Refugees, mostly women with children, arrive at the border crossing in Medyka, Poland on Sunday, March 6, 2022. (AP Photo/Visar Kryeziu)
AP/Visar Kryeziu
UNO

Flüchtlingskrise verschärft sich rasant

Wegen des Krieges in der Ukraine sind nach Angaben der Vereinten Nationen bereits mehr als 1,5 Millionen Menschen aus dem Land geflohen. Es handle sich um die „am schnellsten anwachsende Flüchtlingskrise“ in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg, erklärte die UNO am Sonntag auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Angesichts der sich intensivierenden Kämpfe dürfte die Zahl der täglich außer Landes Flüchtenden weiter steigen.

Nach UNO-Schätzungen könnten insgesamt vier Millionen Menschen die Ukraine verlassen wollen. Bis zum russischen Einmarsch in die Ukraine Ende Februar lebten in den von der Regierung in Kiew kontrollierten Gebieten gut 37 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner.

Die meisten Flüchtlinge aus der Ukraine zählt bisher das Nachbarland Polen: Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar wurden allein in Polen bis Sonntagnachmittag 964.000 Geflüchtete registriert. Der polnische Grenzschutz ging davon aus, dass ihre Zahl im Laufe des Sonntags auf über eine Million steigt.

Ukrainische Flüchtlinge in einer temporären Unterkunft in Krakau, Polen.
APA/AFP/Louisa Gouliamaki
Flüchtlinge auf dem Krakauer Bahnhof: Die meisten Menschen kamen in der letzten Woche in Polen an

Hunderttausende suchen Schutz in Nachbarstaaten

An Polens rund 500 Kilometer langer Grenze zur Ukraine wurden allein am Samstag 129.000 Menschen abgefertigt und damit so viele wie noch nie an einem Tag. „Die Abfertigung ist so einfach wie möglich“, sagte die Sprecherin des polnischen Grenzschutzes, Anna Michalska. „Es geht darum, die Identität der Personen zu bestätigen, Dokumente zu überprüfen und die Datenbanken zu kontrollieren, ob es sich nicht um gesuchte Personen handelt. Das dauert ein paar Minuten.“ In Polen lebten vor dem Krieg bereits etwa 1,5 Millionen Menschen aus der Ukraine. Das Land ist daher ein wichtiges Ziel von Flüchtlingen.

Selbst Präsident Andrzej Duda bietet Geflüchteten Hilfe an: Auf Initiative der polnischen First Lady Agata Kornhauser-Duda seien bereits seit mehreren Tagen Geflüchtete in zwei Dienstvillen des Präsidenten untergekommen, sagte Dudas Kanzleichef Adam Kwiatkowski am Sonntag der Nachrichtenagentur PAP.

Bericht zur Flüchtlingslage in Rumänien

ZIB-Korrespondentin Katharina Wagner spricht über die aktuelle Lage der ankommenden Ukraine-Flüchtlinge in Rumänien.

Aber auch über die Slowakei, Ungarn, Nordrumänien und Moldawien suchen viele Menschen Schutz vor dem Krieg. Rumänien verzeichnete rund 227.500 Geflüchtete und Ungarn über 163.000. Fast 114.000 Menschen haben die Slowakei erreicht. Moldawiens Präsidentin Maia Sandu bat bei einem Treffen mit US-Außenminister Antony Blinken in Chisinau die internationale Gemeinschaft um Hilfe bei der Versorgung der Flüchtlinge. Seit Beginn des Krieges seien über 250.000 Menschen aus der Ukraine über die Grenze gekommen. Die frühere Sowjetrepublik zählt selbst nur etwa 2,6 Millionen Einwohner.

Ukrainische Flüchtlinge am Bahnhof in Zahony, Ungarn.
AP/Darko Vojinovic
Auch über Ungarn suchen viele Menschen Schutz vor dem Krieg

Berlin stößt laut Bürgermeisterin an Grenzen

In Deutschland stieg die Zahl der Kriegsflüchtlinge bis Sonntag auf rund 37.800 – und damit fast 10.000 mehr als am Vortag. Ein Sprecher des Innenministeriums wies erneut darauf hin, dass die tatsächliche Zahl der nach Deutschland eingereisten Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine deutlich höher sein könnte, da die Daten der Bundespolizei auch wegen nicht bestehender Grenzkontrollen nur einen Teil der Geflüchteten abbilden würden.

