Traktor versprüht Düngemittel auf einem Feld
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Russland

Weltweite Düngemittelkrise befürchtet

Auf den Preisschock bei Getreide folgt der Preisschock bei Dünger: Der Krieg in der Ukraine hat auch die Abhängigkeit der globalen Landwirtschaft deutlich gemacht. Denn Russland exportiert mehr Stickstoffdünger als jedes andere Land der Welt – und die russische Regierung hat die Hersteller bereits angewiesen, die Exporte auszusetzen. Das könnte eine wirtschaftliche Kettenreaktion auslösen.

Sollten die Düngemittelhersteller den Empfehlungen des russischen Handelsministeriums nachkommen und den internationalen Export tatsächlich stoppen, würde das in der Landwirtschaft weltweit erhebliche Probleme verursachen. Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) war die Russische Föderation 2021 der größte Exporteur von Stickstoffdünger.

Mineraldünger

Düngemittel werden eingesetzt, um dem Boden und damit der Pflanze Nähr- und Vitalstoffe zuzuführen. Bei Mineral- bzw. Kunstdüngern handelt es sich um synthetisch hergestellte Stickstoff-, Phosphor- und Kaliumverbindungen.

Bei Kalium- und Phosphordünger war Russland der zweitgrößte Produzent. Das russisch-schweizerische Unternehmen EuroChem, das Stickstoff, Phosphate und Kalium produziert, ist nach eigenen Angaben eines der fünf größten Düngemittelunternehmen der Welt.

Laut Svein Tore Holsether, Vorstandschef des norwegischen Unternehmens Yara, das der weltweit größte Hersteller von mineralischem Stickstoffdünger ist, stammt ein Viertel der in Europa genutzten NPK-Dünger – also Dünger, die sowohl Stickstoff, Phosphor als auch Kalium enthalten – aus Russland.

Teuerung bei Kunstdünger setzt sich fort

Bereits seit dem Herbst waren die Kosten für Düngemittel infolge der erhöhten Erdgaspreise konstant gestiegen. Vergangene Woche gab die Statistik Austria bekannt, dass die Preise für Düngemittel im Februar im Vergleich zum Vorjahr weiter um mehr als die Hälfte gestiegen waren.

Grafik zeigt Kunstdüngerpreis im Zeitverlauf
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: agrarheute.com

Durch den Krieg in der Ukraine dürfte sich dieser Trend weiter fortsetzen. Nach Angaben des Verbandes Fertilizers Europe macht der Erdgaspreis bis zu 80 Prozent der Kosten für die Stickstoffdünger in der Europäischen Union aus – dieser hat wegen des Ukraine-Kriegs und der Sanktionen gegen Russland bereits Höchststände erreicht.

Russlands Präsident Wladimir Putin warnte bereits davor, dass die Preise weiter steigen würden, wenn die westlichen Staaten „weiter Probleme für die Finanzierung und Logistik der Lieferungen unserer Produkte bereiten“. Wichtige Ausfuhrhäfen wie Odessa liegen auf ukrainischem Territorium. Zudem meiden viele Containerschiffe russische Häfen.

Brasilien besonders abhängig

Vor allem in Brasilien ist die Abhängigkeit von Düngemittelimporten groß. Neun Millionen Tonnen Dünger wurden 2021 aus Russland importiert, 84 Prozent der Düngemittel kamen aus dem Ausland. Auch Belarus ist wichtiger Exporteur. Laut Brasiliens Verband für Düngemittellogistik sollen die Reserven des Landes noch drei Monate ausreichen. Ein Mangel an Kalisalzen etwa könnte sich negativ auf den Sojaanbau und die Ernte auswirken, da sie die Dürreresistenz der Pflanzen stärken und vor Schädlingen schützen.

„Wenn Brasilien jetzt nicht schnell handelt, wird es zu Nahrungsmittelknappheit, Inflation und Arbeitslosigkeit kommen“, zitiert die deutsche Tagesschau Fernando Cadore, den Präsident der Soja- und Maisproduzenten in Mato Grosso. Die Regierung in Brasilia erließ am Freitag per Dekret einen Aktionsplan, der etwa steuerliche Vorteile und öffentliche Kredite für den Aufbau eigener Düngerherstellung vorsieht. Bis 2050 soll die Abhängigkeit von importiertem Dünger von 85 Prozent auf 45 Prozent gesenkt werden.

Die brasilianische Agrarministerin Terza Cristina gab an, sich nach Alternativen in Kanada umsehen zu wollen. Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro nutzt den russischen Angriff auf die Ukraine, um die Ausbeutung indigener Gebiete im Amazonas-Gebiet zum Abbau von Kalium für Düngemittel zu rechtfertigen.

Sorge wegen Versorgungssicherheit und Preissteigerungen

Mit den steigenden Düngerkosten wachsen auch die Sorgen um die Versorgungssicherheit. Brasilien gilt als einer der wichtigsten Produzenten landwirtschaftlicher Produkte weltweit – in der Erntesaison 2019/2020 war es etwa mit 38 Prozent Erntevolumen der größte globale Sojaproduzent. Sollte die Ernte knapper ausfallen, steigen auch die Preise für Fleisch, da Soja vor allem in der Massentierhaltung als Futtermittel verwendet wird.

