bündnis zu einem Sondergipfel zusammen.

Danach wurde angekündigt, dass die schnelle Einsatztruppe NATO Response Force (NRF) an die Ostflanke verlegt werden soll. Wohin die Einheiten verlegt werden, sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg zunächst nicht. Er sprach lediglich von mehreren tausend Soldaten, die auf dem Land, auf der See und in der Luft im Einsatz sein sollten. Es sei das erste Mal, dass Teile der NRF im Zuge der Abschreckung und Verteidigung des Bündnisgebiets verlegt würden. Zudem werde es weitere Waffenlieferung in die Ukraine geben, man wolle zudem die Cyberabwehr stärken.

Verteidigungspläne aktiviert

Das Bündnis hatte zuvor am Donnerstag erstmals seine Verteidigungspläne aktiviert. Damit kann die NRF mit bis zu 40.000 Soldaten und Soldatinnen eingesetzt werden, um Alliierte zu schützen. Die NATO-Militärführung unter US-General Tod Wolters kann nun zusätzliche Truppen und andere Einheiten anfordern. Zudem wurden über 100 Kampfflugzeuge in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Die Pläne waren nach der russischen Annexion der Krim 2014 erstellt worden.

NATO Generalsekretär Jens Stoltenberg
APA/AFP/John Thys
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg

Der NATO, deren Ansehen durch den Abzug aus Afghanistan schwer gelitten hat, würde entgegen Putins Erwartungen nun „neues Leben“ eingehaucht, schreibt etwa das „Handelsblatt“. Konkret geht es um Truppenverlegungen und -verstärkungen in den an die Ukraine grenzenden NATO-Staaten Polen, Rumänien und die Slowakei – aber auch im Baltikum, also Estland, Lettland und Litauen.

NATO im Zentrum von Ukraine-Konflikt

Das größte Verteidigungsbündnis der Welt hatte ursprünglich 5.000 Truppen in Estland, Lettland, Litauen und Polen stationiert, erhöhte die Truppenanzahl aber aufgrund des eskalierenden Ukraine-Konflikts in den vergangenen drei Monaten stark. Seit Donnerstag werden seitens der Bündnispartner laufend zusätzliche Unterstützung in Form von Truppen über Abwehrsysteme und Kampfjets bis hin zu Fregatten zugesagt. Auch unterstützten einige der 30 Bündnispartner die Ukraine mit Waffen- und Munitionslieferungen.

Zur Erinnerung: Russland forderte eine Zusicherung, dass die Ukraine auf einen NATO-Beitritt verzichtet. Diese lehnte das bis Freitag ab, ist nun aber bereit, über eine Neutralität zu verhandeln. Moskau äußerte sich daraufhin aber widersprüchlich – Außenminister Sergej Lawrow unterstellte der Ukraine zu lügen. Kreml-Sprecher Dimitri Peskow nahm das Gesprächsangebot zur Kenntnis. Tatsächliche Verhandlungen kamen aber vorerst nicht zustande.

Lawrow kritisiert Selenski scharf

Der russische Außenminister Lawrow hat dem ukrainischen Präsidenten Selenski vorgeworfen, dass es ihm nie um die Neutralität der Ukraine gegangen sei. Lawrow kritisierte auch die NATO heftig.

Stoltenberg gibt sich kämpferisch

Die NATO, die einen Einsatz in der Ukraine vehement ausschließt, versuchte sich indes mit scharfen Worten: „Lasst euch nicht beirren, wir werden jeden Partner gegen jeglichen Angriff auf jedem Zentimeter des NATO-Territoriums verteidigen“, sagte am Donnerstag etwa Stoltenberg. „Ein Angriff auf einen Partner hätte eine Antwort der gesamten Allianz zur Folge.“ Er bezieht sich auf Artikel fünf des NATO-Vertrags, wonach ein Angriff auf einen Alliierten ein Angriff auf alle ist.

Auch Deutschlands Kanzler Olaf Scholz warnte Russland davor, nach der Ukraine weitere Länder ins Visier zu nehmen. Die westlichen Bündnispartner seien sich „einig, dies mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern“, sagte Scholz am Donnerstag in einer Fernsehansprache. Das gelte „ausdrücklich für unsere NATO-Partner im Baltikum, in Polen, in Rumänien, in Bulgarien und in der Slowakei“.

An einer direkten Konfrontation dürften Russland und die NATO Beobachterinnen und Beobachtern zufolge aber in Realität kein Interesse haben. Immerhin würde es dann zu einer direkten Konfrontation zwischen den USA und Russland und damit einhergehenden verheerenden Folgen für beide Seiten kommen. Putin soll es vielmehr darum gehen, mit der Ukraine einen Pufferstaat zum Westen zu haben.

Analyse: Die Rolle der NATO

Peter Fritz aus der ZIB-Redaktion erklärt, welche Schritte die NATO im Ukraine-Krieg setzen könnte. Sorge besteht darüber, dass eines der NATO-Länder im Osten von Russland angegriffen werden könnte.

Beitrittsdebatten in Finnland und Schweden

Indes löste Putins Vorgehen auch Debatten über mögliche NATO-Beitritte in Schweden und das an Russland grenzende Finnland aus. Die schwedische Regierungschefin Magdalena Andersson verurteilte am Donnerstag die „sehr klare Verletzung internationalen Rechts und der europäischen Sicherheitsordnung“. Trotz der durch die Ukraine-Krise angefachten Debatte über eine NATO-Mitgliedschaft bleibe Schweden aber bei seiner Haltung, sich nicht dem Verteidigungsbündnis anzuschließen, sagte Andersson.

Auch im Nachbarland Finnland schloss die Regierung Schritte hin zu einer NATO-Mitgliedschaft aus. Die finnische Sicherheitspolitik sei darauf ausgelegt, „Krisenzeiten standzuhalten“, sagte Außenminister Pekka Haavisto vor Journalisten. Anders als Schweden hat Finnland eine „NATO-Option“, auf deren Grundlage Helsinki „die Möglichkeit zu einem Antrag auf Mitgliedschaft hat, wenn Finnlands Sicherheit dies erforderlich macht“, wie Ministerpräsidentin Sanna Marin sagte.

Die Frage einer vollwertigen Mitgliedschaft wurde in den vergangenen Wochen in Finnland bereits diskutiert. Der russische Angriff auf die Ukraine werde die Debatte wahrscheinlich weiter anfachen, sagte Marin. Diese verlange jedoch „einen breiten parlamentarischen Konsens“. Aus Moskau kam angesichts der Debatten eine Drohung: Das würde ernste militärische und politische Konsequenzen verursachen, bei denen Russland entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen müsse.