Berlin stößt angesichts Tausender täglich ankommender Ukraine-Geflüchteter laut Regierender Bürgermeisterin Franziska Giffey an seine Grenzen. „Wir haben binnen einer Woche ein extrem dynamisches Geschehen: Am Anfang waren es 45 Menschen, die wir untergebracht haben, mittlerweile kommen über 10.000 am Tag, und das ist eine Riesenherausforderung, die wir versuchen, mit verschiedenen Mitteln zu bewältigen“, sagte die SPD-Politikerin im ZDF-„Morgenmagazin“ am Sonntag.

Ukrainische Flüchtlinge bei der Ankunft in Berlin, Deutschland.
APA/AFP/Tobias Schwarz
Berlin stoße wegen der vielen Flüchtlinge bald an seine Grenzen, warnte die Bürgermeisterin der deutschen Hauptstadt

Die Zahl der vor dem russischen Aggressionskrieg aus der Ukraine Flüchtenden bleibt in Österreich vorerst überschaubar. Wie das Innenministerium auf APA-Anfrage am Samstag bekannt gab, kommen täglich rund 4.000 Menschen aus der Region hierzulande an. Die allerwenigsten davon wollen im Land bleiben. 80 Prozent reisen in andere Staaten weiter. Griechenland meldete bis Sonntag rund 3.700 Flüchtlinge.

Paris zu London: „Mangel an Menschlichkeit“

Zwischen London und Paris entbrannte unterdessen ein Streit über den britischen Umgang mit den Flüchtlingen aus der Ukraine, die vom nordfranzösischen Calais aus nach Großbritannien weiterreisen wollen.

In einem Brief an seine britische Kollegin Priti Patel beklagte Frankreichs Innenminister Gerald Darmanin einen „Mangel an Menschlichkeit“ der britischen Behörden, die sich bei der Visavergabe stur stellten. 150 der vor dem Krieg Geflüchteten wurden demzufolge an den Grenzposten aufgefordert, nach Paris oder Brüssel zu fahren, um in den dortigen britischen Konsulaten Visa für das Vereinigte Königreich zu beantragen.

Der britische Justizminister Dominic Raab wies die Vorwürfe zurück. Großbritannien könne nicht einfach die Tore öffnen, sagte er dem britischen Rundfunksender BBC. Ein derartiger Schritt helfe den „echten Flüchtlingen“ nicht, zudem könne er die Unterstützung der britischen Bevölkerung untergraben.

Rufe nach sicheren Fluchtwegen

Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen sprach sich am Sonntag unterdessen für sichere Fluchtwege aus. „Jede Situation ist anders, aber aufgrund unserer jahrzehntelangen Erfahrung in Kriegssituationen wissen wir, dass einmalige humanitäre Korridore zwar hilfreich sein können, aber nicht ausreichen“, sagte Stephen Cornish, Geschäftsführer der Genfer Einsatzzentrale von Ärzte ohne Grenzen.

Schon öfter habe man erlebt, wie Zivilisten ermutigt worden seien, „zeitlich begrenzte Evakuierungskorridore zu nützen – doch dann wurden diejenigen, die nicht fliehen konnten oder wollten mit außergewöhnlicher und wahlloser Gewalt konfrontiert, die sich gegen alle richtete, die zurückblieben“.

Ärzte ohne Grenzen rufe deshalb dazu auf, dass alle Militärs, die aktuell in der Ukraine kämpfen, die Kriegsregeln einhalten und alle nötigen Vorkehrungen treffen, um Zivilpersonen nicht zu verletzen. Sie seien verpflichtet, diese zu jeder Zeit und an jedem Ort in der Ukraine als Zivilisten zu betrachten, so die NGO.