Ein Mann hält eine Fahne mit einer Friedenstaube in Hannover
APA/Julian Stratenschulte
Geld oder Waffen

Deutschland weiter im Ukraine-Dilemma

Die deutsche „Ampelregierung“ hat sich nach längerem Zögern zu einem Kompromiss durchgerungen: Statt direkter Waffenlieferungen an die Ukraine werden die finanziellen Militärhilfen stark erhöht. Die Debatte ist damit nicht beendet. Einerseits gibt die deutsche Friedensbewegung mit Rufen nach Abrüstung ein Lebenszeichen von sich, andererseits gibt es auch innerhalb der Koalition weiterhin Forderungen nach Waffenlieferungen.

Am Samstag gingen in etlichen deutschen Städten Tausende Friedensaktivistinnen und -aktivisten auf die Straßen. Die seit den 1960er Jahren traditionellen Ostermärsche hatten stets ein Ziel: Frieden. Der Weg dorthin sollte durch Abrüstung geebnet werden. Diese Forderung sei heute „aktueller denn je, auch mit Blick auf die Gefahr einer möglichen nuklearen Eskalation“, so sagte es Kristian Golla vom Netzwerk Friedenskooperative zur dpa.

Bei anderen lösten die pazifistischen Rufe hingegen Kopfschütteln aus. Die Ostermärsche hätten weder etwas mit Ostern noch mit dem Frieden zu tun, schrieb der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, auf Twitter. „Eine Parallelwelt“, so sein Urteil.

Ein Ausweg – vorerst

Die Proteste für Abrüstung und Frieden zeigten das Dilemma, in dem sich das friedliebende Deutschland seit Beginn der Invasion Russlands in der Ukraine befindet. Noch immer ist unklar, ob man dem überfallenen Land schwere Waffen zukommen lässt. Am Freitag wurde bekannt, dass Deutschland seine „Ertüchtigungshilfe“ heuer von 225 Millionen auf zwei Milliarden Euro aufstocken wird.

Damit werden Partnerländer in Krisenregionen unterstützt. Die Ukraine soll davon mehr als eine Milliarde Euro bekommen. Damit soll sie sich selbst neue Waffen besorgen können. Ein Ausweg für die „Ampelregierung“ unter dem deutschen Kanzler Olaf Scholz (SPD), dem sogar seine Koalitionspartner sein Zaudern vorgeworfen hatten.

Russen nehmen Städte ins Visier

Russland verstärkt aktuell wieder Angriffe auf ukrainische Städte. Militärische Ziele wurden von den Russen bisher noch nicht erreicht, daher nimmt die Aggressivität erneut zu. Rund um Kiew herrscht weiterhin noch lange keine Normalität, obwohl russische Truppen abgezogen wurden.

„Zynisch“

Die Debatte ist damit aber nicht beendet. Kritiker in und außerhalb der „Ampel“ aus SPD, FDP und Grünen fordern weiterhin, dass schwere Waffen bereitgestellt werden. Deutschland hat bisher unter anderem Panzerfäuste, Luftabwehrraketen, Maschinengewehre, aber auch Fahrzeuge, Nachtsichtgeräte und Schutzausrüstung geliefert. Unter schwere Waffen, wie sie die Ukraine fordert, fallen hingegen etwa Kampfpanzer, Artilleriegeschütze oder Kampfhubschrauber.

Deutschlands Kanzler Olaf Scholz
APA/AFP/Soeren Stache
Scholz konnte die Debatte auch nach der Ankündigung der Militärhilfen nicht abdrehen

Kritik kam zunächst von der CDU: Der lang gediente Abgeordnete Norbert Röttgen schrieb am Samstag auf Twitter, was sich Scholz und Finanzminister Christian Lindner (FDP) „da ausgedacht“ hätten, sei „zynisch“. „Während ganz Europa Deutschland um Führung und Verantwortung bittet, sind sie mit der Gesichtswahrung der Streitparteien in der Bundesregierung beschäftigt.“

Die russische Großoffensive stehe unmittelbar bevor. Mit Geld könne sich die Ukraine nicht verteidigen, sie brauche Waffen, „und zwar so schnell wie möglich“, schrieb Röttgen. Stattdessen müsse nun erst in Deutschland ein Nachtragshaushalt beraten und beschlossen werden, „dann müssen Genehmigungen für Waffenexporte beantragt und genehmigt und schließlich die Waffen geliefert werden. Dann ist Sommer.“

Sorge vor Status als Kriegspartei

Aber auch der grüne Koalitionspartner, der die Außenministerin stellt, zeigte sich teilweise unzufrieden. Der Vorsitzende des Bundestagseuropaausschusses, Anton Hofreiter, sagte der „Welt am Sonntag“, die Aufstockung der Finanzhilfen sei ein „erster guter Schritt“. Sie könne aber „die direkte Lieferung von Waffen nicht ersetzen“.

Auch bei der FDP wollen manche Stimmen, die Scholz kritisieren, nicht verstummen. FDP-Chef Lindner versuchte zu beruhigen: „Zwischen finanzieller Ertüchtigungshilfe und der Frage von Waffenlieferungen besteht kein direkter Zusammenhang“, schrieb er. Der deutsche Justizminister Marco Buschmann (FDP) sagte der „Welt am Sonntag“ auf die Frage, ob Waffenlieferungen völkerrechtlich als Kriegseintritt betrachtet werden könnten, die UNO-Charta verbiete Krieg grundsätzlich, mit einer Ausnahme: dem Verteidigungskrieg.

„Einen solchen führt die Ukraine. Wenn sie also ihr legitimes Selbstverteidigungsrecht ausübt, kann eine Unterstützung durch Waffenlieferungen nicht dazu führen, dass man Kriegspartei wird.“

Pazifismus als „ferner Traum“

Ob und in welcher Form Deutschland noch bei der Hilfe für die Ukraine nachlegt, ist derzeit offen. Die ukrainischen Gesprächspartner werden nicht müde, Waffen zu fordern, gerade von Deutschland. Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte am Samstag in einem Interview für ukrainische Onlinemedien: „Von dem Moment an, an dem sie sagen, wir haben beschlossen, der Ukraine Waffen zu liefern, bis unsere Streitkräfte die Waffen erhalten, können zwei bis drei Wochen vergehen.“ Der Prozess dauere zu lange, so Selenskyj. „Worauf setzen sie, dass wir monate- oder jahrelang kämpfen?“

Das Dilemma für Deutschland bleibt einstweilen aufrecht. Der deutsche Vizekanzler Robert Habeck sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe im Hinblick auf die Ostermärsche: Pazifismus sei im Moment „ein ferner Traum“. Russlands Machthaber Wladimir Putin bedrohe die Freiheit Europas. „Kriegsverbrechen sind offenkundig Teil seiner Kriegsführung. Wehrlose Zivilisten werden gezielt getötet, Kriegsgefangene hingerichtet, Familien ermordet, Krankenhäuser mit Raketen beschossen.“ Für ihn gelte, dass „Zuschauen die größere Schuld“ sei.