Position statt nur Pose

Die Generation Bilderbuch

Dass Bilderbuch es geschafft haben, daran muss man zum Erscheinen ihres mittlerweile siebten Albums nicht mehr erinnern. Die Konsequenz, mit der diese Band ihre Karriere verfolgt hat, erzählt auch von einem Systemwechsel in der heimischen Kulturproduktion. Mit Bilderbuch ist eine neue Generation im Feld, die sich international verortet und den Ballast ewiger österreichischer Selbstbeschäftigung abgeworfen hat, die Schmäh und Hedonismus beherrscht. Aber auch Positionsbestimmung, wenn es politisch darauf ankommt. Und die für eine Mindset-Änderung im Land steht, die im Establishment noch nicht überall angekommen ist.

„Gelb ist das Feld“ heißt das neue Album von Bilderbuch, das gerade in Hamburg in der Elbphilharmonie im Rahmen des Tourauftakts vorgestellt wurde. Wieder einmal klingen Bilderbuch einen Dreh anders als davor, die Songs schwelgen in einem Hauch von Hippietum und einer Zeitdiagnose, die ja immer auch die Selbstdiagnose einer Generation ist, die vielleicht eine Spur zu viel aufs Handy starrt. Doch just zum Albumstart ist ein anderer Song der Band aktueller denn je, weil er Haltung für eine Zeit einfordert, die von schweren Turbulenzen geprägt ist.

„Europa 22“ erweist sich als Nummer der Stunde und liest sich als Aufforderung, dass in einer schwierigen Situation das aktive, gemeinsame Bekenntnis zum Zusammenhalt unter einem gemeinsamen europäischen Dach wichtiger ist denn je. Als man vor Jahren diesen Song auch als aktive Standortbestimmung in die Welt setzte, gab es die Begleitaktion, die dazu einlud, sich einen eigenen europäischen Pass zu entwerfen. Beim Ukraine-Konzert im Happel-Stadion behauptete Sänger Maurice Ernst aber nicht die visionäre Kraft des Songs. Eher holte er alle beim Gefühl der eigenen Ohnmacht angesichts dieser Krise ab. „Wir werden an diesem Abend vielleicht nur drei Prozent unserer Ohnmacht loswerden“, so Ernst, aber man stehe hier zusammen und gehe da auch gemeinsam durch. Mehr brauchte es vielleicht in dem Moment der Orientierungssuche auch nicht. Zumindest keine falschen Versprechungen geben und diesen folgen, auch das ist das Mindset in der Umgebung dieser Band.

Bilderbuch bei Machine
ORF/WSWU
„Wir werden an diesem Abend vielleicht nur drei Prozent unserer Ohnmacht loswerden.“ Bilderbuch beim Ukraine-Konzert.

„Eine Antwort auf die Optimierungsgesellschaft“

Für Hannes Tschürtz, der Bilderbuch mit seinem Label ink music als Erster unter Vertrag genommen und der Band für ihre Entwicklung auch Zeit gegeben hatte, steckt in diesem Moment die Begabung der Band. „Bilderbuch sind ein Projekt, das immer nach vorne schaut“, erzählt Tschürtz im Gespräch: „Deshalb sind Aktionen, wie ‚Europa 22‘ irgendwie visionär geworden, weil sie aus der Zeit, ja auch aus der Unsicherheit der Zeit heraus operieren, in dieser Zeit aber einen Standpunkt suchen. Europa ist ja auf eine Optimierungsgesellschaft getrimmt. Und wenn Kunst in der Lage ist, aus dem herauszutreten und den Finger auf wunde Punkte zu legen, dann hat sie etwas geschafft.“

Lyrik in Motion

„Du sagst du fährst nach Gibraltar/Du sagst du fährst nach Kanada/Dann wär hier kana da/Der mit mir tanzt“

Dass diese Band nach vorne schaut, ist auch dem Produzenten Zebo Adam aufgefallen. Er hat das aktuelle Album nicht produziert, gilt aber mit seinem Studio in der Meidlinger Aichholzstraße in gewisser Weise als „Vater von Bilderbuch“. „Als ich die Jungs kennengelernt habe, haben sie gerade Matura und Zivildienst gemacht“, sagt er im Gespräch im Studiokeller. Er habe das Potenzial und den Witz dieser vier gesehen – und erinnert an die Lage des österreichischen Musikmarktes.

