Zerstörte Gebäude in Mariupol
Reuters/Alexander Ermochenko
Mariupol

Kampf um eine Stadt mit Symbolkraft

Sieben Wochen lang ist die Hafenstadt Mariupol inzwischen belagert worden, nun ist sie vollständig zerstört. Der Kampf um die Stadt ist symbolisch höchst aufgeladen, ist sie doch vorwiegend russischsprachig. Rund acht Jahre lang war Mariupol zwischen der illegal annektierten Krim und den Speratistengebieten Donezk und Luhansk eingebettet. Nun soll die Stadt zum Propagandaerfolg des Kremls werden – aus mehreren Gründen.

Die Stadt Mariupol gibt es nicht mehr, sie ist fast vollständig zerstört. Schon von Beginn des Krieges im Februar an stand die Hafenstadt unter heftigstem Beschuss, die Angriffe auf eine Kinderklinik und ein Theater voll mit Schutzsuchenden hatten international Entsetzen ausgelöst. Wer konnte, ist längst geflohen. Zu befürchten ist, dass es nur wenige sind.

Vor dem Krieg war das historisch stark griechisch geprägte Mariupol von knapp einer halben Million Menschen bewohnt – vorwiegend von Russischsprachigen. Schon die völkerrechtswidrige Annexion der Halbinsel Krim durch Russland 2014 hatte Mariupol in eine Zwangslage gebracht. Zeitweise war die Stadt bei damaligen Kämpfen kurzfristig von prorussischen Separatisten eingenommen worden, wurde dann aber von der ukrainischen Armee zurückerobert.

Zerstörung nach Widerstand

Seither war Mariupol mit der Krim auf der einen Seite und den prorussischen Separatisten in Donezk und Luhansk auch geografisch im Dilemma. Der Kreml dürfte sich nach Ansicht von Fachleuten mit der Stadt verkalkuliert haben. Geplant war ursprünglich – ähnlich wie bei Kiew –, Mariupol mit einem schnellen Vorpreschen einzunehmen. Offenbar hatte die russische Militärführung speziell hier angenommen, dass man von der russischsprachigen Bevölkerung als Befreier begrüßt würde. Nachdem das jedoch nicht so gewesen war, setzte die russische Armee auf die Zerstörung der Stadt.

Kreml-Chef Wladimir Putin will den Krieg bis zum 9. Mai, dem Jubiläum des Sieges über Nazi-Deutschland, beenden, wie er andeutete. Da der Vorstoß im Westen der Ukraine Russland nicht gelang, soll nun die Entscheidung im Osten her. Mariupol erweist sich als Kernstück dieser Strategie.

Landbrücke als Ziel

Nach Einnahme der Stadt hat Russland die Möglichkeit, einen Landkorridor zwischen der Krim und der Region Donbas in der Ostukraine einzurichten. Damit wären mehr als 80 Prozent der ukrainischen Küstenlinie am Schwarzen Meer in russischer Hand.

Die Ukraine wäre vom Seehandel im Schwarzen Meer abgeschnitten. Mariupol ist der größte und wichtigste Hafen in der Region des Asowschen Meeres. Über Mariupol lief auch der ukrainische Export von Stahl, Kohle und Getreide, etwa in den Nahen Osten, aber via Mittelmeer weit darüber hinaus.

Ultimatum für Mariupol verstrichen

Die Ukraine hat das von Russland gestellte Ultimatum zum Abzug der verbliebenen Verbände aus Mariupol verstreichen lassen – ohne Reaktion. Fluchtkorridore für Zivilistinnen und Zivilisten im Osten des Landes blieben mangels Einigung auf eine Feuerpause heute geschlossen.

Mariupol war daher bis vor Kurzem auch wirtschaftlich äußerst wichtig. Auch der wichtigste Stahlproduzent des Landes, Metinvest, befand sich in Mariupol. Mit der Zerstörung der wichtigen Fabriken geht Russland auch gegen die wirtschaftliche Konkurrenz vor. Die Ukraine trifft zudem die Vernichtung des Sektors ökonomisch und militärisch.

Sitz des Asow-Regiments

Für einen Propagandaerfolg dürfte eine Einnahme Mariupols auch in puncto der von Putin anfänglich noch ventilierten Idee, die Ukraine „entnazifizieren“ zu wollen, sorgen. In Mariupol befand sich das Hauptquartier des Asow-Regiments. Die paramilitärische Freiwilligenmiliz wurde 2014 im Zuge des damaligen Konflikts mit Russland von nationalistisch-ukrainischen Politikern gegründet. Anführer und auch Mitglieder der Miliz sind oft rechtsextrem bzw. ultranationalistisch und Teilen der Neonazi-Szene zurechenbar. Das Asow-Regiment wurde später auch in die ukrainische Nationalgarde eingegliedert. Wie viele Mitglieder die Gruppe noch zählt, ist unbekannt. Putin hatte wiederholt suggeriert, dass die ganze ukrainische Regierung nationalsozialistisch unterwandert sei bzw. mit Neonazis zusammenarbeite – weiterer Stoff für Putins Pläne für den 9. Mai.

Die ukrainische Führung ist sich freilich der Bedeutung Mariupols bewusst. Die letzten Verteidiger würden „kämpfen bis zum Ende“, hieß es aus Kiew. Was danach folgt, lässt man offen. Nach den Worten des ukrainischen Außenministers Dmytro Kuleba kann die Entwicklung in Mariupol zur „roten Linie“ für die weiteren Verhandlungen mit Russland werden.