Mann und Mädchen führen Konversation
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Ukraine-Konflikt

Mit Kindern über Krieg sprechen

Videos von Bombenangriffen, Bilder von Panzern und Gerüchte auf Social Media über den Ausbruch eines Dritten Weltkriegs: Kinder erleben den Ukraine-Krieg in den Medien in vielerlei Hinsicht anders und oft auch intensiver als Erwachsene. Eltern können einen wichtigen Beitrag leisten, ihren Kindern die Angst zu nehmen – und auch Bücher, Videospiele und bewusstes Abschalten spielen eine große Rolle.

Seit Russlands Angriff auf die Ukraine dominiert das Wort „Krieg“ die Schlagzeilen – ein Wort, das viele Kinder aus Europa zuvor nur aus Geschichtsbüchern kannten oder sogar noch nie zuvor gehört haben. Für Eltern wirft das Fragen auf: Wie mit den eigenen Sorgen, wie mit den Ängsten des Kindes umgehen? Wie viel darf gesagt oder sollte sogar aktiv angesprochen werden?

„Auf jeden Fall sollte man bei allem, was man tut, sachlich bleiben“, rät die Medienpädagogin Rosa Danner im Gespräch mit ORF.at. „Man sollte nicht in Panik verfallen, aber die eigene Besorgnis darf auch thematisiert werden.“

Kinder bei eigenen Erfahrungen abholen

Ob man das Thema von sich aus proaktiv mit dem Kind besprechen sollte, hängt laut Danner stark vom Alter ab. Im Kindergartenalter sei das noch nicht unbedingt notwendig, in der Volksschule bekämen die Kinder jedoch schon vieles mit und würden die Emotionen der Eltern zudem stärker spüren.

Es sei wichtig, die Kinder zunächst dort abzuholen, wo sie sind, so der Entwicklungspsychologe Moritz Daum im Gespräch mit der „Zeit“. Man könnte damit anfangen, zu fragen: „Was weißt du denn über Krieg? Habt ihr gerade in der Schule darüber gesprochen?“

Man müsse das Kind bei den eigenen Erfahrungen abholen; Krieg sei Streit auf einer höheren Ebene. „Es geht nicht um den Sandkasten, sondern um ganze Länder oder Dinge, die der andere hat und die man selbst gerne haben will und ihm wegnehmen möchte – oder um Dinge, die einem weggenommen werden“, so Daum. „Die Streitenden nehmen dafür nicht nur eine Beule am Kopf in Kauf, es sterben tatsächlich Menschen.“

Ukraine – Erklärvideo für Kinder

Bis vor 30 Jahren haben Russland, die Ukraine und andere Länder die Sowjetunion gebildet. Seitdem gibt es innerhalb und außerhalb der Ukraine Uneinigkeit darüber, ob das Land mehr mit Russland oder dem Westen zusammenarbeiten soll. Im Westen zum Beispiel mit der Europäischen Union und dem Militärbündnis der NATO. Jetzt hat Russland die Ukraine überfallen. Die EU und die NATO müssen sich nun genau überlegen, wie sie die Ukraine unterstützen können, damit der Krieg dort nicht noch größer wird.

Bücher als Hilfe für jüngere Kinder

„Ich bin ein großer Fan davon, schwierige Themen im Umgang mit Kindern mit Büchern zu bearbeiten“, sagt Danner. „Alleine die verwendeten Farben in den Büchern vermitteln schon bestimmte Stimmungen, und man kann sich gut in verschiedene Rollen hineinversetzen.“

So wird etwa in Nikolai Popovs Kinderbuch „Warum?“ anhand einer Maus und einem Frosch, die sich über eine Blume streiten, erklärt, was der Unterschied zwischen Streit und Krieg ist und welche Auswirkungen gewaltsame Konflikte haben können. Und auch in „Ich mach dich platt!“ will die schwedische Autorin Pernilla Stalfelt dazu anregen, sich Gedanken über die vielen Facetten von Gewalt zu machen, die von der Sandkiste bis zum Rollstuhl und von den Wikingern bis heute reicht.