Raus aus der eigenen Nabelschau

Das Fenster zu Ö3 sei geschlossen gewesen, Austropop galt als zu schlecht produziert, erinnert er sich. Adam, Sohn des legendären Gründers der Hallucination Company, Wickerl Adam, sah das aber offenkundig als Antrieb, eigentlich auch ein Anerkennungs- und Wertschätzungsthema aufzugreifen. „Wir haben gewusst, wir müssen noch länger arbeiten, noch mehr feilen, vom Album, aber auch von den Auftritten her.“ Am Anfang sei das Bekenntnis dagewesen, „dass Bilderbuch eine Gitarrenband sind, die aus diesem Set-up heraus ihre Arbeit angehen“.

Bilderbuch – Ein österreichisches Popmärchen

In Österreich könne man schnell der Kaiser sein, aber es brauche eindeutig mehr, so sein Befund, der auch auf eigenen Erfahrungen seit der Zeit als Gitarrist der Band Russkaja gründet. „Als die Band die ersten zwei Alben fertig hatten und um fünf Uhr nachmittags einen guten Gig gespielt haben, sind sie nachher dagesessen und haben sich gefragt, was sie tun müssen, dass sie am Hauptabend spielen“, so Adam. Woran Adam aber auch erinnert: die Bedeutung des Österreichischen Musikfonds und die Förderung von neuen Projekten im Pop. „Auch wenn die Skandinavier in dieser Hinsicht in einer anderen Liga spielen, was die Unterstützung der nationalen Popmusik anlangt, ist das hier eine entscheidende Unterstützung, wie die Existenz eines Senders wie FM4“, so Adam.

Zebo Adam im Studio
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Out of Meidling in die Welt. Zebo Adam erzählt, warum für die Qualitätssteigerung nur eines hilft: „Noch länger feilen und länger arbeiten“

Seine Antwort sei gewesen: noch länger arbeiten, noch mehr tüfteln. Mit keiner Band habe er länger an der Verbindung von Songwitz und der Binnensprache der einzelnen Nummern gearbeitet. Stets betont Adam das Gesamtsetting, das bei diesen Produktionen so entscheidend gewesen sei. Etwa die Rolle seines Technikers Alex „Feia“ Toman. Aber auch der Dialog mit dem, was die Band rund um Maurice Ernst beschäftigte. „Ich wusste genau, wenn Peter (Bassist und Keyboarder Horazdovsky, Anm.) ins Studio kommt, ob er sich gerade auf seinem Keyboard mit Voicings oder Sound beschäftigt hat“, so Adam. Adams Zugang: einen Song so lange gegenbürsten, bis er überzeugt. Bei „Gibraltar“, einem der sicher genialsten Songs der Band, dachte man nach, wo das Schlagzeug im unerwarteten Moment, etwa dem fünften Takt einsetzt. Gleiches galt und gilt bei Bilderbuch beim Verwenden von Effektgeräten. Sie dienen dem Bruch, nicht der Überhöhung des Gesagten. Und so passt das Arrangement zu Texten, die sich gerade durch das Erzeugen gegenläufiger Bilder auszeichnen.

Selfie
ZA
Zwei im Hintergrund der Entwicklung des Bilderbuch-Sounds: Adam und Alex „Feia“ Toman

Anzitieren und abgleiten

Wenn auf dem neuen Album ganz ungeniert die Songlines klassischer Schlager zitiert werden, dann sind die sprachlichen Bilder dazu immer brüchig – oder drücken aus, dass manches auf jeden Fall mit einer großen Ironie zu nehmen ist. Anders, so könnte man schließen, wäre das Leben nicht aushaltbar. So hängen „Stromkabeln übers Feld/ irgendwo zwischen deiner und meiner Welt“, wie es im neuen Album heißt. Und nicht mal, wenn Beziehungen enden, muss man ganz traurig sein: „Du gehst deinen Weg und ich geh heim/maybe, Baby, that’s life.“

„Eigentlich“, lacht Tschürtz, „sind ja totale Anti-Nummern zu den größten Hits geworden wie ‚Bungalow‘“. Für Adam ist das aber das Resultat, das Potenzial von Songs zu sehen, dabei aber noch in vielen Volten nach und vor allem dagegenzusetzen. „Bilderbuch sind wohl die einzigen neben Kanye West, die Autotune verwenden können, ohne absolut beschissen zu klingen – und das auch noch auf Deutsch“, konstatierte „Vice“ etwa in Reaktion auf „Plansch“.

