Sabine Bloch: MärchenHaft
AZW/Sabine Bloch
Selten heile Welt

Falsches Idyll im Puppenhaus

Puppenhäuser, Modelleisenbahnen und auch Computerspiele wie die „Sims“: Sie alle wollen das echte Leben abbilden. Doch weder das geräumige Einfamilienhaus noch die idyllische Kleinstadt hinter dem Modellbahnsteig wirken angesichts von Immobilien-, Klima- und anderen Krisen besonders zeitgemäß. Eine Ausstellung im Architekturzentrum Wien hinterfragt die heile Welt im Spiel – und zeigt Gegenbeispiele.

Die Geschichte der Puppenhäuser geht ins 16. Jahrhundert zurück, wie Kuratorin Melanie van der Hoorn gegenüber ORF.at erklärt. Damals wurden sie nicht zum Spielen verwendet – sondern dienten anfangs der Repräsentation, um den eigenen Reichtum zur Schau zu stellen, nur eben im Kleinformat.

Fünf Jahrhunderte später hat sich zumindest äußerlich nicht allzu viel geändert: Satteldach und große Zimmer, in denen die ganze Familie – inklusive Oma und Opa – Platz hat, sind immer noch Standard. Auch sonst ist das Puppenhaus im Normalfall ein Ausflug in eine längst vergessene Zeit, nicht zuletzt, weil sich die Umstände rundherum rasant geändert haben.

Fotostrecke mit 7 Bildern

You+Pea: London Developers Toolkit
AZW/You+Pea
Ein Wolkenkratzer, der den Investoren gefällt, muss im „London Developers Toolkit“ gebaut werden
Machiel Spaan & Rozalie Hirs: Luisterhuis Foto:
AZW/Allard van der Hoek/Machiel Spaan & Rozalie Hirs
Ein Puppenhaus zum Hören ist das „Luisterhuis“
Jon Haddock: Isometric Screenshots/Ermordung von Martin Luther King
AZW/Jon Haddock
Wie bei „Sims“ werden Szenen der Weltgeschichte, etwa die Ermordung von Martin Luther King, in „Isometric Screenshots“ dargestellt
Alan Butler: Down and Out in Los Santos
AZW/Alan Butler
Keine heile Welt in Los Santos: Die fiktive Stadt aus „Grand Theft Auto“ ist Grundlage für das Fotoprojekt „Down and Out in Los Santos“
Ausstellungsansicht „Serious Fun. Architektur & Spiele“
AZW/Lisa Rastl
In „Rezone – The Game“ müssen alle an einem Strang ziehen, um Leerstände zu vermeiden
Gareth Damian Marti: Auszug aus „The Continuous City“
AZW/Gareth Damian Marti
Szenen aus Spielen werden in „The Continuous City“ analog projiziert – und sind erst auf den zweiten Blick als digitale Welten erkennbar
Ausstellungsansicht „Serious Fun. Architektur & Spiele“
AZW/Lisa Rastl
Zahlreiche Architekturspiele, darunter viele „Serious Games“, also Spiele, die nicht nur der Unterhaltung dienen, sind ausgestellt

Vom trauten Heim zum verwahrlosten Leerstand

In der Ausstellung „Serious Fun. Architektur & Spiele“ werden Projekte von Künstlerinnen und Künstlern gezeigt, die diese teils über Jahrhunderte eingefahrenen Konzepte, die eng mit der Architektur verbunden sind, hinterfragen. In der Fotomontage der deutschen Künstlerin Sabine Bloch wird das Puppenhaus etwa zum genauen Gegenteil des Familienidylls, in jeder Ecke finden sich andere Szenen, die Alpträumen entspringen könnten. Die Künstlerin Alice Pasquini stellt unterdessen die Frage, wie ein Puppenhaus aussehen könnte, in dem die Zeit nicht für immer stehenbleibt – das einst belebte Eigenheim zeigt sich komplett verwüstet und verwahrlost.

Was ist schon normal?

Dabei geht es auch immer um die Frage, was – nicht zuletzt von Kindern – durch derartiges Spielzeug als „normal“ wahrgenommen wird. Die Modellbahn mit der Miniatur des freundlichen Briefträgers, den drei Wohnhäusern und dem Wirtshaus inklusive lauschigem Gastgarten wird auch heute noch oft nachgebaut – doch wo sind Autobahn, Atomkraftwerk und Großindustrie? Diese Frage stellte sich der Designer Maykel Roovers für sein Projekt „Critical Blocks“ – es sind Holzbausteine für die Generation Klimakrise.

Maykel Roovers: Critical Blocks
AZW/Maykel Roovers
Wie realistisch ist die Kleinstadt in Zeiten von Atomstrom und Autobahnen? „Critical Blocks“ hinterfragt die Kinderzimmerklassiker.

Das mag nach erhobenem Zeigefinger klingen, dabei geht es in erster Linie gar nicht darum, zu kritisieren – weshalb auch zahlreiche konstruktive Weiterentwicklungen ausgestellt sind. So wird etwa ein Puppenhaus gezeigt, das auch für Kinder mit Behinderung geeignet ist. Anstelle detailliert gestalteter Zimmer wurden Lautsprecher in das modern anmutende Haus installiert – wer sich nähert, bekommt einen akustischen Einblick in das Geschehen im Inneren.

