Ein zerstörter russischer Panzer in der Region Sumy
Reuters/Irina Rybakova/Press Service Of The Ukrainian Ground Forces
Ukraine-Krieg

Tausende russische Soldaten gefallen

Die russische Armee hat im Krieg gegen die Ukraine bisher erhebliche Verluste erlitten, das scheint außer Frage zu stehen. Wie viele Soldaten gefallen sind, ist schwer einzuschätzen. Von verschiedenen Seiten gibt es dazu Angaben, unabhängig überprüfen lassen sie sich nicht. Es sollen aber bereits Tausende sein.

US-Schätzungen gehen laut „New York Times“ davon aus, dass bereits mehr als 7.000 Soldaten aus Russland in der Ukraine getötet wurden. Dabei handle es sich um vorsichtige Schätzungen, andere liegen noch darüber. So sind es ukrainischen Angaben zufolge bisher etwa 13.500 Tote aufseiten Moskaus. Selbst wenn man von der vergleichsweise niedrigeren US-Angabe ausgehe, seien die Zahlen erschreckend, so die „New York Times“.

Die Zahl der Verwundeten und Gefangenen dürfte nach Erfahrungswerten mindestens viermal so hoch sein. Dann wären mindestens 20.000 Mann ausgefallen, vielleicht sogar 30.000 – von derzeit rund 200.000 russischen Soldaten und Separatisten in dem Land. Das US-Verteidigungsministerium schätzte, dass die russischen Streitkräfte gut zehn Prozent ihrer Kampfkraft eingebüßt hätten. In Geheimdienstkreisen heißt es, dass sie das wegstecken könnten.

Ein zerstörter russischer Raketenwerfer in Charkiv
Reuters/Maksim Levin
Zerstörter russischer Raketenwerfer in Charkiw

Kampfmoral der russischen Truppen sinkt

Moskau selbst veröffentlichte Opferzahlen bisher nur zögerlich. Am 2. März gab der Kreml zum ersten und bis dato letzten Mal offizielle Zahlen von Opfern an. Laut russischem Verteidigungsministerium wurden 498 russische Soldaten getötet. Zudem seien 1.597 weitere verletzt worden. Wie die „New York Times“ unter Berufung auf nicht namentlich genannte Beamte schrieb, gehen die geschätzten Zahlen zurück auf Analysen von Medienberichten, Satellitenbildern, Videomaterial sowie Angaben aus Russland und der Ukraine.

Für die Truppen, so hieß es laut „New York Times“ von einem hochrangigen Beamten aus dem Pentagon, könnten die hohen Verluste zum Problem werden. Es gebe Hinweise auf eine nachlassende Kampfmoral. Die Hinweise benannte der Beamte nicht. Als Gründe würden mangelhafte Führung, kaum Informationen über Sinn und Zweck des Einsatzes und der unerwartet heftige Widerstand angenommen. Dabei gehe es allerdings um die Bodentruppen.

Keine Luftüberlegenheit

Das könnte auch eine der Erklärungen sein, warum Russlands Streitmacht außerhalb von Kiew weitgehend ins Stocken geraten ist. Auch nach drei Wochen haben die russischen Invasoren die ukrainische Hauptstadt nicht eingekesselt. Und auch an vielen anderen Orten im Land halten die ukrainischen Streitkräfte der russischen Armee bisher stand. Selbst die Lufthoheit haben die russischen Streitkräfte nach wie vor nicht errungen.

Grafik zur Lage in der Ukraine
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: ISW/liveuamap.com

Ukrainische Kräfte fügen den russischen Truppen nach wie vor Verluste zu. Nach ukrainischen Angaben (Stand 15. März) wurden bisher mehr als 400 russische Panzer sowie fast 1.300 weitere gepanzerte Fahrzeuge zerstört oder erbeutet, außerdem etwa 80 Kampfflugzeuge und 95 Hubschrauber. Das Fluggerät ist zwar nur ein verschwindend geringer Teil des russischen Arsenals. Doch kann es kaum eingesetzt werden, solange die Angreifer keine Luftüberlegenheit haben.

Probleme bei Truppenversorgung

Nach Einschätzung der britischen Geheimdienste hat Moskau Probleme, die eigenen Truppen mit Lebensmitteln und Benzin zu versorgen. Dass Russland keine Kontrolle über den Luftraum habe und sich kaum über unbefestigtes Gelände bewege, verhindere, dass die russische Armee effektiv mit dem Nötigsten versorgt werden könne, hieß es am Freitag in einem Geheimdienst-Update des britischen Verteidigungsministeriums.