Musikgeschichte als Baustein

So greift die Band ja auch im neuen Album ungeniert in die Kiste der Musikgeschichte und entdeckt dort so etwas wie das Äquivalent des Textbausteins. Da darf man ganz kurz wie ELO klingen, ja an die Münchner Freiheit erinnern. Doch der Witz des Texts und das Arrangement brechen am Ende alles. Das macht Bilderbuch auch im deutschsprachigen Raum zu einer Band mit Unterscheidungsmerkmal.

Hannes Tschürtz Passport Estonia
FB
Label-Gründer Tschürtz nahm sich die „Europa 22“-Aktion besonders zu herzen und residiert momentan in Estland.

„Bilderbuch entsprechen definitiv keinem Klischee einer flachen Popband“, findet Tschürtz: „Im Gegenteil, sie haben einen Mut und eine Lust, immer nach vorne schauen zu wollen. Und sie wollen nie platt sein. In dieser Hinsicht sind sie kompromisslos. Anders als etwa eine Band wie die Toten Hosen, die großes intellektuelles Potenzial haben, die sich aber dann immer entscheiden, dem Markt zu geben, was er von dieser Band erwartet, wollen Bilderbuch immer das Neue ausreizen.“

Für Tschürtz, der die Band wie Adam in seinem sehr frühen Stadium kennenlernte, liegt das auch an der Biografie der Musiker. Sie kämen vom Land, wo man „Grenzen, aber auch die Lust, Grenzen zu überwinden, viel klarer wahrgenommen hat“. Dass sich Bilderbuch in ihrer Biografie vom Stiftsgymnasium in die Stadt und via Meidling hinaus in die Welt viel unverkrampfter bewegen als Bands in den Generationen davor, hat mit dem Humus zu tun, auf dem die Band steht. Vieles, worauf Bilderbuch aufbauen, ist für diese Generation gesagt. Warum sich also nochmal an der Stiftsschule oder anderen drückenden Themen abarbeiten. Gerade jetzt scheint eine aktive Standortbestimmung gefragt, und die hat diese Band beantwortet, auch wenn der Sänger sagt: „Dass wir uns zu Europa bekennen, tun wir natürlich im Wissen um die Tatsache, dass es nicht nur um Europa geht, sondern um ein größeres Miteinander.“

Hinweis

Bilderbuch sind in den kommenden drei Monaten in Deutschland und Österreich mit ihrem neuen Album auf Tour, darunter auch dreimal in Wien in der Arena. Flimmit zeigt den Film: „Bilderbuch. Ein österreichisches Pop-Märchen“.

„Thomas Bernhard musste mal alles niederbrennen“

„Es hat Figuren wie Thomas Bernhard gebraucht, die die Erbschaft radikal niedergebrannt haben, bevor was Neues entstehen konnte“, sagt Bilderbuch- Entdecker Tschürtz: „Und dann mussten wir das verdauen. Und schließlich sind wir jetzt in einer Phase, in der etwas Neues kommen kann, wo man sich auch nicht mehr an der Erbschaft abarbeiten muss, sondern nach vorne schauen kann. Und dafür stehen Bilderbuch. Auch, dass man eine Position beziehen muss.“

Für den langjährigen Mentor der Band sind gerade Bilderbuch und auch Wanda Indikatoren für einen Wandel. Man müsse nachlegen, wenn man ganz vorne mitspielen wolle. Insofern sieht Adam auch das jüngste Ukraine-Konzert nicht nur als politisch-gesellschaftliches Bekenntnis, sondern als Indikator für einen Wandel im Land: „Jetzt haben die Veranstalter gesehen, dass ausschließlich österreichische Bands auf hohem Niveau zehn Stunden Konzert im Happel-Stadion bestreiten können. Was braucht es eigentlich noch an Überzeugungsarbeit, dass wir alles können, auch Headliner auf einem großen Festival zu sein?“