Frauen liegen auf Decke in Wiese, eine liest ein Buch
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LGBTQ-Liebesromane

Präsidentensohn datet Thronfolger

Ein junger Mann trifft seinen Traumprinzen, der Star einer Dating-Realityshow verliebt sich statt in die Teilnehmerinnen in den Produzenten, und eine Animationskünstlerin verschießt sich in eine mysteriöse Fremde in einer Buchhandlung: LGBTQ-Liebesromane boomen. Dabei orientieren sich die Autorinnen und Autoren oft an konventionellen Erzählmustern, wie Expertinnen meinen.

Alison Cochruns Homepage ist als „Your home for fluffy queer romance“ (dt. „Dein Zuhause für flauschige, queere Liebesgeschichten“) ausgewiesen. Seit ihrem Debütroman „The Charme Offensive“, der im Herbst bei Atria, Teil des großen US-Verlages Schuster & Schuster, erschien, begeistert sie Leser und Leserinnen.

Dabei war der Weg zur „LGBTQ-Romance“-Autorin schwer: „Lange dachte ich, Liebe gibt es nur zwischen Mann und Frau“, schreibt Cochrun aus Portland im US-Bundesstaat Oregon im E-Mail-Interview an ORF.at. Die Liebesromane, die sie als junge Erwachsene gelesen hatte, erzählten es ihr nicht anders. Lesbische Protagonistinnen wünschte sie sich als Jugendliche vergeblich.

Ellie trifft Jack – wieder

Mit 30 wurde Cochrun klar, dass sie lesbisch ist und dass Protagonisten und Protagonistinnen, die nicht heterosexuell sind, wichtig sind. Die Idee für ihre Romane war geboren. „The Charme Offensive“ handelt von Charlie, dem Star einer TV-Datingshow, den aber die Teilnehmerinnen, die sich um ihn bewerben, kalt lassen und der sich schließlich in Dev, den Produzenten der Show, verliebt.

Ihr zweiter Roman „Kiss Her Once for Me“ ist bereits angekündigt. Darin begegnet die Animationskünstlerin Ellie der mysteriösen Jack, ein Jahr nachdem sie sich Hals über Kopf in sie verliebt hat, wieder, allerdings in einer vertrackten Situation, in der sie die Verlobte ihres Bruders spielen muss.

US-Buchmarkt: Plus 740 Prozent in fünf Jahren

Cochrun ist eine der Autorinnen, deren Unterhaltungsromane auf dem US-amerikanischen Buchmarkt laut „New York Times“ boomen: Bücher, die die Liebesgeschichten all jener leicht zu lesend erzählen, die nicht heterosexuell sind. Ihre Cover zeigen das offensichtlich: Meist sind es zwei Männer, zwei Frauen oder Personen, die sich nicht dem Geschlechtsmodell weiblich/männlich zuordnen, die einander, umgeben von bunten Zeichnungen, küssen oder umarmen.

Zu kaufen sind sie in kleinen und großen Buchhandlungen und an der Supermarktkasse. Große Verlagshäuser wie Penguin Random House würden die Bücher in hoher Auflage verlegen, heißt es in der „New York Times“. Eine Erhebung des US-amerikanischen Marktforschers Bookscan zeigt auf, dass sich der Verkauf von LGBTQ-Liebesromanen auf dem US-Buchmarkt in den vergangenen fünf Jahren um 740 Prozent gesteigert hat.

LGBTQ-Liebesromane hierzulande meist Übersetzungen

Zahlen dazu, wie sich der Verkauf solcher Romane auf dem deutschsprachigen Buchmarkt innerhalb der vergangenen Jahre entwickelt hat, gibt es nicht. Vom Hauptverband des österreichischen Buchhandels und dem Börsenverein des deutschen Buchhandels heißt es auf Anfrage von ORF.at, dass sie nur die Umsatzverteilung grober Warengruppen erheben, etwa Bücher aus dem Bereich der Belletristik, der Kinder- und Jugendbuchliteratur und Ratgeber.

Hört man sich im deutschsprachigen Buchhandel um, erfährt man, dass Unterhaltungsliteratur mit nicht heterosexuellen Charakteren zunehmend ihr Publikum hat. Eine Suche unter dem Schlagwort „LGBTQ“ im Onlineangebot eines großen Buchhandelsunternehmens erzielt 3.722 Treffer, darunter befindet sich Cochruns „The Charme Offensive“.

Autorin Casey McQuiston
Mit „Red, White & Royal Blue“ gelang Casey McQuiston ein Bestseller über eine royale Liebesgeschichte zweier junger Männer

Übersetzungen aus dem englischsprachigen Raum überwiegen dabei, originär deutschsprachige LGBTQ-Liebesromane findet man kaum. Das zeigt auch das Programm großer Verlagshäuser, etwa Heyne und Knaur. In Letzterem ist die Übersetzung des Romans „Red, White & Royal Blue“ der US-amerikanischen Bestsellerautorin Casey McQuiston erschienen. McQuiston erzählt darin vom fiktiven britischen Thronfolger Henry, der sich in den Sohn der US-amerikanischen Präsidentin verliebt. Knaur hat McQuistons Roman in der Übersetzung mit einer Gesamtauflage von 50.000 Exemplaren verlegt.

