Schauspielerin Delphine Seyrig auf einer Demonstration
picturedesk.com/AFP/Aime Dartus
Delphine Seyrig

Mit der Videokamera zur „#MeToo“-Vorreiterin

Demütigungen und Gewalt im Filmbusiness: Die Nouvelle-Vague-Ikone Delphine Seyrig thematisierte das schon in den 1970er Jahren. Die materialreiche Ausstellung „Widerständige Musen“ in der Wiener Kunsthalle zeigt gelungen, wie sie und ihre coolen Mitstreiterinnen der hartnäckigen Machokultur in Frankreich den künstlerischen Stinkefinger zeigten. Und nicht zuletzt auch die Freundinnenschaft zelebrierten.

Benannt ist die Ausstellung nach dem Künstlerinnenkollektiv „Les Insoumuses“, in der Kunsthalle im MuseumsQuartier mit „Widerständige Musen“ übersetzt. Täuschen darf man sich davon aber nicht lassen: Denn von der Rolle der passiv-inspirierenden Muse hatten sich die engagierten französischen Feministinnen eindeutig abgekehrt. Gemeinsam mit anderen Mitstreiterinnen, etwa der Gruppe Video Out, machten sich die „Insoumuses“ ab Mitte der 1970er Jahre die Videokamera zu eigen, um endlich ihre eigenen Erfahrungen in den Mittelpunkt zu stellen.

Die Gruppe bestand aus Seyrig, der Schweizer Feministin Carole Roussopoulos und der in Bulgarien geborenen Ioana Wieder. Das Medium Video war neu und – im Gegensatz zur Männerdomäne Malerei – noch ganz unbelegt: Roussopoulos soll nach Jean-Luc Godard 1969 sogar die Zweite gewesen sein, die überhaupt in Frankreich eine Videokamera erstanden hatte – nun das Werkzeug der Wahl.

Micha Dell-Prane, Delphine Seyrig und Ioana Wieder halten eine Kamera während einer  Demonstration, 1976
Micha Dell-Prane
Delphine Seyrig und ihre Mitstreiterin Ioana Wieder 1976 mit der Kamera auf einer Demo

Mysteriöse Schönheiten der Nouvelle Vague

Für die Ausstellung „Widerständige Musen“ trugen die Gastkuratorinnen Natasa Petresin-Bachelez und Giovanna Zapperi ganze acht Stunden an Videoschätzen zusammen. In der Kunsthalle im MuseumsQuartier sind diese nun zum dritten Mal zu sehen, nach Stationen in Lille und im Reina-Sofia-Museum in Madrid, bevor die Schau nach Deutschland weiterreist.

Gegliedert in sechs ineinandergreifende Themenblöcke (etwa „Die Diva demontieren“, „Feministische Aneignung von Medien“ und „Normativität entgegentreten“) setzt „Widerständige Musen“ dabei nicht nur auf eintöniges Schwarz-Weiß: Mit großformatigen Stills, Ephemera oder den freakigen Kostümen der deutschen Avantgardefilmerin Ulrike Ottinger sorgt die Schau für bunte Farbsprenkel.

Ulrike Ottinger, Das Gastmahl der verfolgten Wissenschaftler und Künstler
Ulrike Ottinger
Bei Ottinger spielte Seyrig starke, strenge, teils groteske Frauen: hier vorne in spektakulärem Rot in „Das Gastmahl der verfolgten Wissenschaftler und Künstler“ (1981)

Wie man gleich am Beginn sieht, konnte Seyrig ab den 1980er Jahren auch abseits der Klischees reüssieren, etwa bei Marguerite Duras und Chantal Akerman. Die 1932 geborene Französin war damals längst eine Berühmtheit: Wie kaum eine andere hatte Seyrig das Frauenbild der Nouvelle Vague geprägt. Zuerst in Alain Resnais’ „Letztes Jahr in Marienbad“, später bei Francois Truffaut und Luis Bunuel, wo sie die betörende wie mysteriöse Schönheit mimte, deren eigene Motive und Sehnsüchte im Dunkeln bleiben mussten.

Feministisches Engagement als „Rache“

Das patriarchale Nouvelle-Vague-Filmsetting war es auch, das die Schauspielerin überhaupt erst zur feministischen Videoaktivistin werden ließ: „Eine enorme Rache für die Tatsache, so oder so sein zu müssen“, nannte sie ihre Motivation, die Kamera selbst in die Hand zu nehmen. Dass Seyrig dabei auch zur #metoo-Vorreiterin wurde, zeigt etwa „Sei schön und halt die Klappe“ von 1976.

