Chinesische und russische Fahnen
Reuters/Florence Lo
Freund oder Feind?

Europa will Druck auf China erhöhen

Die russische Invasion in die Ukraine hat den Westen zweifellos näher zusammenrücken lassen. China versteckt sich unterdessen noch unter dem Deckmantel vermeintlicher Neutralität. Beim virtuellen EU-China-Gipfel am Freitag dürfte Europa den Druck noch einmal erhöhen und China auffordern, Stellung zu beziehen. Auf dem Spiel steht nichts Geringeres als die Weltordnung, so der Asienexperte Dharmendra Kanani gegenüber ORF.at.

Bereits beim letzten EU-Gipfel wie auch beim NATO- und G-7-Treffen stand die Rolle Chinas im Ukraine-Krieg auf der Agenda. Peking könne eine Schlüsselrolle spielen, die chinesische Führung müsse sich nun dem Rest der Welt anschließen und den Einmarsch klar verurteilen, so der Tenor. China verweigert bisher, sich von Russland zu distanzieren, und gibt sich neutral.

So sagte etwa der chinesische Außenminister Wang Yi in einem Vorbereitungsgespräch mit dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell zum Gipfel: „In der Frage von Krieg und Frieden stehen wir auf der Seite des Friedens. Zwischen einseitigen Sanktionen und Dialog sowie Verhandlung stehen wir auf der Seite des Dialogs.“ Es sei klar, dass die Mentalität des Kalten Krieges und die Konfrontation zwischen den Lagern in Europa nicht funktioniert hätten. Demzufolge sei es nicht zielführend, sich auf eine Seite zu stellen und die Welt so zu teilen.

Videokonferenz europäischer Staatschefs
APA/AFP/Olivier Hoslet
Geht es nach der EU, ist der Ukraine-Krieg „die Millionen-Dollar-Frage“, China hält sich jedoch bedeckt

Kein Interesse an Gesprächen über Ukraine

Folglich ist China beim virtuellen Gipfel „nicht daran interessiert, zu viel über die Ukraine zu reden“, zitierte Politico EU-Diplomaten. Für die EU sei das jedoch das Hauptthema. Ein hochrangiger EU-Beamter nannte den Ukraine-Krieg die „Millionen-Dollar-Frage, die im Raum steht“.

Borrell habe Politico zufolge das Vorbereitungsgespräch mit dem chinesischen Außenminister als „sehr schwierig“ bezeichnet. Was etwa die Gefahr betreffe, die von Russland ausgehe, gebe es stark unterschiedliche Wahrnehmungen. Während die EU diese als hoch einschätze, spricht China beim Ukraine-Krieg nach wie vor von einem Konflikt.

Schwierige Beziehungen

Die Beziehungen zwischen der EU und China seien derzeit mit einigen Problemen konfrontiert, aber die EU sei nach wie vor entschlossen, die bilateralen Beziehungen zu verbessern und aufzuwerten, sagte Borrell gegenüber Wang laut „Global Times“.

Auch laut einem EU-Beamten seien die Beziehungen zu China bereits in der Vergangenheit „zunehmend schwierig“ gewesen. So hatte die EU vergangenes Jahr wegen Menschenrechtsverstößen gegen die muslimische Minderheit der Uiguren etwa Sanktionen gegen China verhängt. Als Reaktion auf die EU-Sanktionen belegte Peking seinerseits EU-Politiker und Wissenschaftler mit Sanktionen, was zum Einfrieren eines geplanten umfassendes wirtschaftlichen Investitionsabkommens zwischen EU und China führte. Der Ukraine-Krieg habe diese Beziehungen noch einmal verschärft, so der Tenor in Brüssel.

