Eurocorps vor dem Europäischen Parlament
Reuters/Jean-Marc Loos
„Strategischer Kompass“

Grünes Licht für neue EU-Militärstrategie

Am Montag sind die EU-Außen- und -Verteidigungsminister in Brüssel zu einem Treffen zusammengekommen, um einmal mehr über die Folgen des Ukraine-Krieges zu beraten. Neben verstärkten Waffenlieferungen für die Ukraine gaben die Ministerinnen und Minister auch grünes Licht für den „Strategischen Kompass“. Jene Militärstrategie, mit der sich die EU bei Sicherheit und Verteidigung neu aufstellen will – inklusive eigener militärischer EU-Eingreiftruppe.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sprach Montagabend von einem Wendepunkt in der europäischen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. Der „Strategische Kompass“ sei „ein starkes Signal der Einheit und Entschlossenheit“ und komme nach zwei Jahren Arbeit „zu einem ganz wichtigen Zeitpunkt“. Nun brauche es nicht nur eine verbesserte Koordination zwischen den Mitgliedsstaaten, sondern auch höhere Verteidigungsausgaben. Die derzeitigen 1,5 Prozent des BIP seien nicht ausreichend, so Borrell.

Was die Eingreifgruppe betreffe, so handle es sich nicht um die Schaffung einer europäischen Armee, sondern um eine verbesserte Zusammenarbeit der nationalen Streitkräfte. Die Kriseninterventionstruppe soll bis 2025 einsatzfähig sein und bis zu 5.000 Soldatinnen und Soldaten aus den Mitgliedsländern umfassen. Zur neuen Truppe sollen laut Borrell je nach Bedarf neben Bodentruppen auch Luft- und Seestreitkräfte gehören.

Eingreiftruppe „militärisches Herzstück“

Die deutsche Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) bezeichnete die Einsatztruppe als „militärisches Herzstück“ der neuen Militärstrategie. Im ersten Jahr will Deutschland die 5.000 Soldaten der Truppe stellen.

Wo genau die Truppe eingesetzt werden soll, ist noch nicht festgelegt. Unterschiedliche Einsatzszenarien könnten beispielsweise das Eingreifen in einen bewaffneten Konflikt, die Evakuierung von Menschen und das Sichern eines Flughafens sein.

Die Soldaten müssten Borrells Worten zufolge jedenfalls „für Krisensituationen“ ausgerüstet und mobilisiert werden können. Dafür werde es auch gemeinsame Truppenübungen geben. All das verstehe sich jedoch nur als Ergänzung zur NATO, diese bleibe „sicherlich der Eckstein der territorialen Verteidigung Europas“, so Borrell.

Die österreichische Verteidigungsministerin Klaudia Tanner mit ihrer deutschen Amtskollegin Christine Lambrecht und dem kroatischen Verteidigungsminister Gordan Grlic-Radman
APA/AFP/Kenzo Tribouillard
„Selbstverständlich sind wir dabei“, antwortete Tanner auf die Frage nach einer österreichischen Beteiligung bei der Eingreiftruppe

Auch Österreich Teil der Eingreiftruppe

Auch Österreich schließe sich dieser Eingreiftruppe an, der Neutralitätsstatus sei hier nicht im Weg, so Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP). Dabei verwies sie auch auf die Teilnahme an den bisher nie eingesetzten Battlegroups. Angesichts dieser „herausfordernden Situation“ gelte es, nun schneller zu werden und sich „robuster“ aufzustellen.

EU-Battlegroup

Das bisherige EU-Battlegroup-Konzept sieht vor, dass ständig zwei Einheiten mit im Kern jeweils rund 1.500 Soldaten bereitgehalten werden, die alle sechs Monate wechselnd von unterschiedlichen EU-Staaten zur Verfügung gestellt werden. Zuletzt hatte es allerdings immer wieder Probleme gegeben, genügend Truppen zusammenzubekommen.

Beim „Strategischen Kompass“ hätten auch viele Anregungen Österreichs Eingang gefunden, so die Verteidigungsministerin mit Blick auf den Westbalkan und die Zusammenarbeit mit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

„Wichtiger Schritt“

Der Erste Vizepräsident des EU-Parlaments Othmar Karas (ÖVP) schrieb auf Twitter: „Putins Angriffskrieg auf die Ukraine zeigt mehr denn je, dass wir eine gemeinsame Außen-, Sicherheits- & Verteidigungspolitik brauchen. Mit dem sicherheitspolitischen Konzept der EU, inklusive neuer gemeinsamer Eingreiftruppe, kommen wir diesem Ziel einen kleinen Schritt näher.“

NEOS-Europaabgeordnete Claudia Gamon sprach von einem „wichtigen ersten Schritt“ und einem „deutlich erkennbaren Willen der Mitgliedsstaaten für die Stärkung einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik“ und forderte einen europäischen Außenminister und ein gemeinsames EU-Berufsheer mit aktiver österreichischer Beteiligung.