Vermeintliche Geschlechtervielfalt

So weit, so fortschrittlich. Auf den ersten Blick zumindest, denn auf den zweiten zeigt sich: Ganz so einfach ist es mit der Akzeptanz verschiedener sexueller Identitäten nicht. Romantische Unterhaltungsromane mit nicht heterosexuellen Charakteren werden im Literaturbetrieb durchaus kritisch gesehen.

Buchcover von Royal Blue
Knaur TB
Casey McQuinston: Royal Blue. Knaur, 464 Seiten, 13,90 Euro.

Den Grund erklärt Veit Schmidt von der lesbisch-schwulen Buchhandlung Löwenherz in der Wiener Berggasse. In dem 1993 eröffneten Fachgeschäft kann man neben Sachbüchern und unterschiedlicher lesbischer und schwuler Qualitätsliteratur etwa McQuistons Roman „Royal Blue“ kaufen. „Diese Bücher zeigen eine gesellschaftliche Entwicklung des Mainstreams, der sich mit sich selbst beschäftigt, aber nicht mit Schwulen, Lesben und ihren Problemen. Das ist eine Selbstvergewisserung der Mehrheitsgesellschaft und ihrer vermeintlichen Offenheit“, sagt der Buchhändler im Gespräch mit ORF.at. Wie sich ein Coming-out anfühlt, welche Anfeindungen homo-, trans-, a- und intersexuellen Menschen widerfahren, und andere homosexuelle Lebenskonflikte würden flauschige LGBTQ-Romanzen meist aussparen.

Dem Genre „Unterhaltungsroman“ dürfe man nicht unrecht tun, sagt der Buchhändler. Niemand würde sich von der „Bergdoktor“-Heftromanreihe erwarten, dass sie das reale Leben von heterosexuellen Männern und Frauen abbildet. Doch von steigenden Verkaufszahlen auf eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung zu schließen sei falsch. Zudem gebe es den „nicht heteronormativen Unterhaltungsroman aus großen Verlagen schon seit Jahrzehnten“.

Ein Beispiel ist „Doch die Hölle siegt“, ein homoerotischer Roman aus der Feder eines Autors mit dem Pseudonym Claude Borell, 1982 im Goldmann-Verlag erschienen. „Offen schwule Erotik etwa hat es in der Literatur schon immer gegeben“, sagt Schmidt.

Homoerotische Unterhaltung, heterosexuelle Vorbilder

Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass viele dieser LGBTQ-Unterhaltungsromane einem konservativen heteronormativen Beziehungskonzept entsprechen. Unterhaltungsromane müsse man nicht moralisieren, sagt Susanne Hochreiter. Sie ist Literaturwissenschaftlerin am Institut für Germanistik der Universität Wien, ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der neueren deutschsprachigen Literatur, Gender-Studies und Queer Theory. „Doch viele dieser Trivialromane sind schwule oder lesbische Geschichten, die neu besetzt, aber sehr konventionell erzählt sind“, sagt Hochreiter.

Fragt man Cochrun nach ihrer Inspiration für ihre lesbische Liebesgeschichte „Kiss Her Once for Me“, nennt die Autorin den Hollywood-Film „Während du schliefst“. Ein Film, der eine heterosexuelle Liebesgeschichte zwischen einer Frau, gespielt von Sandra Bullock, und einem Mann erzählt.

„Viele dieser Romane präsentieren ein monogames Beziehungsmodell, bei welchem die Liebe zweier Personen idealisiert wird“, sagt Hochreiter. Soll heißen: Zwei Menschen verlieben sich, kommen nach einem leicht überwindbaren Problem zusammen und machen es sich im häuslichen Glück gemütlich. Dass das für queere Personen weitaus problematischer sein kann und vielen auch gar nicht als erstrebenswert erscheint, komme in solchen Geschichten nicht vor, sagt die Literaturwissenschaftlerin.

Mechanismen auf dem Buchmarkt

Dass sich LGBTQ-Romane neuerdings so gut verkaufen, erzählt mehr über den Buchmarkt als über die gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber sexuellen Orientierungen. Buchhandelsunternehmen präsentieren sich mit deren Verkauf weltoffen. Damit zieht das Unternehmen ein zusätzliches Lesersegment an. Mit klassischen Erzählungen, die zwar keine heterosexuellen Paarbeziehungen schildern, die Liebe zweier nicht heterosexueller Menschen aber weitgehend konfliktfrei beschreiben, könnten Verlage, für die ihre Absatzerwartung zählt, mit einer breiten Leserschaft rechnen.

„Das Schöne ist zwar, dass sich der Mainstream überhaupt mit lesbischem und schwulem Leben auseinandersetzt. Lange genug hat man ein negatives Bild von beispielsweise schwulen Männern gezeichnet. Aber der Großteil dieser Trivialromane bleibt eine gefällige Mainstream-Fantasie“, sagt Schmidt – und die Frage, wie jegliche sexuelle Identität in romantischer Unterhaltungsliteratur authentisch repräsentiert werden kann, damit offen.