Die „Sims“ als digitales Puppenhaus

Und: Längst geht es natürlich auch um virtuelle Welten – mit den „Sims“ als vielleicht prominentestes Computergegenstück zum Puppenhaus. „SimCity“-Erfinder Will Wright beschloss Mitte der 90er Jahre, seine Spielerinnen und Spieler Häuser entwerfen zu lassen – und diese dann mit künstlichen Intelligenzen zum Leben zu erwecken. Bei seinem Studio Maxis kam die Idee nicht gut an, erst durch den Kauf durch den Spielegiganten Electronic Arts Ende der 90er wurde Wrights Vorschlag aufgegriffen.

Das Projekt wurde als Wagnis gesehen: Das unter dem Projektnamen „Dollhouse“ („Puppenhaus“) entwickelte Spiel entsprach eigentlich nicht der damals anvisierten Gaming-Zielgruppe. Doch die „Sims“ wurden im Jahr 2000 zum Riesenerfolg – auch finanziell: Wie bei echten Puppenhäusern konnten neue Möbel und Kleidungsstücke hinzugekauft werden. Damals war das ein recht neues Konzept – der Erfolg der „Sims“ krempelte damit die gesamte Branche mit um.

Ausstellungshinweis

„Serious Fun. Architektur & Spiele“, Architekturzentrum Wien, bis 5. September, täglich von 10.00 bis 19.00 Uhr.

„Tank Man“ und virtuelle Stadtführungen

Und so wird das Spiel auch im Architekturzentrum aufgegriffen: Der Künstler Jon Haddock stellt in seinen Bildern Szenen der Weltgeschichte im Stile der „Sims“ nach. Vom „Tank Man“ auf dem Tiananmen-Platz bis zur Ermordung von Martin Luther King bleibt in seiner Bilderreihe von der suburbanen Traumwelt des Spiels nichts mehr übrig.

Auch sonst werden Werke gezeigt, die auf Computerspiele Bezug nehmen: etwa virtuelle Stadtführungen durch die Welt des Shooters „The Division“ und eine Fotoreportage aus den Straßen der fiktiven Stadt Los Santos aus dem Spiel „Grand Theft Auto“. Was bei dieser künstlerischen und kritischen Auseinandersetzung mit Architektur und Lebensräumen in bereits existierenden Computerspielen weniger Beachtung findet, sind die oft Dutzenden 3-D-Künstlerinnen und -Künstler, die diese digitalen Städte ursprünglich zum Leben erweckt haben.

Auch viele Spiele zum Angreifen

Neben den Puppenhäusern, den Fotostrecken und ein paar Videoprojektionen gibt es aber auch zahlreiche Objekte, die ausprobiert werden können. Vor allem der dritte und letzte Teil der Ausstellung rückt diese Exponate in den Mittelpunkt und stellt die Frage, wie Spiele Architektur unterstützen können.

Ausstellungsansicht „Serious Fun. Architektur & Spiele“; Milena Ivkovic & Stefan Nikolic (Blok74): Delft Campus Urban Game
AZW/Lisa Rastl; AZW/Eranda Janku
Bei der Planung können Spiele eine wichtige Rolle spielen – im Architekturzentrum können einige davon ausprobiert werden

Da geht es etwa um Fragen der Stadtplanung und um die Bekämpfung von Leerständen: In „Rezone – The Game“ von Rolf van Boxmeer und Tessa Peters wird gezeigt, wie Planung, Verwaltung, Bau und letztlich die Bürgerinnen und Bürger an einem Strang ziehen müssen, während im „Delft Campus Urban Game“ von Milena Ivkovic und Stefan Nikolic die Studierenden mit gefragt sind, ihren Unicampus umzugestalten.

Kurioses, Gruseliges und eine Schnitzeljagd

Auch zahlreiche schräge Ausstellungsstücke gibt es: ein Computerspiel, bei dem man den nächsten hässlichen Wolkenkratzer in London nach den Wünschen der Investoren gestalten muss. Oder ein begehbares Puppenhaus, das auf den ersten Blick zwar durchaus herzig ausschaut – aber nicht umsonst mit dem Hinweis versehen ist, dass es für Kinder keineswegs geeignet ist.

Wer es bis ins hinterste Eck der Halle schafft, bekommt gleich ein paar Vorschläge zur Wochenendgestaltung mitgeliefert. So wird etwa das Spiel „Monster Hunt Vienna“ vorgestellt, das praktisch eine moderne Schnitzeljagd ist.

Klassiker neu gedacht

Klassische Bausteine und Architekturspiele – egal ob Lego, Kapla oder „Monopoly“ – spielen in „Serious Fun“ nur eine Nebenrolle. Handelsübliches Spielzeug wird dennoch gezeigt – meist solches, das das Konzept der Klassiker einen Schritt weiterdenkt. Ein Fokus darauf hätte den Rahmen der Ausstellung ohnehin gesprengt – ein Blick in den eigenen Spieleschrank fällt nach dem Besuch dafür vielleicht eine Spur kritischer aus.