US-Präsident Joe Biden
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„Regimewechsel“

Schadensbegrenzung nach Biden-Rede läuft

„For God’s sake, this man cannot remain in power.“ („Um Gottes willen, dieser Mann kann nicht an der Macht bleiben.“): Der letzte Satz in US-Präsident Joe Bidens Ukraine-Rede in Warschau von Samstag schlägt auch zwei Tage später noch hohe Wellen. Dass Biden laut Berichten den Satz offenbar spontan ergänzt hat und sein eigenes Team im Nachhinein klarstellen musste, dass die USA keinen aktiven Regimewechsel planen, sorgt für Irritation. Für den Kreml sei der Satz eine Steilvorlage für Propaganda, so Beobachter.

Russland äußerte am Montag angesichts von Bidens Statement „Grund zur Sorge“. Man werde die Äußerungen des US-Präsidenten weiter genau verfolgen, sagte Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow knapp. Am Samstag hatte er mitgeteilt, nicht die USA würden über den russischen Präsidenten entscheiden, sondern das russische Volk. Neben Bidens Team von US-Außenminister Anthony Blinken abwärts war offenbar zuletzt auch der Präsident selbst um Schadensbegrenzung bemüht. Am Sonntagabend verneinte Biden die explizite Nachfrage einer US-Reporterin, ob er einen Regimewechsel gefordert habe.

Doch die Worte sind nun in der Welt und überschatten den Rest der 27-minütigen Rede, in der Biden die Notwendigkeit der Verteidigung westlicher Werte und der Demokratie ins Zentrum stellte. Manche Beobachter messen den Worten jetzt schon historischen Charakter zu – Politico etwa ortete die „aggressivste Rede eines amerikanischen Präsidenten über Russland seit Ronald Reagan auf der Höhe des Kalten Kriegs“.

Biden: Habe keinen Machtwechsel gefordert

US-Präsident Joe Biden hat dementiert, dass er bei seiner Rede zum Ukraine-Krieg in Warschau den Sturz des russischen Präsidenten Wladimir Putin gefordert habe.

Andeutung mit Folgen

Dabei hatte der 79-jährige US-Präsident bereits in den vergangenen Wochen an der rhetorischen Eskalationsschraube gedreht. Er bezeichnete den russischen Präsidenten unter anderem als „Schlächter“ und „Kriegsverbrecher“, hielt sich grundsätzlich aber an die Linie, dass derzeit Sanktionen, diplomatische Mittel und die Vermeidung einer Ausweitung militärischer Aktivität – insbesondere eine Involvierung der NATO – oberste Prämisse seien.

Doch mit den letzten Worten seiner Warschau-Rede erweckte Biden – vor entsprechenden Dementi aus dem eigenen Haus – kurz den Eindruck, die USA könnten eine neue, äußerst komplizierte und gefährliche Phase des Konflikts einläuten wollen. Ungeachtet der Tatsache, dass Putins Zukunft zweifelsohne eine zentrale politische Frage ist: Die Implikationen, die sich daraus für den weiteren Verlauf des Krieges ergeben hätten, wären weitreichend gewesen.

Berichte: Von Redemanuskript abgewichen

Umso pikanter daran ist, dass Biden übereinstimmenden Medienberichten zufolge den Satz spontan geäußert hat. Biden sei von seinem offiziellen Redeskript abgewichen. Daher rückte kurz nach der Rede Bidens Team aus, um klarzustellen, dass die USA keinen Regimewechsel in Russland anstreben. Die Krux: Missverständliche Statements und sehr freihändig beantwortete Journalistenfragen haben in der jahrzehntelangen politischen Karriere des US-Demokraten immer wieder Staub aufgewirbelt.

US-Präsident Joe Biden
Reuters/Evelyn Hockstein
Biden bei der symbolisch aufgeladenen Rede

Allein in der Ukraine-Krise sorgte Biden in dieser Hinsicht mehrfach für Irritation. So etwa die Andeutung, dass ein „geringfügiges Eindringen“ („minor incursion“) Russlands in die Ukraine nicht so folgenschwer sei. Erst kürzlich warnte Biden bei einem NATO-Treffen Russland vor dem Einsatz von Chemiewaffen. „Die Art der Antwort“ der NATO werde „von der Art des Einsatzes abhängen“. Im Nachhinein musste Sicherheitsberater Jack Sullivan angesichts der offen formulierten Antwort in einer Pressekonferenz klarstellen, dass die NATO bei einem Chemiewaffeneinsatz keinesfalls mit gleichen Mitteln antworten werde.

Verbündete kalt erwischt

Dass der US-Präsident immer wieder auf diese Art aus den eigenen Reihen korrigiert werden muss, dürfte den Verbündeten nicht entgegenkommen. Und: Angesichts der heiklen Lage sei klare Kommunikation und Einigkeit innerhalb des Westens zentral, so der Grundtenor in der Presse. Dass Biden die europäischen Bündnispartner mit seinem Schlusssatz kalt erwischt hat, deutete etwa die Reaktion des französischen Präsidenten Emmanuel Macron an. Er distanzierte sich von Bidens Worten und betonte, dass eine Eskalation der Worte im Konflikt zu vermeiden sei.

Klar ist: Mit dem Thema „Regimewechsel“ hat Biden schon allein aus historischer Perspektive schwieriges Terrain betreten. Beobachter kommentierten, dass die Aussage leicht als Steilvorlage für russische Propaganda dienen könnte – immerhin versuchte Russland von Anfang an, den Angriff auf die Ukraine als Selbstverteidigung darzustellen. Bidens Ansage könnte nun als neuer Aufhänger für weitere Aggressionen und als permanente Rechtfertigung hinhalten. Es werde dadurch noch schwieriger, mit Putin zu verhandeln, so das „Wall Street Journal“.