Joe Biden
AP/Patrick Semansky
„Mir ist egal, was er denkt“

Biden legt gegen Putin nach

„Ich nehme nichts zurück“: US-Präsident Joe Biden steht zu seinen umstrittenen Bemerkungen über den russischen Staatschef Wladimir Putin. „Ich habe die moralische Empörung zum Ausdruck gebracht, die ich gefühlt habe, und ich entschuldige mich nicht.“ Auf die Frage, ob die Bemerkung eine negative Reaktion von Putin hervorrufen könne, sagt Biden: „Mir ist egal, was er denkt. Er wird tun, was er tun wird.“

„Solche Menschen sollten keine Länder regieren, aber sie tun es. Die Tatsache, dass sie es tun, bedeutet aber nicht, dass ich meine Empörung darüber nicht zum Ausdruck bringen kann“, wie Biden Agenturberichten zufolge am Montag gegenüber Journalisten in Washington noch sagte. Damit sei aber kein Politikwechsel der USA und kein Aufruf zum Machtwechsel im Kreml verbunden. Niemand glaube, dass er davon gesprochen habe, Putin zu Fall zu bringen.

Biden hatte Putin am Samstagabend bei einer Rede in Warschau einen „Diktator“ genannt und mit den Worten geschlossen: „Um Gottes willen, dieser Mann kann nicht an der Macht bleiben.“ Das Weiße Haus teilte danach umgehend mit, das sei kein Aufruf zum Sturz Putins. Bidens Aussage löste in Russland Empörung aus. Der US-Präsident hatte bereits am Sonntag dementiert, dass er damit einen Machtwechsel gefordert habe.

„Entschuldige mich nicht“

Biden betonte am Montag: „Ich habe meine moralische Empörung zum Ausdruck gebracht, und ich entschuldige mich nicht für meine persönlichen Gefühle.“ Er verwies auf die „Brutalität“ Putins beim Angriffskrieg gegen die Ukraine und sagte: „Er sollte nicht an der Macht bleiben.“

Auf die Frage, ob er besorgt sei über eine mögliche Eskalation durch seine Aussage, antwortete Biden: „Nein, bin ich nicht. Überhaupt nicht.“ Der US-Präsident wurde auch gefragt, ob er bereit sei, Putin ein weiteres Mal zu treffen. Biden erwiderte, das hänge davon ab, worüber der russische Präsident sprechen wolle.

Für Russland „Grund zur Sorge“

Russland äußerte am Montag angesichts von Bidens Warschau-Statement „Grund zur Sorge“. Man werde die Äußerungen des US-Präsidenten weiter genau verfolgen, sagte Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow knapp. Am Samstag hatte er mitgeteilt, nicht die USA würden über den russischen Präsidenten entscheiden, sondern das russische Volk.

Dass Bidens Worte den Rest der 27-minütigen Rede überschatten, in der Biden die Notwendigkeit der Verteidigung westlicher Werte und der Demokratie ins Zentrum stellte, steht auch für Beobachter indes außer Frage. Manche messen den Worten jetzt schon historischen Charakter zu – Politico etwa ortete die „aggressivste Rede eines amerikanischen Präsidenten über Russland seit Ronald Reagan auf der Höhe des Kalten Kriegs“.

Biden: Habe keinen Machtwechsel gefordert

US-Präsident Joe Biden hat dementiert, dass er bei seiner Rede zum Ukraine-Krieg in Warschau den Sturz des russischen Präsidenten Wladimir Putin gefordert habe.

Andeutung mit Folgen

Dabei hatte der 79-jährige US-Präsident bereits in den vergangenen Wochen an der rhetorischen Eskalationsschraube gedreht. Er bezeichnete den russischen Präsidenten unter anderem als „Schlächter“ und „Kriegsverbrecher“, hielt sich grundsätzlich aber an die Linie, dass derzeit Sanktionen, diplomatische Mittel und die Vermeidung einer Ausweitung militärischer Aktivität – insbesondere eine Involvierung der NATO – oberste Prämisse seien.

Doch mit den letzten Worten seiner Warschau-Rede erweckte Biden – vor entsprechenden Dementi aus dem eigenen Haus – kurz den Eindruck, die USA könnten eine neue, äußerst komplizierte und gefährliche Phase des Konflikts einläuten wollen. Ungeachtet der Tatsache, dass Putins Zukunft zweifelsohne eine zentrale politische Frage ist: Die Implikationen, die sich daraus für den weiteren Verlauf des Krieges ergeben hätten, wären weitreichend gewesen.

Berichte: Von Redemanuskript abgewichen

Umso pikanter daran ist, dass Biden übereinstimmenden Medienberichten zufolge den Satz spontan geäußert hat. Biden sei von seinem offiziellen Redeskript abgewichen. Daher rückte kurz nach der Rede Bidens Team aus, um klarzustellen, dass die USA keinen Regimewechsel in Russland anstreben. Die Krux: Missverständliche Statements und sehr freihändig beantwortete Journalistenfragen haben in der jahrzehntelangen politischen Karriere des US-Demokraten immer wieder Staub aufgewirbelt.

US-Präsident Joe Biden
Reuters/Evelyn Hockstein
Biden bei der symbolisch aufgeladenen Rede

Allein in der Ukraine-Krise sorgte Biden in dieser Hinsicht mehrfach für Irritation, so etwa die Andeutung, dass ein „geringfügiges Eindringen“ („minor incursion“) Russlands in die Ukraine nicht so folgenschwer sei. Erst kürzlich warnte Biden bei einem NATO-Treffen Russland vor dem Einsatz von Chemiewaffen. „Die Art der Antwort“ der NATO werde „von der Art des Einsatzes abhängen“. Im Nachhinein musste Sicherheitsberater Jack Sullivan angesichts der offen formulierten Antwort in einer Pressekonferenz klarstellen, dass die NATO bei einem Chemiewaffeneinsatz keinesfalls mit gleichen Mitteln antworten werde.

Verbündete kalt erwischt

Dass der US-Präsident immer wieder auf diese Art aus den eigenen Reihen korrigiert werden muss, dürfte den Verbündeten nicht entgegenkommen. Und: Angesichts der heiklen Lage sei klare Kommunikation und Einigkeit innerhalb des Westens zentral, so der Grundtenor in der Presse. Dass Biden die europäischen Bündnispartner mit seinem Schlusssatz kalt erwischt hat, deutete etwa die Reaktion des französischen Präsidenten Emmanuel Macron an. Er distanzierte sich von Bidens Worten und betonte, dass eine Eskalation der Worte im Konflikt zu vermeiden sei.

Klar ist: Mit dem Thema „Regimewechsel“ hat Biden schon allein aus historischer Perspektive schwieriges Terrain betreten. Beobachter kommentierten, dass die Aussage leicht als Steilvorlage für russische Propaganda dienen könnte – immerhin versuchte Russland von Anfang an, den Angriff auf die Ukraine als Selbstverteidigung darzustellen. Bidens Ansage könnte nun als neuer Aufhänger für weitere Aggressionen und als permanente Rechtfertigung hinhalten. Es werde dadurch noch schwieriger, mit Putin zu verhandeln, so das „Wall Street Journal“.