Zusammenstöße am Tempelberg, Jerusalem
APA/AFP/Ahmad Gharabli
150 Verletzte

Neue Welle der Gewalt überrollt Jerusalem

Nach einer Terrorwelle ist die Sicherheitslage in Israel und den Palästinensergebieten seit mehreren Wochen extrem angespannt. Am Karfreitag eskalierte die Lage auf dem Tempelberg in Jerusalem. Bei heftigen Zusammenstößen zwischen israelischen Sicherheitskräften und Palästinensern wurden mehr als 150 Menschen verletzt.

Die Gewalt brach Freitagfrüh nach dem Ende der Morgengebete bei der Al-Aksa-Moschee aus. Wie der Palästinensische Rote Halbmond mitteilte, wurden am Freitag 153 Menschen in Krankenhäuser gebracht. Dutzende Verletzte seien zudem auf dem Gelände behandelt worden.

Nach Angaben der Polizei warfen Hunderte Palästinenser Knallkörper und Steine in Richtung der Polizei und der jüdischen Gebetsstätte an der Klagemauer. Die Polizei wiederum setzte Tränengas und Gummigeschoße ein. Die israelische Polizei sprach von drei Verletzten in ihren Reihen.

Die israelischen Sicherheitskräfte drangen auch in die Al-Aksa-Moschee ein. Hunderte Palästinenser seien festgenommen worden, teilte die israelische Polizei mit. Sie machte palästinensische „Randalierer“ für die Gewalt verantwortlich. Die Fatah-Bewegung von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und die im Gazastreifen herrschende islamistische Hamas wiederum beschuldigten die israelischen Sicherheitskräfte.

Verletzte nach Randalen auf dem Tempelberg

Zwischen israelischen Sicherheitskräften und Palästinensern ist es auf dem Tempelberg in Jerusalem zu schweren Auseinandersetzungen gekommen. Der Vorfall ereignete sich laut Polizei nach dem Ende der Morgengebete. Dutzende Menschen wurden verletzt.

Ostern, Ramadan und Pessach an einem Tag

Verschärft werden die Spannungen durch den Umstand, dass heuer Ostern, Ramadan und das Pessachfest auf einen Tag fallen. Das sei „ein Symbol für das, was wir gemeinsam haben“, schrieb Israels Außenminister Jair Lapid auf Twitter. Die Ausschreitungen seien inakzeptabel. „Wir dürfen nicht zulassen, dass jemand diese heiligen Tage zu einer Plattform für Hass, Aufwiegelung und Gewalt macht.“

Erstmals seit drei Jahren konnten heuer auch wieder Touristen und Pilger zu Ostern ins Heilige Land einreisen. Wegen der Coronavirus-Pandemie hatte Israel vor mehr als zwei Jahren seine Grenzen für Besucher geschlossen. Erst seit März ist die Einreise für ungeimpfte Touristen wieder erlaubt.

Bei der traditionellen Karfreitagsprozession durch die Altstadt gab es ein großes Aufgebot an Sicherheitskräften. Zugleich kamen Zehntausende Muslime zum Freitagsgebet in die Jerusalemer Altstadt, um während des muslimischen Fastenmonats Ramadan auf und um den Tempelberg (Al-Haram al-Scharif) zu beten. Freitagabend begann auch das jüdische Pessachfest, das zusätzlich Gläubige und Besucher anzieht. Das Tourismusministerium erwartet rund 30.000 ausländische Touristen allein in dieser Woche.

Zusammenstöße am Tempelberg, Jerusalem
Reuters/Ammar Awad
Palästinensische Demonstranten werfen auf dem Gelände der Al-Aksa-Moschee Steine und zünden Feuerwerkskörper

UNO und EU rufen zur Deeskalation auf

Die Vereinten Nationen riefen beide Seiten zur Deeskalation auf. Der UNO-Nahost-Beauftragte Tor Wennesland zeigte sich besorgt über die sich verschlechternde Sicherheitslage. „Ich fordere die Verantwortlichen auf beiden Seiten dringend auf, die Lage sofort zu deeskalieren und weitere Provokationen radikaler Akteure zu verhindern“, teilte der Diplomat in einer Erklärung mit.

Zuvor hatte auch schon die EU besorgt auf die Zusammenstöße reagiert. „Die Gewalt muss sofort aufhören“, teilte ein Sprecher des auswärtigen Dienstes der EU am Freitag mit. Weitere Opfer unter der Zivilbevölkerung müssten verhindert und der Status quo der heiligen Stätten vollständig respektiert werden. Die EU wiederhole den Aufruf an alle Seiten, sich um eine Deeskalation zu bemühen.

Sicherheitslage nach Terrorwelle angespannt

Die Sicherheitslage in Israel und den Palästinensergebieten war bereits zuvor extrem angespannt: In den vergangenen Wochen wurden bei vier Anschlägen in Israel 14 Menschen getötet. Die Attentäter waren bei zwei Anschlägen israelische Araber mit Verbindungen zur Terrororganisation Islamischer Staat (IS). Bei den beiden anderen Attentaten waren die Angreifer Palästinenser aus dem besetzten Westjordanland. Erst vergangene Woche hatte ein Palästinenser in der israelischen Küstenmetropole Tel Aviv drei Menschen erschossen.

Israel befürchtet weitere Gewaltakte während des Ramadans, der Anfang des Monats begonnen hat. Israels Armee entsandte seit den Anschlägen weitere Truppen ins Westjordanland. Außerdem sollen 1.000 Soldaten die Polizei in Israel unterstützen. Mehrere Palästinenser wurden bei Militäreinsätzen im Westjordanland getötet, aber auch bei ihren eigenen Anschlägen und Zusammenstößen mit der Armee. Nach Medienberichten geht Israel zudem verstärkt gegen Palästinenser vor, die illegal in Israel arbeiten.

Immer wieder Zusammenstöße auf Tempelberg

Der Tempelberg war in der langen Geschichte des Nahost-Konflikts immer wieder Ort von Zusammenstößen beider Seiten. Im vergangenen Jahr hatten sie zu tagelangen schweren Auseinandersetzungen zwischen der radikalislamischen Hamas im Gazastreifen und israelischen Sicherheitskräften geführt. Bis zum Inkrafttreten einer von Ägypten vermittelten Waffenruhe wurden 260 Palästinenser und 13 Israeli getötet.

Tim Cupal (ORF) aus Jerusalem

Auf dem Gelände der Al-Aksa-Moschee ist es am Freitagmorgen zwischen palästinensischen Demonstranten und israelischen Sicherheitskräften zu schweren Zusammenstößen gekommen. Dabei sind mehrere Menschen verletzt worden, berichtet ORF-Korrespondent Tim Cupal aus Israel.

Mit dem Felsendom und der Al-Aksa-Moschee ist der Tempelberg die drittheiligste Stätte im Islam. Dort standen früher auch zwei jüdische Tempel, von denen der letzte im Jahr 70 von den Römern zerstört wurde. Die Klagemauer ist ein Überrest jenes zerstörten Tempels und die heiligste Stätte der Juden.

Die Grabeskirche wiederum steht an dem Ort, an dem Jesus der christlichen Überlieferung nach gestorben und wieder auferstanden ist. Sie gilt als heiligster Ort des Christentums und als Zentrum christlicher Osterfeiern. Der Tempelberg ist nur wenige Gehminuten von der Grabeskirche entfernt.