Ein Arzt in einem Impfzentrum in Wien.
Reuters/Lisi Niesner
CoV-Politik

Glaubwürdigkeit „stark verspielt“

Die Geschichte der Coronavirus-Impfpflicht in Österreich ist eine kurze: Seit Februar in Kraft wurde die Umsetzung einen Monat später schon wieder ausgesetzt. Vorerst gibt es weder die Pflicht, sich impfen zu lassen, noch Strafen bei Verstößen. Nach Ansicht von Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle wurde mit dem „Schlingerkurs“ die Glaubwürdigkeit „stark verspielt“.

Die Regierung habe bei der Impfpflicht einen „Bauchfleck“ hingelegt, sagt sie im Gespräch mit ORF.at. Statt einer schnellen Umsetzung im vergangenen Herbst habe man zu lange gewartet – „obwohl eine ähnliche Maßnahme schon längst für das Gesundheitspersonal angekündigt war und später dann für die Gesamtbevölkerung“. Auch ihr Kollege, Politikberater Thomas Hofer, sieht es ähnlich und sagt mit Blick auf die vergangenen Monate: „Die Performance der gesamten Coronavirus-Politik hat zu einem Glaubwürdigkeitsverlust geführt.“

Tatsache ist, dass die Impfpflicht eine kurze, aber abwechslungsreiche Zeit hinter sich hat. Zunächst wurde sie abgelehnt, danach wurde das Thema vermieden, bis im November 2021 der damalige Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) und Ex-Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) den verpflichtenden Stich ankündigten. Die Delta-Variante war im Vormarsch, die Fallzahlen pro Tag lagen bei 14.000 und vor einem Kollaps des Gesundheitssystems wurde gewarnt.

Dann kam die infektiösere Variante Omikron: Die Fallzahlen stiegen deutlich an, sie liegen heute bei 50.000 pro 24 Stunden. Allerdings führte die Welle bisher zu keiner Überlastung des Gesundheitssystems, das man eben mit der im Jänner beschlossenen Impfpflicht schützen wollte. Am Vorhaben zweifelten plötzlich einzelne Landeshauptleute, die am 19. November eine Impfpflichtvereinbarung mit dem Bund noch symbolträchtig unterzeichnet hatten.

Rein- und rausgestolpert

„Die Regierung ist im November in die Impfpflicht reingestolpert und stolpert jetzt wieder raus“, sagt Hofer, der einen nicht genannten ÖVP-Politiker zitiert. Der Zeitpunkt wäre nie optimal gewesen, sagt Stainer-Hämmerle. Aber wenn man sich zu einer Impfpflicht entschließt, dann müsse es schneller gehen. „Die politische Mehrheit war ja vorhanden, aber dann brauchte man zwei Monate, um das Gesetz auf Papier zu bringen und weitere zwei Monate, um zu wissen, wie man das umsetzt. Und jetzt zweifelt man wieder am eigenen Vorgehen. Das alles verstärkt die Skepsis in der Bevölkerung“, sagt die Expertin.

Wolfgang Mückstein und sein Nachfolger als Gesundheitsminister, Johannes Rauch (beide Grüne)
APA/Helmut Fohringer
Alt-Gesundheitsminister Mückstein führte die Impfpflicht ein, Neu-Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) legt sie auf Eis

So richtig wohl bei der Impfpflicht ist den Regierungsparteien offenbar nicht gewesen. Nach der Abstimmung im Nationalrat wurde zwar öffentlich die deutliche Mehrheit für das Gesetz ventiliert, doch selbst in den Parteien (ÖVP, SPÖ, Grüne und NEOS) zogen einige Abgeordnete nicht mit, stimmten dagegen oder blieben der Abstimmung fern. Aber trotz der abgesagten Impflotterie, mit der man die SPÖ ins Boot holte, wurde versichert, dass das Gesetz samt Strafen umgesetzt wird – außer die für die Impfpflicht installierte Kommission empfiehlt etwas anderes.

Und das taten die Fachleute, noch bevor die Impfpflicht wirklich startete. Wegen der vorherrschenden Omikron-Variante sei diese derzeit „nicht verhältnismäßig“, so der neue Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) und Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) vergangene Woche. In drei Monaten soll die Kommission erneut einen Bericht vorlegen. Ob die Impfpflicht wiederkommt, wird sich zeigen, „tot“ sei sie noch nicht, sagte Rauch gegenüber der „Presse“. „Aber so richtig lebendig war sie auch nicht“, analysiert Politikberater Hofer mit Blick auf die wenigen Impfungen seit Februar.

Ministerium: Neue Verschärfungen nicht erklärbar

Dass die Zahl der Impfungen in den Sommermonaten steigen wird, um für den Winter und für neue Varianten gewappnet zu sein, bezweifelt Stainer-Hämmerle. „Wie soll ich im Juli jemandem sagen, dass er sich impfen lassen soll, wenn das Vertrauen nicht da ist?“, fragt sie. Im Moment teile die Politikwissenschaftlerin eher die Einschätzung, dass die Regierung ihre Verantwortung an die vielen Kommissionen abgibt, die die Politik in Sachen Coronavirus und Maßnahmen beratschlagen.