Zerstörte russische Militärfahrzeuge in Borodyanka
Reuters/Maksim Levin
Ausgebrannte russische Militärfahrzeuge in Borodyanka

Die Gegenangriffe ukrainischer Kräfte zwängen Russland dazu, viele Soldaten dafür einzusetzen, ihre eigenen Versorgungswege zu verteidigen. Das schwäche die russische Kampfkraft deutlich, hieß es. In den vergangenen Tagen hat Russland seine Luftangriffe in der Ukraine zunehmend verschärft. Damit, so hieß es aus dem Pentagon, könnte Russlands Präsident Wladimir Putin versuchen, die schlechte Leistung seines Militärs auf dem Boden auszugleichen.

Schwenk auf Plan B

Die ursprünglichen Kriegsziele seien durch die ukrainischen Kräfte rasch unterbunden worden, sagte der Strategieexperte des österreichischen Bundesheeres, Philipp Eder, am Freitag im Ö1-Mittagsjournal. „Jetzt wird auf Plan B umgeschaltet.“ Das sei, im Raum Kiew, im Osten und auch im Süden so viel wie möglich an Gelände zu gewinnen, um hier eine Ausgangsbasis für weitere Kriegshandlungen oder für Verhandlungen zu schaffen.

„Die Masse des Landes ist nach wie vor unbestritten nicht in russischer Hand“, so Eder. Die russische Armee sei nach wie vor schlagkräftig, sie müsse nun aber umplanen, „um einen Abnützungskrieg erfolgreich führen zu können“. Auf dem Gefechtsfeld passiere derzeit sehr viel, und es werde blutig gekämpft. Solange keine Zielsetzung erreicht ist, ist Putin nach Eders Einschätzung auch nicht zu Friedensgesprächen bereit. „Das wird noch ein langer Prozess werden.“

Kiew hält sich bedeckt

Wobei über ukrainische Verluste und Truppenstärken viel weniger bekannt ist als über russische. Die ukrainische Armee hatte sich bisher bei Angaben zu Verlusten in den eigenen Reihen bedeckt gehalten und lediglich die Zahl angeblich getöteter russischer Soldaten genannt. Zuletzt gab der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenski die Zahl der in den eigenen Reihen getöteten Soldaten mit 1.300 an. Der britische Geheimdienst schätzt die Zahl auf 3.000.

Russischen Angaben zufolge wurden bisher rund 3.700 „militärische Ziele“ zerstört, über 1.000 ukrainische Kampffahrzeuge (darunter Panzer), 800 weitere Fahrzeuge, 100 Kampfflugzeuge und 57 Hubschrauber ausgeschaltet. Hinzu kämen Hunderte Drohnen und Raketenwerfer.

Viele zivile Opfer

Das UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte in Genf dokumentierte am Freitag den Tod von 816 Zivilpersonen seit dem Einmarsch russischer Truppen. Dem Büro lagen zudem verifizierte Informationen über 1.333 Verletzte vor. Die meisten Opfer seien wegen schweren Artillerie- und Raketenbeschusses zu beklagen gewesen. UNO-Funktionäre gehen aber von einer weit höheren Opferzahl in der Ukraine aus. Hintergrund sei, dass Informationen mit Verzögerung eingingen und viele Berichte noch bestätigt werden müssten.

Reste eines russischen Kampffliegers in Chernohov
Reuters/Ukraine State Emergency Service
Reste eines abgeschossenen russischen Kampfjets in Tschernihiw

Nach Angaben aus der Ukraine liegt die Zahl der getöteten Zivilisten deutlich höher. Allein in der belagerten südostukrainischen Hafenstadt Mariupol sind ukrainischen Angaben zufolge bisher weit mehr als 2.000 Zivilisten getötet worden. Angaben des UNO-Nothilfebüros (OCHA) zufolge hätten Hunderttausende Menschen zudem durch Kriegsschäden keinen Zugang mehr zu Strom oder Wasser. Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) warnte davor, dass die Lieferkette bei Lebensmitteln zusammenbreche. Zahlreiche Infrastrukturen seien zerstört, Geschäfte und Lagerhäuser leer.

Laut dem UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) flüchteten seit Kriegsbeginn drei Millionen Menschen aus der Ukraine, die meisten – rund zwei Millionen – ins Nachbarland Polen. Die Gesamtzahl der Geflüchteten belief sich laut UNHCR auf 3,27 Millionen Menschen. Die Vereinten Nationen zählten außerdem rund zwei Millionen Binnenvertriebene. Nach Österreich kamen bisher 164.000 Menschen aus der Ukraine. Mehr als 80 Prozent reisten weiter, registriert wurden bisher 9.000 Menschen, 30.000 dürften bleiben.