Verhandlung zwischen China und den USA in Rom
AP/Xinhua/Jin Mamengni
Der Osten gegen den Westen? Experte Kanani sieht im Ukraine-Krieg einen Kipppunkt im Wettlauf um die globale Vorherrschaft

Experte: Wettlauf um globale Vorherrschaft

Kanani, Direktor der Bereiche Asien, Frieden, Sicherheit und Verteidigung bei der Brüsseler Denkfabrik „Friends of Europe“, sieht im Gespräch mit ORF.at im Ukraine-Krieg einen Kipppunkt im Wettlauf der westlichen und östlichen Weltmächte um die globale Vorherrschaft. Sowohl der EU als auch China komme dabei eine bedeutende Rolle zu.

Hierbei müssten sich beide Seiten die Frage stellen: „Wollen sie wirklich die Uhr zurückdrehen?“ Denn: „Wir dürfen nicht vergessen, dass das, was auf dem Spiel steht, nicht nur eine Handelsbeziehung ist. Es geht um den globalen Frieden und eine neue Art der Weltordnung vor uns.“ Eine Weltordnung, die zumindest die vergangenen 80 Jahre Sicherheit und Stabilität garantiert habe.

Europa müsse China davon überzeugen, als Friedenspartei aufzutreten – „zum Nutzen beider Volkswirtschaften, aber auch für die globale Stabilität“, so Kanani. Dafür bedürfe es eines mutigen und offenen Dialoges. Die Chancen, dass das gelinge, seien allerdings „nicht sehr hoch“, gibt Kanani zu bedenken.

Beziehungen „konfliktreich wie seit Langem nicht“

Denn: „Die EU-China-Beziehungen sind schwierig und konfliktreich wie seit Langem nicht“, meinte auch der China-Experte der EU-Grünen, Reinhard Bütikofer, in einem Hintergrundgespräch gegenüber Journalistinnen und Journalisten. Bereits in der Vergangenheit habe China versucht, die rote Linie des Möglichen immer weiter zum eigenen Vorteil zu verschieben, sagte Bütikofer und verwies etwa auf Chinas Position zu Hongkong und Taiwan. Auch gegenseitige EU-China-Sanktionen hätten die Beziehungen auf eine harte Probe gestellt. Bütikofer selbst steht auf der Sanktionsliste Chinas.

Spätestens aber mit der gemeinsamen Erklärung des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jingping zur stärkeren Zusammenarbeit von Anfang Februar sei jener Punkt erreicht worden, ab dem es kein Zurück mehr gebe: Putin und Xi hätten einen „Pakt für eine neue Weltordnung geschlossen, in denen autoritäre Mächte dominieren“. China habe damit ebenso klargemacht, dass der Grad der Souveränität, den Länder für sich beanspruchen könne, lediglich davon abhänge, wie stark ihr Nachbar sei, so Bütikofer.

China auf Russland Seite, „will aber nicht erwischt werden“

Auch im Fall der Ukraine habe China „nicht ein einziges Mal gesagt, dass das Prinzip der nationalen Souveränität angewandt werden muss“. Das zeige: „Sie sind auf der Seite Russlands, aber sie wollen nicht erwischt werden“, sagte Bütikofer. Schließlich sei China nicht bereit, den „hohen Preis“ für diese Allianz zu zahlen: „Sie können es sich nicht leisten, ihre Wirtschaftsbeziehungen mit der EU und den USA ganz zu verlieren, und versuchen daher, sich in Unklarheiten zu verstecken.“ Gerade im Handel ist China stark auf Kooperationen mit dem Westen angewiesen. Laut Brüssel macht die EU 14 Prozent des chinesischen Handelsvolumens aus, die USA 12,5 Prozent. Zum Vergleich: Russland liegt bei 2,4 Prozent.

Die EU müsse Kooperationen, dort wo es möglich sei, zwar weiterführen, dürfe aber nicht blauäugig sein, appellierte Bütikofer. Es sei „nicht realistisch“, China von der Seite Russland abzuziehen, schließlich sei es im Interesse Chinas, dass der Krieg weitergehe, weil er den Westen schwäche, so die Argumentation. Nun liege es an den EU-Spitzen, China den Zusammenhalt Europas aufzuzeigen und zu verdeutlichen, dass es für China besser wäre, Russland nicht zu unterstützen, und weitere Schritte sehr wohl Folgen mit sich ziehen würden.