„Alleine, indem man Interesse zeigt und die Sorgen der Kinder ernst nimmt, tröstet man sie und gibt ihnen Sicherheit“, so Danner. „Kleine Kinder brauchen das Gefühl: Die Eltern sind für mich da und beschützen mich. Das kann man ihnen ruhig auch aktiv sagen.“

Aktivitäten gegen die Hilflosigkeit

Während jüngere Kinder sich vor allem auf ihre Eltern verlassen, dominiere bei älteren Kindern das Gefühl der eigenen Hilflosigkeit. „Jugendliche haben zwar auch noch ein Bedürfnis, beschützt zu werden, sie wollen aber auch selbst Initiative ergreifen“, so Danner.

Das zeige etwa die Klimaschutzorganisation „Fridays For Future“, bei der sich vor allem Schülerinnen und Schüler für eine klimafreundlichere Zukunft engagieren. Im Fall des Ukraine-Kriegs könnten Diskussionen und das Besprechen der aktuellen Lage oder gemeinsames Spendensammeln helfen, das Gefühl des Ausgeliefertseins zu bekämpfen, empfiehlt Danner. Rat auf Draht bietet zudem anonyme und kostenlose Beratung für Kinder und Jugendliche unter der Nummer 147 an.

Neben Büchern gebe es zudem auch Computerspiele für Jugendliche ab 16 Jahren, die unter Einbeziehung von Fakten versuchen, sich der Kriegsthematik möglichst authentisch zu nähern. So bezeichnete die „Zeit“ das Computerspiel „This War of Mine“ als „wohl traurigstes, aber auch wichtigstes Spiel“ des Jahres 2014. „Das sind keine Egoshooter-Spiele“, räumt Danner mit den Vorurteilen auf, „sondern tolle, wissenschaftlich aufbereitete Computerspiele, die so immersiv sind, dass man vieles sehr gut nachvollziehen kann.“

Sensationslust auf TikTok, Instagram und Co.

Neben der Menge an Nachrichten, die ohnehin schon über konventionelle Medien täglich konsumiert wird, kommt bei Kindern und Jugendlichen auch der Aspekt von Social Media hinzu. TikTok, Instagram und Co. sind gerade bei den Jüngeren beliebt – als primäre Informationsquelle für heikle Themen wie Kriege sind sie allerdings nur bedingt geeignet.

„Gerade bei TikTok kommen die Videos relativ ungefiltert hinein, weil ich den Kanälen nicht folgen muss, um Content zu bekommen. Sachen, die viele Views haben, rutschen da einfach in die Timeline hinein“, so die Medienpädagogin. „Die Gerüchteküche brodelt schnell, und viele Dinge werden einfach aus Sensationslust, Panik oder Entsetzen geteilt, während konventionellere Medien hier lieber noch abwarten.“

Person hört Selenski auf dem Handy zu
Reuters/Bernadett Szabo
Jugendliche informieren sich häufig über soziale Netzwerke, in denen Inhalte und Gerüchte besonders schnell geteilt werden

Generelle Verbote bestimmter sozialer Netzwerke hält Danner für wenig sinnvoll; diese Netzwerke würden ohnehin gewissen Altersbeschränkungen unterliegen. Allerdings sei es wichtig, die Kinder darauf hinzuweisen, dass nicht alles, was in Social Meida gezeigt wird, der Wahrheit entspricht. Es ist ratsam, den Medienkonsum der Kinder auch zu begleiten und zu besprechen. Man kann Kindern etwa beibringen, zu hinterfragen: Woher kommen diese Videos, und wer hat sie ursprünglich veröffentlicht?

„Man sollte als Erwachsener in dieser Situation nicht wegen des Krieges die Social-Media-Nutzung der Kinder anders bewerten, sondern einfach hinhören: Gibt es Ängste, Wut, Trauer, auf die man eingehen, über die man reden kann?“, so Danner. Dennoch sei es ratsam, zwischendurch bewusste Social-Media-Pausen einzulegen und abzuschalten.

Bewusst Normalität schaffen

Nicht nur für Kinder können bewusste Informationspausen sinnvoll sein. „Man sollte das Wohnzimmer nicht zu einem Newsroom machen“, empfiehlt Danner, „man muss zwischendurch auch immer wieder versuchen, zum Alltag überzugehen und bewusst Normalität schaffen.“ Das Phänomen „Doom Scrolling“, also das Konsumieren schier endlos vieler schlechter Nachrichten, schade langfristig schließlich jedem – auch Erwachsenen.