Gletscher auf dem Kilimanjaro
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Opfer der Klimakrise

In den Tropen schmelzen die Gletscher weg

Auch im wärmsten Bereich der Erde, in den Tropen, existieren Gletscher – noch. Sie schmelzen in atemberaubendem Tempo, die meisten werden in wenigen Jahrzehnten verschwunden sein, mit Folgen für das Ökosystem und die Wasserversorgung von Millionen Menschen. Das Schicksal dieser Tropengletscher lässt auch einen Blick in die Zukunft unserer Alpen-Gletscher zu, wenn wir nicht rasch gegen die Klimakrise ankämpfen.

Beim Wort Tropen denken die meisten wohl an Regenwald und weiße Palmenstrände und nicht unbedingt an Schnee und Eis. Dennoch existieren auch in Ländern wie Peru, Tansania und Indonesien bedeutende Gletscher. Ihre Gesamtfläche ist laut dem Randolph Glacier Inventory mit etwa 2.340 Quadratkilometern sogar größer als jene unserer Alpen-Gletscher, die noch rund 2.090 Quadratkilometer einnehmen.

Die Gletscher in den Tropen schmelzen aber schneller als im globalen Mittel. So haben etwa die Gletscher Afrikas in den letzten 100 Jahren mehr als 80 Prozent ihrer Fläche eingebüßt. Viele Gletscher stehen kurz vor dem Aus, und manche Gletscher sind für immer verschwunden.

Wetterstation in den Anden
AP/Juan Karita
Forscher sammeln auf dem Chaltaya-Gletscher in Bolivien Daten über die Umweltverschmutzung

Es war einmal ein Skigebiet

In den Tropen gibt es nur wenige hohe Berge, auf denen es kalt genug ist, dass sich Gletscher bilden können. Die Gletscher befinden sich daher meist auf isolierten Bergspitzen in Höhen über 5.000 Meter, sie sind eher klein und reagieren damit empfindlicher und schneller auf die Klimakrise. Schon ein kleiner Temperaturanstieg wirkt sich unmittelbar auf Tropengletscher aus.

Was passiert, wenn ein Gletscher verschwindet, zeigt der Chacaltaya-Gletscher. Er war der wohl berühmteste Gletscher Boliviens, ein beliebtes Ausflugsziel. Denn der Gletscher beherbergte in 5.300 Meter Höhe das höchste Skigebiet der Welt. Jetzt nicht mehr, denn Gletscher gibt es hier seit 2009 nicht mehr und damit auch keine Skitouristen. Nun dominiert graues Geröll. Bolivien hat bereits die Hälfte seiner Gletscher in den letzten 50 Jahren verloren.

Die Gletscher sind in vielen Regionen ein wichtiges Wasserreservoir. In Bolivien sind die Menschen im Hochland in der Trockensaison auf das Schmelzwasser angewiesen, in den Großstädten El Alto und La Paz macht es bis zu 30 Prozent der Wasserversorgung aus. Auch in den wüstenartigen Küstenregionen Perus liefern die Anden-Gletscher Trinkwasser für Millionen, Wasser für die Landwirtschaft und zur Stromerzeugung. In Kolumbien bewässert das Wasser mancher Gletscher Kaffeeplantagen und trägt damit zur Lebensgrundlage von Bauern bei. Die Schwierigkeiten in der Wasserversorgung werden zunehmen, wenn die Gletscher abschmelzen.

Gletscher als Öko- und Wirtschaftsfaktor

Die tropischen Gletscher spielen global gesehen, etwa bei ihrem Anteil an der Erhöhung des Meeresspiegels, keine nennenswerte Rolle, doch für das lokale Ökosystem und auch für den Tourismus sind sie von essenzieller Bedeutung. Etwa 50.000 Menschen haben vor der Coronavirus-Pandemie jährlich versucht, den Kilimandscharo und damit auch den weltweit wohl bekanntesten Tropengletscher zu besteigen.

Verschwinden die Gletscher, wird es in den ländlichen, wirtschaftlich oft wenig entwickelten Gebieten vermutlich weniger Tourismus geben, denn die Berge verlieren ihren Reiz, sagte die französische Gletscherforscherin Heidi Sevestre im Februar gegenüber dem Onlinemagazin Brut.

Ohne die Gletscher verliert die Wissenschaft ein wichtiges Klimaarchiv, speichern doch die Gletscher Informationen aus der Vergangenheit in ihrem Eis. Gerade in den Tropen stellen die Gletscher auch eine Art Messgerät dar, da es nur wenige Wetterstationen gibt und schon gar nicht in Höhenlagen um 5.000 Meter.

Venezuela bald ohne Gletscher

Im Jahre 1910 waren in Venezuela noch rund fünf Quadratkilometer von Gletschern bedeckt, und zwar in den Bergen in der Sierra Nevada de Merida. Fast das ganze Eis ist in den letzten Jahrzehnten bzw. Jahren verschwunden. Seit 2020 ohne Gletscher ist auch der Pico Bolivar, mit 4.978 Meter der höchste Berg des Landes.

Humboldt-Gletscher in Venezuela
AP/Jose Manuel Romero
Die Gletscherfläche des Pico Humboldt in Venezuela umfasst nur noch die Größe von vier Fußballfeldern

Nur noch auf dem benachbarten Pico Humboldt ist, so zeigen es aktuelle Satellitenaufnahmen, ein weniger als drei Hektar großer Gletscher übrig. Das entspricht der Fläche von vier Fußballfeldern. In wenigen Jahren wird Venezuela der erste gletscherfreie Anden-Staat sein. Ohne Gletscher verlieren Berge ihr Gesicht und wichtige Identifikationsmerkmale, die sie über Jahrtausende ausgemacht haben.