China als „sicherheitspolitische Herausforderung“

Strafen, etwa in Form von Sanktionen, seien etwa gerechtfertigt, „wenn es Beweise dafür gibt, dass China russische Militäraktionen unterstützt“. Für Bütikofer ist klar: „Die Zukunft der Beziehungen zwischen der EU und China hängt von ihrer Positionierung in diesem Konflikt ab.“

Ähnlich äußerte sich Daniel Caspary (CDU), der die deutsche Delegation im Europaparlament leitet. „China muss endlich klar benennen, auf welcher Seite es im Ukraine-Krieg steht. Die ‚grenzenlose Freundschaft‘ zwischen Xi Jinping und Wladimir Putin ist besorgniserregend."

Europa dürfe China nicht nur als Handelspartner, sondern müsse es auch als sicherheitspolitische Herausforderung sehen. „Dazu gehört, den Chinesen klarzumachen, dass ihr Handeln im Ukraine-Konflikt einen Preis hat. Hilfe zur Umgehung von Sanktionen oder gar militärische Unterstützung für Russland werden Peking teuer zu stehen kommen.“

Moskau und Peking bekräftigen enge Partnerschaft

Doch die Zeichen, dass Russland und China enger aneinanderrücken, mehren sich. So hieß Wang seinen russischen Amtskollegen, den Außenminister Sergej Lawrow, am Mittwoch zu einem persönlichen Treffen als „alten Freund“ willkommen.

Beide Seiten betonten die hohe Qualität der Beziehungen und den Wunsch nach einem Ausbau ihrer strategischen Partnerschaft. Abschließend sagte Lawrow: „Wir werden uns gemeinsam mit Ihnen und anderen Gleichgesinnten auf eine multipolare, gerechte und demokratische Weltordnung zubewegen.“

Abstimmung im UN-Sicherheitsrat
AP/John Minchillo
Peking gilt als enger Verbündeter Moskaus

Appelle für Ende der „Neutralität“

Auch vor dem Hintergrund des Gesprächs zwischen Yi und Lawrow meinte Asienexperte Kanani, dass die neutrale Postion der chinesischen Führung zunehmend „unglaubwürdig“ und „unhaltbar“ sei. China müsse bewusst sein, dass sein Schweigen die Art und Weise, wie es in Europa und weltweit wahrgenommen werde, präge. „Unabhängig davon, wie billig seine Lieferketten sind und wie groß die wirtschaftliche Entwicklung ist, die Menschen werden sich (von China, Anm.) abwenden.“ Und in einer Situation wie dieser „gibt es keine neutrale Position. Als stiller Beobachter bist du ein Komplize“, so Kanani.

Was den chinesischen Neutralitätsanspruch betrifft, verwiesen EU-Beamte im Vorfeld des Gipfels auf die Tatsache, dass China Russland derzeit weder bei der Umgehung von Sanktionen noch bei militärischen Operationen unterstütze. Anliegen der EU sei es aber, dass Chinas Position hier nicht in die falsche Richtung kippe. Zudem müsse China „aus der passiven Neutralität herauskommen“ und etwa zu möglichen Sanktionen gegen Russland Stellung beziehen.

Erfolg, „wenn keine Menschen mehr getötet werden“

Statt der 27 Staats- und Regierungsspitzen werden beim virtuellen Gipfel nur Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Ratspräsident Charles Michel, der französische Präsident Emmanuel Macron und EU-Außenbeauftragter Borrell anwesend sein. Für China nehmen Premierminister Li Keqiang und der Präsident Xi teil.

Eine gemeinsame Abschlusserklärung ist nicht geplant. Ein hochrangiger Beamter sagte dazu gegenüber der Presse: „Beurteilen Sie den Erfolg nicht auf der Grundlage gemeinsamer Erklärungen. Diesmal ist es kein normaler Gipfel. Der Erfolg dieses Gipfels besteht darin, wenn keine Menschen mehr getötet werden.“