Wahlplakate von Emmanuel Macron und Marine Le Pen
Reuters/Pascal Rossignol
Macron gegen Le Pen

Stichwahl um Frankreichs Zukunft

Emmanuel Macron gegen Marine Le Pen: Frankreich ist am Sonntag dazu aufgerufen, einen Präsidenten oder eine Präsidentin zu wählen. In Umfragen lag der liberale Amtsinhaber Macron zuletzt leicht vorne, auch im TV-Duell konnte er sich gegen die rechtspopulistische Le Pen durchsetzen. Doch das Rennen um den Elysee-Palast könnte deutlich knapper als 2017 ausgehen.

Um 17.00 Uhr lag die Wahlbeteiligung laut Innenministerium bei 63,23 Prozent und damit rund zwei Prozentpunkte unter der letzten Stichwahl 2017. Die Zahlen bestätigen die Erwartungen von Umfrageinstituten, die im Vorfeld mit der niedrigsten Wahlbeteiligung bei einer Stichwahl in mehr als 50 Jahren rechneten.

Bis 19.00 Uhr sind die Wahllokale geöffnet, in einigen Großstädten bis 20.00 Uhr – dann folgen die ersten Hochrechnungen. Seit Freitag herrscht Funkstille: Weder Umfragen noch Interviews werden in dieser Zeit veröffentlicht. Nach dem TV-Duell am Mittwochabend deuteten die Umfragen auf einen doch sichtbaren Vorsprung des Amtsinhabers hin.

Macron könnte demzufolge auf 55,5 bis 56,5 Prozent der Stimmen kommen, also mit deutlich größerem Polster gewinnen als vor dem ersten Wahlgang erwartet. Aus der Fernsehdebatte, die am Mittwochabend 15,6 Millionen Menschen vor den Bildschirmen verfolgten, ging Macron nach einer Umfrage sowie Einschätzungen etlicher Medien im Land als Sieger hervor. Eine Mehrheit hielt den 44-Jährigen für den überzeugenderen Bewerber.

Andere Situation als 2017

Dennoch: 2017 setzte sich Macron in der Stichwahl gegen Le Pen mit über 66 Prozent der Stimmen durch – ganz so eindeutig wird es diesmal wohl nicht ausgehen. Die Wählerschaft gilt als gespalten: Viele linke Wähler wollen weder den liberalen Macron noch die Rechtspopulistin Le Pen im Elysee-Palast. Der linke Kandidat Jean-Luc Melenchon wäre beinahe statt Le Pen in der Stichwahl gestanden – lag aber im ersten Wahlgang rund zwei Prozentpunkte hinter der rechten Politikerin.

Macron und Le Pen bei der Debatte
APA/AFP/Ludovic Marin
Das Duell zwischen Macron und Le Pen gestaltete sich dieses Jahr ruhiger als noch 2017

Und während von manchen Kandidaten nach dem ersten Wahlgang Empfehlungen abgegeben wurden – die Sozialistin Anne Hidalgo unterstützt etwa Macron, der rechtsextreme Eric Zemmour wirbt für Le Pen – hielt sich Melenchon wohl bewusst zurück. Er rief dazu auf, „keine Stimme für Le Pen“ abzugeben, aber verzichtete auch darauf, Macron zu unterstützen. Auch andere Parteien gaben keine direkte Empfehlung ab.

Kampf um Stimmen aus anderen Lagern

Entsprechend war das Buhlen um Wählerinnen und Wähler aus anderen Lagern auch das Ziel im Endspurt des Wahlkampfs: Bis zuletzt kämpften beide Lager um ihre Gunst. Umso größeres Gewicht hatte damit das einzige TV-Duell zwischen Macron und Le Pen. Die Debatte blieb überwiegend sachlich, auch wenn beide hart gegen den anderen austeilten. Es war ein anderes Bild als 2017: Damals leisteten sie sich Beschimpfungen und persönliche Angriffe.

Französische Präsidentschaftswahl 2022. Stärkste Kandidaten pro Departement in der ersten Runde.