Ausstellungsansicht: Widerständige Musen. Delphine Seyrig und die feministischen Videokollektive im Frankreich der 1970er- und 1980er-Jahre, Kunsthalle Wien 2022
Markus Wörgötter
Ausstellungsansicht „Widerständige Musen“

In der spielfilmlangen Dokumentation erzählen 24 Schauspielerinnen aus Frankreich und den USA in Interviews, wie sie im Filmbetrieb systematisch erniedrigt wurden und auf stereotype Rollen beschränkt waren. Frauen durften immer nur Rivalinnen sein, reflektiert etwa die eine. „Du stellst so tolle Fragen“, sagt eine andere und vermittelt so indirekt, dass viele überhaupt zum ersten Mal über ihre Erfahrungen sprachen.

Von neu gewonnener Komplizinnenschaft erzählt auch die knapp 20-Minuten-Doku „Hab einfach keinen Sex“ (1971) von Roussopoulos zwei Räume weiter: Aufnahmen einer Proabtreibungsdemo werden hier mit denen eines privat organisierten Schwangerschaftsabbruchs verschnitten. Dazwischen unterhalten sich Frauen ganz befreit und enthusiastisch über ihren Orgasmus – womit die ernüchternde Wahrnehmung bestätigt wird, dass sich jede Generation offenbar alles immer wieder von vorne erobern muss.

Carole Roussopoulos, Delphine Seyrig und Viva bei den Dreharbeiten zu Sois belle et tais-toi!, 1975
Alexandra & Géronimo Roussopoulos
Kollektives Arbeiten war großgeschrieben: Seyrig und Kollegin Viva am Set von „Sei schön und halt die Klappe“ 1976.

Dokumentarismus und böser Witz

Was den feministischen Videoaktivismus damals auszeichnete, ist, dass er das subkulturell organisierte gesellschaftliche Aufbegehren überhaupt erst dokumentierte: In den Low-Budget-Aufnahmen sprachen Sexarbeiterinnen etwa für sich selbst, kamen die aufkommenden lesbischen und schwulen Gruppen zu Wort und wurden Demos zur sexuellen Selbstbestimmung aufgenommen – und verpufften nicht einfach.

Ausstellungshinweis

„Widerständige Musen. Delphine Seyrig und die feministischen Videokollektive im Frankreich der 1970er und 1980er Jahre“, Kunsthalle Wien, MuseumsQuartier, bis 4. September, dienstags bis sonntags 11.00 bis 19.00 Uhr, donnerstags 11.00 bis 21.00 Uhr.

Einige der „Insoumuses“-Videos gingen über das Dokumentarische hinaus und bestechen noch heute mit lustvoll-bösem Witz: In „Maso und Miso fahren Boot“ (1976) kaperten die „Insoumuses“ etwa postwendend eine Fernsehtalkshow, in der die französische Staatssekretärin Francoise Giroud zum „Jahr der Frau“ geladen war und dort gemeinsam mit Männern sexistisch herumschäkerte.

Mit eingeblendeten Hinweisschildern, Wiederholungen und „Zugabe“-Rufen wird der frauenfeindliche Monolog der Sendung aus dem Off unterbrochen – und nicht zuletzt klargemacht, dass die, wie es heißt, von Männern erdachten „Reförmchen“ noch lange nicht genug sind.

Internationalismus und der blinde Fleck

Der hintere Ausstellungsteil ist schließlich Seyrigs Interesse an der Antipsychiatriebewegung und dem internationalistischen Engagement gewidmet: Interviews mit der US-Feministin Flo Kennedy oder mit Jean Genet geben Einblick in eine Bewegung, die sich zusehends transnational verstand und gemeinsame Sache mit dem „Black Power Movement“, den Palästinenserinnen und Algerierinnen oder den Frauen in Vietnam machen wollte.

Wie der zweiten Frauenbewegung heute öfter angelastet wird, zeigte aber der damalige französische Feminismus wenig Reflexion gegenüber Rassismen im eigenen Land oder dem kolonialen Erbe. Was sich Ende der 80er Jahre ein Stück weit ändern sollte, als das – unter anderem auch von Seyrig gegründete – Centre Audiovisuel Simone de Beauvoir in Auftragsarbeiten intersektionelle Fragen in den Blickpunkt rückte, die auch Stimmen in den Banlieues einfingen.

Dem Centre Audiovisuel Simone de Beauvoir ist es auch zu verdanken, dass das feministische Engagement in Frankreich bis heute so gut dokumentiert ist: Das staatlich geförderte Archiv kümmert sich bis heute um die Konservierung und Distribution dieser – nicht nur zeitgeschichtlich – höchst spannenden Dokumente.