Keine zwei Quadratkilometer Eis auf Kilimandscharo

Nicht viel besser ist es um die Gletscher in Afrika bestellt. Die eisbedeckte Kappe des Kilimandscharo (5.895 Meter) hat sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts von zwölf Quadratkilometern auf unter zwei verringert. Mit den aktuellen Schmelzraten wird der Kilimandscharo bis 2040 eisfrei sein. Das Schmelzen der ikonischen Gletscher Afrikas versinnbildlicht die Veränderungen im Erdsystem, schrieb die Weltwetterorganisation (WMO) im Oktober 2021.

Neben dem Kilimandscharo gibt es in Afrika noch zwei weitere Gebirge mit kleinen Gletschern, das Mount-Kenia-Massiv (5.199 Meter) und das Ruwenzori-Gebirge (5.109 Meter). Auch hier schmilzt das Eis rapide. Der Lewis-Gletscher auf dem Mount Kenia dürfte bereits innerhalb der nächsten zehn Jahre verschwinden, so der Gletscherforscher Rainer Prinz vom Institut für Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften der Universität Innsbruck. Der Gletscher hat seit dem Ende des 19. Jahrhunderts bereits 90 Prozent seiner Fläche und 95 Prozent seines Volumens eingebüßt.

Gletscherschmelze wegen zu wenig Neuschnees

In Afrika ist weniger die Erwärmung das große Problem, sondern geringere Schneefälle als früher. Die Gletscher leiden unter einer chronischen Trockenheit, so der Gletscherforscher Prinz im Gespräch mit dem ORF. Die Ursachen liegen in veränderten Strömungsmustern. Die Zufuhr von feuchten und labilen Luftmassen vom Indischen Ozean nach Ostafrika hat sich verringert, eine Folge des Klimawandels.

Ein mit Neuschnee bedeckter Gletscher hat die Eigenschaft, viel Sonnenlicht zu reflektieren, eine wichtige „Klimaanlage“ angesichts der ganzjährig starken Sonne in den Tropen. Schneit es seltener, ist der Gletscher dunkel und absorbiert mehr Energie, er heizt sich auf und schmilzt dadurch schneller. In der Wissenschaft spricht man von einer positiven Rückkopplung.

Kilimandscharo mit Schneedecke
Daniel Schrott
Die meisten tropischen Gletscher befinden sich in den peruanischen Anden

Bei den südamerikanischen Gletschern sind hingegen die steigenden Temperaturen das Hauptproblem, wodurch auch die Schneefallgrenze steigt und die Phase des Niederschlags sich ändert. Es ist mittlerweile schon so warm geworden, dass es nicht mehr genug schneit und häufiger regnet.

Die letzten Gletscher Indonesiens

Außerhalb Südamerikas und Afrikas findet man in den Tropen nur noch auf der indonesischen Insel Neuguinea Geltscher(reste). Im Sudirman-Gebirge sind nach aktuellen Satellitenbildern noch etwa 30 Hektar Eisfläche vorhanden, aufgeteilt auf mehrere zersplitterte Gletscher. Diese liegen um den Puncak Jaya, auch bekannt als Carstensz-Pyramide, dieser Berg ist mit 4.884 Metern der höchste Berg des australischen Kontinents und einer der Seven Summits.

Auch hier ist es nur eine Frage von Jahren bis wenigen Jahrzehnten, bis das letzte Eis verschwunden sein wird, so der Schluss einer Studie, die 2019 in der Zeitschrift der amerikanischen National Academy of Sciences erschienen ist. 2002 umfasste die vergletscherte Fläche noch 2,1 Quadratkilometer, also siebenmal so viel wie heute. 1940 war der damals noch zusammenhängende Gletscher zehn Quadratkilometer groß. Der australische Kontinent wird damit in ein paar Jahren der erste Kontinent sein, der keine Gletscher mehr hat.

Sataufnahme zeigt Puncak Jaya, November 3, 1988
Sataufnahme zeigt Puncak Jaya, December 5, 2017
NASA Earth Observatory/Landsat NASA Earth Observatory/Landsat

„Point of no return“ erreicht

Um 1,2 Grad sind die Temperaturen weltweit seit 1880 gestiegen. Zu viel für die meisten kleinen Gletscher in den Tropen. Sie haben bereits den „Point of no return“ erreicht und werden durch die Klimakrise innerhalb weniger Jahrzehnte verschwinden. Und das für immer. Noch am längsten halten sich wahrscheinlich die Gletscher der Cordillera Blanca in Peru. Sie schrumpfen zwar auch stark, doch noch sind sie relativ mächtig, auch weil sie sich bis in Höhen deutlich über 6.000 Meter erstrecken. Hier dürften zumindest Reste bis zum Ende des Jahrhunderts überdauern.

Was in den Tropen passiert, ist auch das Los der Gletscher der Alpen, in Alaska und des Himalaya, wenn die Menschheit es nicht schafft, die Erderwärmung drastisch zu begrenzen, so der Stand der Wissenschaft. Es ist in unserem Eigeninteresse, die Erde lebenswert zu halten und die Klimakrise in den Griff zu bekommen, indem wir schon in den nächsten Jahren den Ausstoß von Treibhausgasen drastisch senken. Auch das Gesicht der Alpen wird sich unweigerlich stark ändern. Das Schicksal der größeren Gletscher haben wir aber noch in der Hand und können mitbestimmen, ob auch die kommenden Generationen Österreich noch mit Gletschern assoziieren.