Obwohl Le Pen das Hauptthema des Wahlkampfs, die Kaufkraft, seit Wochen geschickt besetzt, konnte sie sich in der Debatte nicht klar gegen Macron durchsetzen. Sie schlug etwa eine Mehrwertsteuersenkung auf Energie sowie einen Wegfall der Steuern auf 100 Grundprodukte des täglichen Bedarfs vor. Macron setzte darauf, die Arbeitslosigkeit weiter zu senken und Gas- und Strompreise weiterhin zu deckeln.

Bei der Pension will Le Pen am Eintrittsalter von 62 Jahren festhalten. Wer schon jung ins Berufsleben einsteige, solle mit 60 in Pension gehen dürfen. Macron will das Pensionsalter mit Ausnahmen auf 65 Jahre anheben. Bei wachsender Lebenserwartung müsse das Rentensystem gegenfinanziert werden, so Macron.

Auch Russland-Position wichtiges Thema

Angesichts des Ukraine-Kriegs waren sich Le Pen und Macron weitgehend einig, dass es weiter Hilfen für Kiew geben solle. Die zuletzt kritischere Einstellung von Le Pens Rassemblement National gegenüber Russland könnte durchaus positive Auswirkungen auf ihr Ergebnis haben. Im TV-Duell sprach sich Le Pen aber gegen einen Importstopp für russisches Gas aus. Macron warf seiner Kontrahentin vor, von Kreml-Chef Wladimir Putin abhängig zu sein. Keine Einigkeit gab es auch bei europäischen Themen: Während sich Macron etwa hinter die deutsch-französische Kooperation stellt, will Le Pen die Rüstungszusammenarbeit mit Berlin aufkündigen.

Elyseepalast
AP/Michel Euler
Am Sonntag wird sich entscheiden, wer künftig im Elysee-Palast sitzt

Die EU-Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF könnte Le Pen unterdessen Stimmen kosten: Nach dem ersten Wahlgang wurden Vorwürfe bekannt, dass Le Pen während ihrer Zeit als EU-Abgeordnete zwischen 2004 und 2017 Tausende Euro an EU-Geldern veruntreut haben soll. Le Pens Anwalt wies die Anschuldigungen zurück und sprach von einer „Instrumentalisierung“. Dennoch: Die Vorwürfe kamen zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt für Le Pen.

Wahlaufruf auch aus dem Ausland

Nach dem ersten Wahlabend sagte die Rechtspopulistin, dass sich zwei entgegengesetzte Visionen für die Zukunft durchgesetzt hätten und erklärte die Stichwahl zur richtungsweisenden Entscheidung. Nicht zuletzt im Hinblick auf die unterschiedlichen Ansichten zur EU nahm man das in umliegenden Ländern zum Anlass, Wahlempfehlungen abzugeben.

Der deutsche Kanzler Olaf Scholz sowie die Regierungschefs Spaniens und Portugals, Pedro Sanchez und Antonio Costa, riefen in einem ungewöhnlichen Schritt gemeinsam zur Wiederwahl von Macron auf. „Die französischen Bürgerinnen und Bürger stehen vor einer kritischen Wahl – für Frankreich und für jede und jeden Einzelnen von uns in Europa“, hieß es in einem am Donnerstag in der Zeitung „Le Monde“ veröffentlichten Gastbeitrag. Die Europäer brauchten Frankreich an ihrer Seite, „ein Frankreich, das aufsteht für Gerechtigkeit und gegen undemokratische Führer wie Putin“, so die Regierungschefs.

Parlamentswahl bereits im Juni

Während also auch in Europa mit Spannung erwartet wird, wie die Stichwahl endet und mit wem künftig im Elysee-Palast verhandelt wird, steht in der französischen Innenpolitik noch ein weiterer Programmpunkt bald bevor: Denn schon im Juni wird in Frankreich das Parlament gewählt. Dort hält Macrons La Republique en Marche (LREM) derzeit die Mehrheit.

Doch der Drittplatzierte, dessen Wählerschaft wohl diesmal zum Königsmacher wird, brachte sich selbst bereits in Stellung. Der Linkspopulist Melenchon will mit seiner Bewegung La France Insoumise Premierminister werden und kündigte an: „Ein Hoch auf die dritte Runde.“ Sollten Präsident und Regierungschef aus gegnerischen politischen Lagern kommen, sei es der „Premierminister, der die Dekrete unterschreibt“, so Melenchon – der wohl mit Le Pen als auch mit Macron so manche Meinungsverschiedenheit hätte.