In Osteuropa seien die Landwirte zwar noch für die Aussaat im Frühling eingedeckt, sagte Edward de Saint-Denis, Händler bei Plantureux et Associés, einem Handelsunternehmen für Agrarrohstoffe. Doch für das kommende Jahr stehen die Landwirte vor einem Problem. „Trotz der hohen Getreidepreise lohnt es sich einfach nicht, Dünger für 800 Euro pro Tonne zu kaufen“, sagte Saint-Denis.

Der russische Kohle- und Düngemittelunternehmer und Gründer von EuroChem, Andrej Melnitschenko, fordert ein Ende des Krieges in der Ukraine. Ansonsten drohe eine weltweite Nahrungsmittelkrise, da die Düngemittelpreise für viele Landwirte schon zu hoch seien. Die Versorgungsketten stünden bereits wegen der Coronavirus-Pandemie unter Druck. „Jetzt wird dies zu einer noch höheren Lebensmittelinflation in Europa und wahrscheinlich zu einer Lebensmittelknappheit in den ärmsten Ländern der Welt führen“, sagte er.

Grafik zum Kostendruck im Agrarbereich durch steigende Energiepreise
Grafik: ORF.at; Quelle: Food and Agriculture Organization of the United Nations, 2022

Borealis stoppt Verkauf an EuroChem

Angesichts des Ukraine-Kriegs stoppte die OMV-Tochter Borealis vergangene Woche den bereits paktierten Verkauf ihrer Düngemittelsparte an EuroChem. Das Kaufangebot für den Geschäftsbereich Pflanzennährstoffe, Melamin und technischer Stickstoff wurde somit zurückgewiesen. Borealis werde nun verschiedene Optionen für die Zukunft des Geschäfts prüfen, so Borealis-Chef Thomas Gangl.

Die Düngemittelsparte ist ein wichtiger Bestandteil des Chemiestandorts Oberösterreich. Um Arbeitsplätze und Know-how zu sichern, sei es daher „vordringlich, dass rasch ein anderer strategischer Investor gefunden wird, der sicherstellt, dass die Düngemittelsparte sowie die Produktionsbereiche technische Stickstoffprodukte und Melamin der Borealis am Standort Oberösterreich erhalten bleiben“, so Oberösterreichs Wirtschaftslandesrat Markus Achleitner (ÖVP).

Österreich von russischem Erdgas abhängig

Österreich verbraucht jährlich zirka 8,5 Milliarden Kubikmeter Erdgas, auf OMV und Borealis, die in Linz Melaminharze und Düngemittel herstellen, entfallen rund zehn Prozent davon. Sollten die Erdgaslieferungen unterbrochen werden, würde sich das zunächst negativ auf die heimische Stickstoffdüngerversorgung, etwa Kalkammonsalpeter oder mineralische Mehrnährstoffdünger, auswirken, so die „Finanznachrichten“.

Neben der starken Abhängigkeit werden nicht zuletzt auch wegen Klimaschutzbedenken Forderungen nach Alternativen zum russischen Erdgas lauter. Mehr als die Hälfte der gesamten Lachgasemissionen Österreichs stammt laut dem österreichischen Bundesumweltamt aus landwirtschaftlich genutzten Böden, deren Stickstoffgehalt durch die Aufbringung von Stickstoffdüngern erhöht ist. Lachgas ist etwa 300-mal so schädlich wie CO2.

So fordert etwa der österreichische Kompost & Biogas Verband, die Importabhängigkeit Österreichs zu verringern und das Potenzial organischer Abfälle und Reststoffe der Land- und Forstwirtschaft für die Erzeugung inländischer erneuerbarer Gase stärker auszuschöpfen. Durch diese Nährstoffrückführung könnten bis zu 75 Prozent der nationalen Weizenproduktion mit in Österreich anfallenden organischen Düngern versorgt werden und so ein wesentlicher Beitrag zur Kreislaufwirtschaft beigetragen werden.

EU muss sich Alternativen suchen

In Österreich könnten Betriebe mineralische oder synthetische Düngemittel teilweise durch Stallmist ersetzen. Die EU wird sich jedoch langfristig, wie bei der Energie, alternative Quellen suchen müssen. 40 Prozent der Kaliumimporte der EU stammen beispielsweise aus Russland und Belarus. Alternativen wären Kanada, Israel oder Jordanien – voraussichtlich jedoch zu deutlich höheren Preisen.

Phosphat könnte zudem aus den Produktionsländern China, Marokko und den USA importiert werden. Dass diese Importe den Stickstoffdünger ersetzen können, auf dem die hohen europäischen Ernteerträge beruhen, ist jedoch unwahrscheinlich, sagt die Agraranalystin der Beraterfirma Agritel, Isaure Perrot.

2022 als Jahr der Sojabohne

Laut Perrot werden echte Alternativen wohl erst dann aufgetan, wenn die Krise weiter anhält. Denkbar sei dann auch eine Umorientierung der europäischen Landwirtschaft hin zu Hülsenfrüchten, Sonnenblumen oder Soja – also Pflanzen, die weniger Stickstoff benötigen als Weizen oder Mais.

Die Landwirtschaftskammer OÖ erwartet, dass die Bauern im Bundesland heuer verstärkt auf Hülsenfrüchte setzen werden. „2022 ist das Jahr der Sojabohne“, prognostizierte Pflanzenbaudirektor Helmut Feitzlmayr am Donnerstag in einer Pressekonferenz mit Kammerpräsident Franz Waldenberger. Die Flächenausweitung bei der nicht düngeintensiven Eiweißpflanze um rund 13 Prozent auf 17.500 Hektar werde zulasten von Zuckerrübe und Körnermais gehen, erwarten die beiden.