Die Delegationsleiterin der Grünen im Europaparlament, Monika Vana, begrüßte zwar, dass der „Strategische Kompass“ einen weit gefassten Begriff der Sicherheit enthalte und Klimaschutz, Menschen- und Frauenrechte einbeziehe, kritisierte zugleich aber die Entwicklung der EU zu einer „Militärunion.“

„Teil der Antwort“ auf Ukraine-Krieg

Der erste Entwurf des „Strategischen Kompasses“ wurde den EU-Außenministerinnen und -ministern bereits Mitte November vorgelegt und geht auf eine deutsche Initiative zurück. Das Strategiepapier enthält eine Analyse der Bedrohungen und legt fest, welche Fähigkeiten die EU im Bereich des Krisenmanagements künftig haben muss. Dabei sollen Leitlinien der EU-Verteidigungs- und Sicherheitspolitik für die nächsten zehn Jahre festlegt werden. Es soll „eine gemeinsame strategische Vision für die Sicherheit und Verteidigung der EU für die nächsten fünf bis zehn Jahre darlegen“, wie Euractiv aus dem 41-seitigen Dokument zitiert.

Bereits im November, also gut zwei Monate vor der Invasion, sei Russland auf der Liste regionaler Bedrohungen ganz oben gestanden, nun habe die EU ihre strategische Ausrichtung an die veränderte geopolitische Lage angepasst, so Borrell.

So wird in der jüngsten Version deutlicher gemacht, dass sich die EU auch mit nuklearen Bedrohungen auseinandersetzen muss. Ein Satz, der die Zusammenarbeit mit Moskau in ausgewählten Themenbereichen ermöglichen sollte, wurde hingegen ersatzlos gestrichen. „Es ist nicht die Antwort auf den Ukraine-Krieg, aber Teil der Antwort“, sagte Borrell. Man müsse sich jetzt Gedanken über die europäische Fähigkeit machen, mit Herausforderungen wie einem Krieg umzugehen.

Gemeinsame Beschaffung von Verteidigungsfähigkeiten

Konkret heißt es in dem Dokument: „Das zunehmend feindselige Sicherheitsumfeld erfordert von uns einen Quantensprung nach vorne und die Steigerung unserer Handlungsfähigkeit und -bereitschaft." Und: Man sei entschlossen, die europäische Sicherheitsordnung zu verteidigen. Das impliziere neben der Eingreiftruppe etwa eine stärkere sicherheitspolitische Unterstützung der östlichen Nachbarländer sowie gemeinsame Beschaffungen von Verteidigungsfähigkeiten.

EU bekommt militärische Eingreiftruppe

ORF-Korrespondentin Raffaela Schaidreiter berichtete aus Brüssel und über das Treffen der Außen- und Verteidigungsminister. Die EU bekommt eine neue militärische Eingreiftruppe.

Im nächsten Schritt geht das Konzept an die Staats- und Regierungschefs. Diese könnten die neue Strategie beim EU-Gipfel zum Ukraine-Krieg am Donnerstag und Freitag in Brüssel beschließen. Zu dem Treffen von EU, NATO und G7 am Donnerstag wird auch US-Präsident Joe Biden erwartet.

Weitere 500 Millionen Euro für Waffenlieferungen

Neben der Schaffung der Eingreiftruppe will die EU auch die Militärhilfe für Ukraine aufstocken. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock sagte vor dem Treffen, die EU werde das Volumen für Waffenlieferungen an die Ukraine auf eine Milliarde Euro verdoppeln. Borrell bestätigte das am Abend. Österreich ermöglicht den Beschluss, indem es sich konstruktiv enthält.

Euractiv schreibt hierbei von einem „radikalen Paradigmenwechsel“ in Sachen Verteidigung. Da Verträge es der EU verbieten, ihren regulären Mehrjahreshaushalt zur Finanzierung von Operationen einzusetzen, „die militärische oder verteidigungspolitische Auswirkungen haben“, würden die Waffenlieferungen nun über ein außerbudgetäres Finanzierungsinstrument, nämlich die Europäische Friedensfazilität (EPF), laufen. Mit der Verabschiedung des „Strategischen Kompasses“ einigen sich die EU-Länder auf eine stärkere Nutzung dieses Fonds.

„Das ist nur der Anfang“

Laut Borrell ist das Konzept des „Strategische Kompasses“ aber nur der Anfang, nun gehe es um die konkrete Umsetzung. „Wir sind kein Militärbündnis, keine Militärunion. Aber wir möchten eine Rolle spielen, damit die EU-Bürgerinnen und -Bürger mehr Sicherheit bekommen.“

Man sei mit vielen Gefahren und Herausforderungen konfrontiert, „unsere Nachbarschaft steht in Flammen, wir müssen uns diesen (Herausforderungen, Anm.) stellen“, so Borrell. Und das könne nur durch eine gemeinsame und gesamteuropäische Verteidigungs- und Sicherheitspolitik gelingen.