Zuletzt hatte sich die Ampelkommission Berichten zufolge für die „Wiedereinführung“ von Schutzmaßnahmen ausgesprochen – wohlwissend, dass das Land Anfang März großflächig geöffnet wurde. Die Vertreterin des Bundeskanzleramts wollte sich einer solchen Empfehlung enthalten, wie etwa der „Standard“ berichtete. Am Ende fand ein abgeschwächter Satz seinen Weg in den veröffentlichten Bericht: „Aufgrund des steigenden Trends (…) empfiehlt die Corona-Kommission die Umsetzung geeigneter Präventionsmaßnahmen.“

Das Gesundheitsministerium erklärte kurz nach Bekanntwerden der Empfehlung, dass neuerliche Verschärfungen der Bevölkerung „nicht vermittelbar“ wären. Politikexpertin Stainer-Hämmerle sieht das anders. „Man kann alles erklären, man hat vieles in der Vergangenheit einfach falsch und widersprüchlich erklärt“, sagt sie. Dass im Februar etwa Lockerungen verkündet wurden, man aber gleichzeitig an der Impfpflicht samt Strafen festhielt, sei nicht nachvollziehbar.

„Sommer wie damals“ vermieden

Für den Anstieg der Neuinfektionen machte Simulationsforscher Niki Popper zwei Gründe fest: zum einen die Aufhebung der Maßnahmen und die Omikron-Subvariante BA.2, deren Ausbreitung habe sich nach hinten verschoben und die Zahl derer, die sich infizieren können, noch nicht ausgeschöpft. Kritisch sah er vor allem die Aufhebung der Maskenpflicht in Innenräumen und der Homeoffice-Regelung. Expertinnen und Experten hätten, wie er, „schon damals gesagt, es ist nicht ganz einzusehen, warum das jetzt ohne Not so dringend ist, die Masken aufzuheben“.

Politikberater Hofer will im Gespräch mit ORF.at zwar den Begriff „Emokratie“ vermeiden, kommt aber bei der Frage nach dem Handeln der Regierung nicht umher, über die Emotionen zu sprechen. „Die Entscheidung, Maßnahmen zu lockern, ist eine Folge der schlechten Stimmung in der Bevölkerung oder in bestimmten Teilen der Bevölkerung“, sagt er. Aus politischen Gründen sei das nachvollziehbar. Wenn aber gleichzeitig Experten und Expertinnen eine andere Meinung vertreten, dann komme es zum Widerspruch, den die Regierung in den vergangenen Monaten nicht auflösen konnte.

Ende Februar hatte Politologe Peter Filzmaier gegenüber ORF.at bereits von einem „Kardinalfehler“ in der Regierungskommunikation gesprochen. Kurzfristige taktische Überlegungen stünden über einer langfristigen Strategie. „Das Wesen politischer Kommunikation – wenn sie erfolgreich sein soll – ist langfristige Strategieplanung“, sagte er. Hofer merkt nun an, dass die Regierung im Zuge der Öffnungen zumindest vermieden hat, von einem „Freedom-Day“ zu sprechen, oder gar von einem „Sommer wie damals“.

„Zwei Fulltimejobs für Minister Rauch“

Neben der Pandemie hat freilich auch der russische Angriff auf die Ukraine Auswirkungen auf Österreich. Dass der mediale Fokus nun nicht mehr nur auf dem CoV-Krisenmanagement liegt, sei für die Handelnden „bestimmt kein Nachteil“, meint Stainer-Hämmerle. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) kümmere sich um das Thema Ukraine und verliere kaum noch Worte über die CoV-Situation hierzulande. In Zukunft werde aber einiges auf das Ressort von Minister Rauch zukommen. „Krieg, Flüchtlinge und steigende Preise – das sind alles soziale Themen, die unter die Ägide des Sozialministers fallen werden.“

Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP)
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Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) in Krisenzeiten unterwegs

Hofer spricht diesbezüglich gleich von zwei „Fulltimejobs für Minister Rauch“ und bringt eine Teilung des Ministeriums ins Spiel. Aus seiner Sicht wäre eine Trennung zwischen Gesundheits- und Sozialressort „sachpolitisch sinnvoll“. Allerdings müssten sich Regierungsparteien viele Fragen stellen: „Wer bekommt den zusätzlichen Minister? Wie soll man den zusätzlichen Minister der Bevölkerung erklären? Könnte man womöglich woanders einsparen, zum Beispiel, indem man zwei andere, kleinere Ministerien zusammenlegt?“

Zudem dürfe man bei solchen Planungen nie künftige, planbare Ereignisse außer Acht lassen, ergänzt Stainer-Hämmerle und meint damit die bevorstehenden Wahlen in Österreich. Im Herbst wird im Burgenland und auf Bundesebene der Bundespräsident gewählt, im Frühjahr in Niederösterreich, Tirol, Kärnten und Salzburg. Politikberater Hofer: „Landeshauptleute spielten beim Coronavirus-Management bisher ja keine kleine Rolle.“